Rz. 8

Spezifische verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsteuer ergeben sich zunächst aus der Erbrechtsgarantie[1], die insbesondere in Gestalt der Testierfreiheit und des Verwandtenerbrechts die Eigentumsgarantie[2] ergänzt.[3] Zwar verstößt die Erbschaftsteuer als solche nicht gegen die verfassungsrechtliche Garantie des Erbrechts.[4] Schon in seinen Beschlüssen vom 22.6.1995[5] hat das BVerfG jedoch dem Zugriff durch die Erbschaftsteuer spezifische Grenzen gesetzt: Die Erbschaftsteuer mindert für den Stpfl. den Wert seines Erbes. Ihre Ausgestaltung und Bemessung muss den grundlegenden Gehalt der Erbrechtsgarantie, zu dem die Testierfreiheit und das Prinzip des Verwandtenerbrechts gehören, wahren. Die Steuerbelastung darf daher das Vererben vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers nicht als ökonomisch sinnlos erscheinen lassen. Zudem darf die Testierfreiheit des Erblassers auch nicht durch eine ausschließlich an die Erben adressierte Erbschaftsteuer ausgehöhlt werden.[6] Beurteilungsgrundlage für diese verfassungsrechtliche Grenzlinie ist bei der Erbschaftsteuerbelastung grundsätzlich der gesamte Nachlass des jeweiligen Erben und die gesamte hierauf ruhende Steuerlast.[7]

 

Rz. 8a

Eine darüber hinausgehende Begrenzung des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts durch den sog. Halbteilungsgrundsatz[8] besteht jedoch nicht. Dieser Grundsatz ist auf die spezifische Belastungssituation bei der (inzwischen weggefallenen) Vermögensteuer beschränkt und kann nicht i. S. einer Belastungsobergrenze auf die Belastung mit Erbschaft- und Schenkungsteuer angewendet werden.[9]

 

Rz. 8b

Nicht abschließend geklärt ist, ob und ggf. mit welchen Maßgaben sich aus Grundrechten (insb. Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 GG) ein Anspruch auf die erbschaft- und schenkungsteuerliche Verschonung des Übergangs von Betriebsvermögen ergibt. In dieser Frage lässt sich der Rspr. des BVerfG keine klare Linie entnehmen.

 

Rz. 8c

Das BVerfG (2. Senat) hatte in seinem Beschluss vom 22.6.1995[10] aus Art. 3 Abs. 1 GG die Forderung abgeleitet, bei der Gestaltung der Steuerlast auf die verminderte Leistungsfähigkeit bei den Erben bestimmter Unternehmen – namentlich mittelständischer Betriebe – Rücksicht zu nehmen. Aufgrund der gesteigerten rechtlichen Bindungen dieser Betriebe entspreche der vom Erben durch den Erbfall erworbene Vermögenszuwachs nicht voll der durch den Betrieb entgegengenommenen finanziellen Leistungsfähigkeit. Die Milderung des Steuerzugriffs sollte sich allerdings auf Erwerber von Betriebsvermögen beschränken, die den Betrieb weiterführen.[11] Diese Erwerber haben jedenfalls dem Grundsatz nach einen grundrechtlich fundierten Verschonungsanspruch.[12]

 

Rz. 8d

Unklar ist, ob auch der 1. Senat des BVerfG diese Auffassung teilt. Dieser hatte sich schon in seinem Beschluss vom 7.11.2006[13] einer klaren Stellungnahme zu dieser Problematik enthalten. Ob sich der 1. Senat des BVerfG in seinem Urteil vom 17.12.2014[14] von dieser für die Besteuerung der Unternehmensnachfolge grundlegenden Weichenstellung distanziert, bleibt letztlich unklar. Das BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 weist zwar darauf hin, der Gesetzgeber habe mit den erbschaft- und schenkungsteuerlichen Befeiungen und Verschonungen "in weitem Umfang Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter anderem aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung getragen".[15] Ob jedoch der Gesetzgeber diese Vorgaben auch zukünftig zu beachten hat, ist dem BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen. Dies ist schon wegen der fundamentalen Bedeutung, die dieser Frage für die Ausgestaltung des ErbStG zukommt, höchst misslich. Sollte jedenfalls eine Verschonung beim Erwerb von Betriebsvermögen in gewissem Umfang verfassungsgeboten sein, so könnte die Ausgestaltung der entsprechenden Verschonungsregelungen jedenfalls nicht an den vom 1. Senat des BVerfG herausgestellten Verfassungsmaßstäben zur Zulässigkeit außerfiskalischer Förderungs- und Lenkungsziele ausgerichtet werden. Denn derartige Förder- und Lenkungsziele verlangen notwendig einen entsprechenden Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, der diesem im Umfang einer verfassungsrechtlich gebotenen Verschonung gerade fehlt.

 

Rz. 8e

Die Frage einer möglichen – in ihren Konturen nicht abschließend geklärten – Fundierung der Verschonung des Übergangs von Betriebsvermögen bleibt zwar ohne praktische Bedeutung, sofern es der Gesetzgeber in den vom BVerfG-Urteil vom 17.12.2014 aufgezeigten Grenzen beim jetzigen Verschonungskonzept belässt. Die Frage würde aber virulent, wenn sich der Gesetzgeber zu einer grundsätzlichen Neukonzeption des ErbStG etwa in Richtung eines flat-tax-Modells (dazu Rz. 22 ff.) entschließen würde oder wenn das BVerfG nach fruchtlosem Verstreichen der dem Gesetzgeber bis zum 30.6.2016 gesetzten Neuregelungsverpflichtung ein eigenes Übergangsrecht schaffen müsste (dazu Rz. 14). Das BVerfG müsste in diesem Fall Farbe bekennen, ob das ErbStG auch ohne Verschonungsregelung für ...

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