Rz. 79

Gewahrsam am "Vermögen des Erblassers" i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG ist ein eigenständiger steuerrechtlicher Begriff. Er meint einen Zustand unmittelbarer tatsächlicher Einwirkungsmöglichkeit. Der Gewahrsam ist nicht mit dem zivilrechtlichen Besitz an Sachen gleichzustellen und verlangt jedenfalls keine rechtliche Verwertungsbefugnis.[1] Kreditinstitute sind bezüglich der Bankguthaben ihrer Kunden Gewahrsamsinhaber; dies gilt auch für Anderkonten.[2] Ein Gewahrsam Dritter kann nicht mehr entstehen, wenn ein Erbe oder ein Dritter im Auftrag des Erben Verfügungsmacht über das Vermögen des Erblassers erlangt hat.[3] Der Gewahrsam eines Kreditinstituts erstreckt sich auch auf Vermögen, das bei einer unselbstständigen Zweigniederlassung im Ausland verwahrt wird.[4]

 

Rz. 80

Die Haftung für Bankkonten besteht ohne Rücksicht auf Verfügungsrechte Dritter. Sie erstreckt sich deshalb auch auf die Freigabe von Oder-Konten bzw. Oder-Depots (z. B. von Eheleuten), bei denen der überlebende Berechtigte ein unbeschränktes Verfügungsrecht hat.

 

Rz. 81

Ebenso besteht ein haftungsbegründender (Mit-)Gewahrsam der Geldinstitute an Schließfächern des Erblassers. Das Geldinstitut haftet nach § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG, wenn es – ohne sich der Entrichtung oder Sicherstellung der Erbschaftsteuer zu vergewissern – dem Berechtigten die Entnahme des Erblasser-Vermögens gestattet. Die nach § 1 Abs. 3 ErbStDV auf das Vorhandensein eines Schließfachs beschränkte Anzeigepflicht der Geldinstitute steht ihrer Haftung insoweit nicht entgegen.

 

Rz. 82

Die Banken können ihr Haftungsrisiko in der Weise ausschließen, dass sie dem Erben eine Bestätigung über den Inhalt des Schließfachs erteilen. Diese Bestätigung legen die Erben dem FA vor, das diesen sodann eine Bestätigung über die Entrichtung oder Sicherstellung der Erbschaftsteuer erteilt. Auch kann das FA die zur Freigabe des Schließfachinhalts berechtigende Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilen, wenn dem FA mit der Erbschaftsteuererklärung eine Bestätigung des Geldinstituts über den Schließfachinhalt bei erstmaliger Öffnung nach dem Tod des Erblassers vorgelegt wird.[5] Möglich ist auch, einen vom FA beauftragten Beamten zur erstmaligen Öffnung des Erblasser-Schließfachs hinzuzuziehen.

 

Rz. 83

Bei Verfügungen – auch solchen, die im Ausland vorgenommen werden – eines inländischen Testamentsvollstreckers (nicht hingegen auch eines inländischen Bevollmächtigten) ist dieser selbst Gewahrsamsinhaber i. S. d. § 20 Abs. 6 S. 2 ErbStG, sodass dieser selbst haftet und insoweit eine Haftung des Geldinstituts ausscheidet.

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