Entscheidungsstichwort (Thema)

Inanspruchnahme durch Haftungs- oder Nachforderungsbescheid. Festsetzungsfrist. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VIII R 24/23)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 167 Abs. 1 Satz 1 AO begründet grundsätzlich ein Wahlrecht für die Finanzbehörde, den Haftungsschuldner entweder durch Haftungsbescheid oder durch Steuerbescheid in Anspruch zu nehmen, wenn dieser seine Anmeldepflicht nicht erfüllt hat.

2. Wird ein gegenüber dem Schuldner der Kapitalerträge erlassener Haftungsbescheid betreffend nicht abgeführter Kapitalertragsteuer aufgehoben und durch einen Nachforderungsbescheid gegenüber demselben Steuerpflichtigen als Gläubiger der Kapitalerträge ersetzt, so hemmt ein gegen den Haftungsbescheid erhobener Einspruch nicht gemäß § 171 Abs. 3a AO die für den Nachforderungsbescheid geltende Festsetzungsfrist.

 

Normenkette

AO § 167 Abs. 1 S. 1, § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 171 Abs. 3a; FGO § 68; EStG § 44 Abs. 5 S. 2, Abs. 6 S. 1

 

Tenor

Der Nachforderungsbescheid über Kapitalertragsteuer für 2007 und 2008 vom 22. Dezember 2020 und die Einspruchsentscheidung vom 16. Februar 2022 werden aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Kapitalertragsteuer für 2007 und 2008 durch den Beklagten im Wege eines Nachforderungsbescheids, nachdem der Beklagte einen zuvor erlassenen Haftungsbescheid aufgehoben hatte.

Der Kläger ist ein gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 5 KörperschaftsteuergesetzKStG – von der Körperschaftsteuer befreiter Berufsverband. Er unterhält neben dem steuerbefreiten Bereich einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, aus dem er in den Streitjahren (2007 und 2008) einen Gewinn in Höhe von 38.620,12 EUR bzw. 8.880,65 EUR erzielte. Zum 31. Dezember 2006 war für den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ein verbleibender Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer in Höhe von 396.341 EUR gesondert festgestellt worden. Nach Verrechnung mit den Verlusten der jeweiligen Vorjahre wurde die Körperschaftsteuer für die Streitjahre auf jeweils 0 EUR festgesetzt. Der Bestand des steuerlichen Einlagekontos gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG wurde zum 31.12. der Streitjahre auf jeweils 0 EUR gesondert festgestellt.

Der Kläger reichte nach Aufforderung durch den Beklagten am 23. April 2010 Kapitalertragsteueranmeldungen für die Streitjahre ein, in denen er Kapitalerträge gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b EinkommensteuergesetzEStG – (in der für die Streitjahre geltenden Fassung) in Höhe von jeweils 0 EUR anmeldete. Am 08. März 2012 erließ der Beklagte einen Haftungsbescheid, mit dem er den Kläger gemäß § 191 Abs. 1 AbgabenordnungAO – wegen nicht abgeführter Kapitalertragsteuer in Höhe von 3.862 EUR (2007) bzw. 888 EUR (2008) nebst Solidaritätszuschlag in Anspruch nahm. Die in den Streitjahren erzielten Gewinne seien gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c und § 43a Abs. 1 Nr. 6 EStG einer 10%-igen Kapitalertragsteuer zu unterwerfen, da die Gewinne nicht einer gesonderten, betrieblich notwendigen Gewinnrücklage zugeführt worden seien. Die Inanspruchnahme im Wege der Haftung richte sich gegen den Kläger als Abzugsverpflichteten, da er der Verpflichtung zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Kapitalertragsteuer nicht nachgekommen sei.

Der Kläger erhob nach erfolglosem Einspruch Klage, die der Senat mit Urteil vom 22. November 2017 (8 K 4148/13) abwies. Auf die vom Senat zugelassene Revision, legte der Kläger fristgerecht Revision ein.

Am 22. Dezember 2020 hob der Beklagte den Haftungsbescheid vom 08. März 2012 auf und erließ zugleich einen auf § 167 Abs. 1 Satz 1 AO i.V.m. § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG gestützten Nachforderungsbescheid gegenüber dem Kläger. Der Kläger legte am 18. Januar 2021 Einspruch gegen den Nachforderungsbescheid ein. Zur Begründung machte er unter anderem den Eintritt der Festsetzungsverjährung für die nachgeforderte Steuer geltend.

Der Kläger erklärte daraufhin zudem das Revisionsverfahren wegen des Haftungsbescheids in der Hauptsache für erledigt. Der Beklagte widersprach der Erledigungserklärung ausdrücklich. Im Revisionsverfahren machte der Kläger hierzu geltend, dass der Nachforderungsbescheid vom 22. Dezember 2020 nicht gemäß § 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO – Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sei. Der Haftungsbescheid vom 08. März 2012 und der Nachforderungsbescheid vom 22. Dezember 2020 gehörten unterschiedlichen Kategorien an. Der Haftungsbescheid sei kein Steuerbescheid, da der Haftungsschuldner für eine fremde Steuerschuld in Anspruch genommen werde. Demgegenüber richte sich der Nachforderungsbescheid an ihn, den Kläger, erstmals in seiner Eigenschaft als Steuerschuldner. De...

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