Gesetzestext

 

Jeder Mitgliedstaat kann sich weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des einzelnen, unvereinbar ist.

1. Keine Überprüfung der Sache nach

 

Rn 1

Die ausländische Entscheidung darf nicht Gegenstand einer Nachprüfung in der Sache ("révision au fond") sein. Sämtliche Fragen zur Sache selbst sind vor den Gerichten des Staates der Verfahrenseröffnung vorzubringen. Die Gerichte des um Anerkennung oder Vollstreckung ersuchten Staates dürfen eine ausländische Entscheidung nur dahingehend prüfen, ob sie zu einem Ergebnis führt, das mit seiner öffentlichen Ordnung unvereinbar ist.[1]

[1] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (103).

2. "ordre public"-Klausel nur im Ausnahmefall

 

Rn 2

Die "ordre public"-Klausel soll nur in Ausnahmefällen Anwendung finden. Deshalb heißt es in Art. 26 auch, dass die Anerkennung oder Vollstreckung der ausländischen Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung "offensichtlich" unvereinbar ist.[2]

 

Rn 3

Das Merkmal der Offensichtlichkeit erfordert, dass dieser Verstoß so deutlich ist, dass er sich einem verständigen Anwender unmittelbar erschließt.[3]

 

Rn 4

Die "öffentliche Ordnung" leitet sich aus dem einzelstaatlichen Recht ab. Der Begriff deckt daher in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Lebenssachverhalte ab.

 

Rn 5

Der öffentlichen Ordnung liegen die wesentlichen Prinzipien der Rechtsordnung des jeweiligen Staates zugrunde. Hierunter fallen die verfassungsmäßig geschützten Rechte und Freiheiten sowie die wesentlichen Grundprinzipien des ersuchten Staates.[4]

 

Rn 6

Die Mitgliedstaaten können sich nicht auf die "ordre-public"-Klausel berufen, um die EuInsVO einseitig auszuhöhlen. Deshalb sind unzulässig weite Auslegungen der "ordre-public"-Klausel nicht durch Art. 26 abgedeckt.[5]

 

Rn 7

Ein Verstoß gegen den "ordre public" kann die ganze Entscheidung betreffen. Möglich ist aber auch, dass nur Teile der Entscheidung zurückgewiesen werden.[6] Dies wird durch die Verwendung des Wortes "soweit" in Art. 26 ermöglicht.

 

Rn 8

Gegen den deutschen "ordre public" verstoßen nur Verfahren, die wesentliche Grundsätze der Gläubigerautonomie oder des Schuldnerschutzes vernachlässigen oder bei denen ein rechtsstaatliches Verfahren nicht gewährleistet ist.[7]

[2] Virgos/Schmit, a.a.O.
[3] Kübler/Prütting/Kemper, Art. 102 EGInsO Rn. 84; Kemper, ZIP 2001, 1609 (1614).
[4] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (104); Kemper, a.a.O.
[5] Virgos/Schmit, a.a.O.
[6] Virgos/Schmit, Erläuternder Bericht, 32 (105).
[7] Gottwald-Gottwald, § 130 Rn. 19.

3. Keine Überprüfung der Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts

 

Rn 9

Im Rahmen des verfahrensrechtlichen ordre public kann nicht die Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts nachgeprüft werden. Eine Fehlentscheidung hinsichtlich der Zuständigkeit muss hingenommen werden.[8] Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie auf einer unzutreffenden tatsächlichen Feststellung oder auf fehlerhafter Rechtsanwendung beruht.[9]

 

Rn 10

Das anerkennende Gericht prüft lediglich, ob die Verfahrenseröffnung durch ein Gericht erfolgt ist, das für sich die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 3 beansprucht.[10]

[8] FK-Wimmer Anhang 1 Rn. 127.
[9] FK-Wimmer, a.a.O.
[10] FK-Wimmer, a.a.O.

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