Gesetzestext

 

Ein Gläubiger, dem mehrere Personen für dieselbe Leistung auf das Ganze haften, kann im Insolvenzverfahren gegen jeden Schuldner bis zu seiner vollen Befriedigung den ganzen Betrag geltend machen, den er zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens zu fordern hatte.

1. Systematik und Regelungszweck

 

Rn 1

Die Vorschrift beinhaltet eine Regelung über die insolvenzrechtliche Behandlung von Haftungsmehrheiten und die Auswirkungen daraus resultierender (Teil-)Befriedigungen. Sie verfolgt den Zweck, eine möglichst vollständige Befriedigung des Gläubigers im Fall einer Haftungsmehrheit zu gewähren.[1] Hierzu schließt § 43 eine Anrechnung von Anmeldemöglichkeiten und Teilleistungen im Rahmen eines Verfahrens auf andere Verfahren aus (Grundsatz der Doppelberücksichtigung).[2] Die Norm "verlängert" insoweit die durch § 42 begründete materielle Vorzugsstellung[3] des Gläubigers einer Haftungsgemeinschaft in den prozessualen Bereich hinein.[4] Ein solcher Gläubiger kann seine Forderung daher in jedem Insolvenzverfahren, das über das Vermögen eines Mithaftenden eröffnet wird, in voller[5] Höhe zur Tabelle anmelden. Für die Rechte der Mithaftenden gilt § 44.

 

Rn 2

Andernfalls wäre eine vollständige Befriedigung des Gläubigers bei der Insolvenz aller Mitglieder einer Haftungsmehrheit praktisch ausgeschlossen. Denn die auch auf laufende Verfahren vorgenommene Anrechnung von Teilleistungen aus den zeitlich früher abgeschlossenen Verfahren würde dazu führen, dass hinsichtlich des im letzten Verfahren verbleibenden Restbetrags ein Ausfall in Höhe des von der Quote dieses Verfahrens nicht gedeckten Teils feststünde, sofern in keinem der Verfahren eine vollständige Befriedigung erreicht werden kann. Die möglichst weitgehende Zurückdrängung dieser Ausfallgefahr ist Hintergrund des § 43.

[1] Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Kap. 27 Rn. 19; Holzer, NZI 2007, 432 ff.
[2] K. Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 (1079 f.).
[3] Nach Heck, § 76, 4a (S. 234), sog. "Paschastellung".
[4] Noack/Bunke, FS-Uhlenbruck, S. 335 (342).
[5] Allerdings nur in der Höhe der zum Zeitpunkt der jeweiligen Verfahrenseröffnung bestehenden gemeinsamen Schuld, so dass bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte Teilleistungen (auch aus anderen Insolvenzverfahren) anzurechnen sind.

2. Anwendungsbereich und Voraussetzungen

 

Rn 3

§ 43 beinhaltet keine Regelung für Gesamtgläubiger im Sinne des § 428 BGB. Daher kann jeder der Gläubiger im Verfahren des Schuldners seine Forderung in voller Höhe anmelden. Der Verwalter des Schuldners hat jede Forderung in voller Höhe zu berücksichtigen, darf in materiell-rechtlicher Folge des § 428 BGB die Quotenzahlungen jedoch nur an einen der beteiligten Gesamtgläubiger bewirken,[6] hat dabei jedoch die freie Wahl an wen.[7]

Als Voraussetzung nennt § 43 das Vorliegen einer Haftung mehrerer Personen für dieselbe Leistung auf das Ganze. Ausgeschlossen sind demnach gestufte Haftungsschuldverhältnisse, wie sie vor allem bei der Ausfallhaftung vorliegen. Als Haftungsmehrheiten im Sinne der Vorschrift kommen in Betracht:

[6] Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 452 (456).
[7] Kübler/Prütting/Bork-Holzer, § 43 Rn. 3.

2.1 Gesamtschuld

 

Rn 4

Von § 43 wird die echte Gesamtschuld[8] im Sinne der §§ 421 ff. BGB erfasst, bei der die Leistung eines Gesamtschuldners nach § 422 Abs. 1 BGB auch zugunsten des anderen Gesamtschuldners wirkt. § 43 gilt nach allgemeiner Ansicht auch für Fälle der sog. unechten Gesamtschuld, bei der – mangels Gleichrangigkeit bzw. Gleichstufigkeit der haftenden Schuldner – der Anspruch des Gläubigers erst dann erlischt, wenn der endgültig Verpflichtete leistet (z. B. der Dieb und die Diebstahlversicherung des Eigentümers).[9] Aus Sicht des Gläubigers ergeben sich bei wirtschaftlicher Betrachtung somit keine Unterschiede zwischen den beiden Varianten der Gesamtschuld im Insolvenzverfahren, weil es aus Sicht des Gläubigers auf die innere Verbindung zwischen den Verpflichteten nicht ankommen kann.

 

Rn 5

So haften etwa VEB-Nachfolgebetriebe auch nach einer Übernahme durch die seinerzeitige Treuhandanstalt weiterhin gesamtschuldnerisch mit der heutigen Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) auf die aus den Zeiten der DDR stammenden Altverbindlichkeiten.[10]

 

Rn 6

Haften die einzelnen Gesamtschuldner in ungleicher Forderungshöhe, so wird eine Gesamtschuld zwischen den Beteiligten nur in Höhe des geringsten Betrages der gemeinsamen Haftung begründet.[11] Damit ist § 43 nach Ansicht des BGH[12] auch nur in entsprechender Höhe anwendbar. Ggf. entstehen aber weitere Gesamtschuldverhältnisse zwischen den übrigen Mitgliedern der Haftungseinheit, soweit diese gemeinsam für einen weitergehenden Teilbetrag haften.

 

Rn 7

 

Beispiel

Dem Gläubiger G haften für eine Verbindlichkeit von 200 EUR eines insolventen Schuldners S die (Höchstbetrags-)Bürgen A mit 50 EUR, B mit 80 EUR und C mit 100 EUR.

Die drei Bürgen A, B und C sind gemäß § 769 BGB hinsichtlich eines Teilbetrags von 50 EUR Gesamtschuldner; insoweit gilt im Insolvenzverfahren über das Vermögen jedes der drei Bürgen und hinsichtlich der während dieser Zeit erbrachten Teilleistungen für den Betrag von 50 E...

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