Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, wann eine Rechtsmittelbelehrung unrichtig erteilt oder irreführend ist.

 

Normenkette

AO § 246

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die vom Beschwerdeführer (Bf.) gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts vom 11. Oktober 1955 eingelegte Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist, ferner verneinendenfalls, ob das Finanzgericht mit Recht den Antrag auf Nachsicht abgelehnt hat. Unstreitig ist dabei, daß die Einspruchsentscheidung des Finanzamts laut Postzustellungsurkunde dem Bevollmächtigten des Bf. am 15. Oktober 1955 förmlich zugestellt worden und die Berufung des Bf. vom 17. November 1955 an diesem Tage beim Finanzamt eingegangen ist. Die Rechtsmittelbelehrung, mit der die Einspruchsentscheidung versehen ist, hat, soweit hier in Betracht kommend, folgenden Wortlaut:

"Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat und beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem dieser Bescheid bekanntgegeben worden ist. Bei Zustellung dieses Bescheids durch eingeschriebenen Brief oder bei Zusendung durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bewirkt."

Das Finanzgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Es sieht die Rechtsmittelfrist mit Ablauf des 15. November 1955 als verstrichen und damit die Berufung als verspätet eingelegt an. Der Einwand des Bf., es ergebe sich aus der Rechtsmittelbelehrung eine andere Fristberechnung oder die Rechtsmittelbelehrung sei irreführend, gehe fehl.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist ohne Erfolg.

Zwar ist dem Bf. darin zuzustimmen, daß bei Beurteilung der Rechtsmittelbelehrung von deren Wortlaut auszugehen ist und die Rechtsmittelbelehrung so beschaffen sein muß, daß auch ein rechtsunkundiger Steuerpflichtiger ohne Kenntnis von in der Rechtsmittelbelehrung nicht erwähnten Vorschriften aus der Rechtsmittelbelehrung selbst eindeutig das entnehmen kann, was für ihn zur Einhaltung der Rechtsmittelfrist erforderlich ist. Die im Streitfall vom Finanzamt erteilte Rechtsmittelbelehrung erfüllt aber nach ihrem Wortlaut dieses Erfordernis. Wenn im Satz 1 des oben wiedergegebenen Teils der Rechtsmittelbelehrung gesagt ist, daß die Rechtsmittelfrist mit Ablauf des Tages beginnt, an dem der Bescheid bekanntgegben worden ist, so kann schon deshalb kein Zweifel daran bestehen, daß unter Bekanntgabe auch die förmliche Zustellung des Bescheids zu verstehen ist, weil im Satz 2 ebenfalls von "Zustellung" in Verbindung mit "Bekanntgabe" die Rede ist. Kein rechtsunkundiger Steuerpflichtiger, dem ein mit dieser Rechtsmittelbelehrung versehener Bescheid förmlich zugestellt wird, wird -- ausgehend vom Wortlaut der Rechtsmittelbelehrung -- auf den Gedanken kommen können, daß der ihm förmlich zugestellte Bescheid ihm nicht im Sinne der Rechtsmittelbelehrung bekanntgegeben sei. Aus Satz 2 der Rechtsmittelbelehrung ist eindeutig zu entnehmen, daß als Bekanntgabe auch eine Zustellung gilt und unter Bekanntgabe im Sinne der Rechtsmittelbelehrung nicht nur eine Verkündung zu verstehen ist. Wenn der Bf. die geltend gemachten Zweifel an der Richtigkeit oder Eindeutigkeit der Rechtsmittelbelehrung aus dem Vergleich mit dem Wortlaut des § 246 der Reichsabgabenordnung (AO) unter Bezugnahme auf § 329 ZPO herleitet, dann geht er eben nicht vom Wortlaut der Rechtsmittelbelehrung aus, sondern greift auf in der Rechtsmittelbelehrung nicht erwähnte Vorschriften zurück, was er gerade dem Steuerpflichtigen, an den sich die Rechtsmittelbelehrung wendet, erspart wissen will.

Hiernach kann der Senat, obwohl sich die Rechtsmittelbelehrung im Streitfall ihrem Wortlaut nach nicht mit der Fassung des § 246 AO deckt, nicht anerkennen, daß die Rechtsmittelbelehrung, soweit sie im Streitfall von Bedeutung ist, unrichtig oder mißverständlich und damit irreführend ist, so daß für einen Rechtsirrtum in Bezug auf Frist und Form des Rechtsmittels, der die Nachsicht begründen könnte, Raum wäre. Gründe für die Gewährung von Nachsicht sind nicht geltend gemacht und auch nicht aus den Akten zu erkennen. Daß die Rechtsmittelfrist nur kurze Zeit überschritten ist, kann für sich allein nach ständiger Rechtsprechung Nachsicht nicht begründen. Daß das Verschulden eines Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des Steuerpflichtigen gleichsteht (§ 86 AO), darauf hat das Finanzgericht bereits hingewiesen.

Es war daher zu erkennen, wie geschehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408542

BStBl III 1956, 296

BFHE 1957, 253

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