Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendiger Inhalt und Auslegung einer Klageschrift

 

Leitsatz (NV)

1. Ziel der Auslegung einer Klageschrift ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (vgl. §133 BGB). Dabei können auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände berücksichtigt werden. Die Auslegung einer Klageschrift darf aber nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der (verkörperten) Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen. Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung.

2. Nach §65 Abs. 1 Satz 2 FGO soll die Klageschrift einen bestimmten Antrag enthalten, dieser kann nachgeholt werden.

3. Hinsichtlich der in §65 Abs. 1 Satz 1 FGO genannten Anforderungen müssen bis zum Ende der Klagefrist nur die Erfordernisse beachtet sein, von denen es abhängt, ob ein Schriftsatz sich überhaupt als Klageschrift qualifizieren läßt. Hierzu gehört nicht notwendig die Angabe des angefochtenen Verwaltungsaktes.

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1; BGB § 133

 

Verfahrensgang

FG Mecklenburg-Vorpommern

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) sowie ihr Ehemann erwarben durch notariell beurkundeten Vertrag vom 8. Mai 1992 ein in A gelegenes unbebautes Grundstück zu je 1/2 Miteigentumsanteil. Noch am selben Tage beauftragten sie eine Bauunternehmung mit der Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) setzte durch Änderungsbescheide vom 18. April 1995 gegen die Klägerin und ihren Ehemann unter Einbeziehung der Bauerrichtungskosten in die Gegenleistung Grunderwerbsteuer in Höhe von jeweils 1 751 DM fest.

Gegen diese Bescheide legten die Klägerin sowie ihr Ehemann jeweils getrennt Einspruch ein und beantragten nach ablehnender Entscheidung des FA die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide beim Finanzgericht (FG). Dieses setzte durch Beschluß vom 22. November 1995 ... die Vollziehung der geänderten Grunderwerbsteuerbescheide hinsichtlich eines Teilbetrages von jeweils 1 479 DM aus.

Das FA wies die Einsprüche der Klägerin sowie ihres Ehemannes durch getrennte Entscheidungen vom 20. September 1996 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidungen wurden am 20. September 1996 zur Post gegeben.

Durch Klageschrift vom 17. Oktober 1996, die am 18. Oktober 1996 beim FG einging, erhoben die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Klage für die Klägerin sowie ihren Ehemann, die beide namentlich in der Klageschrift aufgeführt und als "Kläger" bezeichnet sind. Die Klage sollte "wegen Aufhebung eines Grunderwerbsteuerbescheides" erhoben werden. Die Prozeßbevollmächtigten beantragten "für die Kläger ... , den Grunderwerbsteuerbescheid vom 18. April 1995 zur Steuernummer 1 ... in der Form aufzuheben, wie er ihn durch die Einspruchsentscheidung ... gefunden hat". Bei der genannten Steuernummer handelt es sich um die Steuernummer des Ehemannes der Klägerin. Die Klageschrift enthält auch Ausführungen zur Begründung der Klage. Hierin verweisen die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin unter anderem auch auf ihren Schriftsatz vom 7. August 1995 in dem Aussetzungsverfahren. Aus diesem Schriftsatz ist ersichtlich, daß die dort begehrte Aussetzung der Vollziehung für zwei Bescheide, nämlich für einen an die Klägerin und einen an ihren Ehemann gerichteten Bescheid beantragt werden sollte.

Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 1996 beantragten die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, den Klageantrag in der Klageschrift wie folgt zu berichtigen: " ... den Grunderwerbsteuerbescheid vom 18. 4. 1995 zur Steuernummer 1 ... bzw. Steuernummer 2 ... ... aufzuheben". Bei der zuletzt genannten Steuernummer handelt es sich um die die Klägerin betreffende.

Das FG hat das die Klägerin betreffende Verfahren abgetrennt und die Klage der Klägerin als unzulässig abgewiesen. Die Klageschrift vom 17. Oktober 1996 bezeichne als Streitgegenstand lediglich den an den Ehemann der Klägerin gerichteten Grunderwerbsteuerbescheid. Der Klageschrift sei kein Anhaltspunkt zu entnehmen, daß das Rechtsschutzbegehren sich auch auf den gleichzeitig der Klägerin gegenüber ergangenen Grunderwerbsteuerbescheid habe beziehen sollen.

Die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997 Seite 1026 veröffentlicht.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin fehlerhafte Rechtsanwendung des §65 Abs. 2, §67 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 18. April 1995 zur Steuernummer 2 ... sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur weiteren Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

1. Entgegen der Auffassung des FG ergibt sich aus der Klageschrift vom 17. Oktober 1996, daß die Klägerin gegen den in ihrer eigenen Sache ergangenen Grunderwerbsteuerbescheid Klage erhoben hat.

Prozeßerklärungen sind wie sonstige Willenserklärungen auslegungsfähig. Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen (vgl. §133 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Dabei können auch außerhalb der Erklärung liegende weitere Umstände berücksichtigt werden. Die Auslegung einer Prozeßerklärung darf aber nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der (verkörperten) Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen (vgl. Senatsurteile vom 10. Mai 1989 II R 196/85, BFHE 157, 217, BStBl II 1989, 822, 824, und vom 1. April 1981 II R 38/79, BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532, 533, m.w.N.). Auf die Wortwahl und die Bezeichnung kommt es nicht entscheidend an, sondern auf den gesamten Inhalt der Willenserklärung.

Im Streitfall hat das FG verkannt, daß die Klageschrift vom 17. Oktober 1996 ausreichende Anhaltspunkte für ein Klagebegehren der Klägerin gegen den in ihrer eigenen Sache ergangenen Grunderwerbsteuerbescheid enthält. Diese ergeben sich aus dem Hinweis auf die Ausführungen in dem Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 7. August 1995 in dem Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung. Hieraus konnte das FG entnehmen, daß das FA sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber ihrem Ehemann jeweils getrennte Grunderwerbsteuerbescheide erlassen hatte, die von der Klägerin sowie ihrem Ehemann jeweils getrennt angefochten worden waren. Durch die Bezugnahme wird in ausreichendem Maße deutlich, daß es der Klägerin mit ihrer Klage (nur) darum gehen konnte, sich gegen die Rechtmäßigkeit des ihr gegenüber wirksam gewordenen Grunderwerbsteuerbescheides zu wenden. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, Gegenstand der Klage der Klägerin sei der an ihren Ehemann gerichtete Grunderwerbsteuerbescheid gewesen.

Daß die Klageschrift einen konkreten Klageantrag der Klägerin noch nicht enthielt, macht die Klage nicht unzulässig. Denn nach §65 Abs. 1 Satz 2 FGO soll die Klageschrift einen bestimmten Antrag enthalten, dieser kann -- wie im Streitfall geschehen -- nachgeholt werden.

Soweit §65 Abs. 1 Satz 1 FGO im übrigen vorschreibt, daß die Klage den Kläger, den Beklagten, den Gegenstand des Klagebegehrens und bei Anfechtungsklagen auch den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf bezeichnen muß, ist hieraus nicht zu schließen, daß bereits bis zum Ablauf der Klagefrist sämtliche angeführten Bestandteile vorliegen müssen. Der Senat hat in seiner oben genannten Entscheidung in BFHE 133, 151, BStBl II 1981, 532, 534 darauf hingewiesen, daß bis zum Ende der Klagefrist nur die Erfordernisse beachtet sein müssen, von denen es abhängt, ob ein Schriftsatz sich überhaupt als Klageschrift qualifizieren lasse. Hierzu gehört nicht notwendig die Angabe des angefochtenen Verwaltungsaktes. Diesbezüglich hat der Kläger grundsätzlich die Möglichkeit, die fehlende Angabe auch später nachzuholen. Bei zunächst nicht eindeutiger Angabe darf der Kläger die Bezeichnung des angefochtenen Verwaltungsaktes in dem durch den bisherigen Klageinhalt gezogenen Rahmen präzisieren. Diese Präzisierung ist im Streitfall durch den Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 16. Dezember 1996 erfolgt. Zulässigkeitsmängel im Hinblick auf §65 FGO ergeben sich insoweit nicht.

Das auf anderen rechtlichen Erwägungen beruhende Urteil des FG ist aufzuheben.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine ausreichenden Feststellungen getrofen, die es dem Senat ermöglichten, den Streitfall in materiell-rechtlicher Hinsicht zu beurteilen. Diese Feststellungen hat das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67649

BFH/NV 1998, 1235

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