Entscheidungsstichwort (Thema)

Weihnachtszuwendung. Tarifauslegung. Ausscheiden wegen Erwerbsunfähigkeit. ruhendes Arbeitsverhältnis. Gratifikation/Sondervergütung

 

Orientierungssatz

§ 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV Energiewirtschaft ist nicht dahin auszulegen daß für im Laufe des Kalenderjahres infolge Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ausgeschiedene oder in den Ruhestand getretene Arbeitnehmer ein Anspruch auf anteilige Weihnachtszuwendung unabhängig davon begründet werden soll ob deren Arbeitsverhältnis vor dem Ausscheiden geruht hat oder nicht. Vielmehr ist auch deren Anspruch gem. § 17 Abs. 3 RTV Energiewirtschaft um 1/12 der vollen Zuwendung für jeden vollen Monat des Ruhens des Arbeitsverhältnisses im Bezugszeitraum zu kürzen.

 

Normenkette

RTV Energiewirtschaft vom 20. Mai 1994 § 17; BGB § 133

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Urteil vom 28.05.2002; Aktenzeichen 7 Sa 1940/01)

ArbG Kassel (Urteil vom 20.09.2001; Aktenzeichen 6 Ca 150/01)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Zahlung einer tariflichen Weihnachtszuwendung.

Der Kläger war auf Grund eines Arbeitsvertrages vom 15. August 1980 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen als Installationsmeister beschäftigt. Ab 1. Dezember 1992 bezog der Kläger bei gleichzeitigem Ruhen des Arbeitsverhältnisses eine wiederholt befristete Erwerbsunfähigkeitsrente. Mit Rentenbescheid vom 22. Dezember 2000 wurde ihm ab 1. Januar 2001 eine unbefristete Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt, weshalb das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Dezember 2000 endete.

Auf das Arbeitsverhältnis fand der zwischen der Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft abgeschlossene Rahmentarifvertrag vom 20. Mai 1994 (im folgenden: RTV) Anwendung, der in § 17 bestimmt:

“Weihnachtszuwendungen

  • Die Arbeitnehmer erhalten anläßlich des Weihnachsfestes eine Weihnachtszuwendung mindestens in Höhe von 60 % der laufenden Arbeitsbezüge eines Monats. Diese Weihnachtszuwendung erhöht sich im 2. Dienstjahr auf 80 % und im 3. Dienstjahr auf 100 % der laufenden Arbeitsbezüge eines Monats.

    Bei einem Wechsel von Vollzeit- auf Teilzeitbeschäftigung bzw. umgekehrt im laufenden Kalenderjahr wird die unterschiedliche Höhe der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit entsprechend gewichtet berücksichtigt.

  • Die Weihnachtszuwendung steht jedem Arbeitnehmer zu, der sich am 30. November in einem unbefristeten, einem auf mehr als 12 Monate befristeten oder unmittelbar an das Ausbildungsverhältnis anschließenden Arbeitsverhältnis befindet, das mindestens bis zum 31. Januar des folgenden Jahres andauert. Sie wird in Höhe von 1/12 des nach Absatz 1 zustehenden Betrages für jeden vollen Monat gezahlt, in dem das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr bestanden hat.

    Arbeitnehmer, die im Laufe des Kalenderjahres vor dem 1. Dezember infolge Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit (auch zeitlich befristete) ausscheiden oder in den Ruhestand treten, erhalten eine Weihnachtszuwendung in Höhe von 1/12 der laufenden Arbeitsbezüge im Monat ihres Ausscheidens für jeden vollen Monat, in dem ihr Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr bestanden hat. Absatz 1 Satz 3 findet Anwendung.

  • Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Grundwehrdienstes, Zivildienstes, Eignungsübung oder Erziehungsurlaubes ruht, wird die Weihnachtszuwendung in Höhe von 1/24 des nach Absatz 1 zustehenden Betrages für jeden vollen Monat, den das Arbeitsverhältnis ruht, gekürzt. Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit oder aus sonstigen Gründen ruht, und für Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld wird die Weihnachtszuwendung in Höhe von 1/12 des nach Absatz 1 zustehenden Betrages für jeden vollen Monat, den das Arbeitsverhältnis ruht bzw. für den Arbeitslosengeld bezogen wird, gekürzt. Für Zeiten einer Wehrübung findet keine Kürzung statt.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, ihm stehe gem. § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV für das Jahr 2000 die Weihnachtszuwendung zu. Daß er für die Zeit bis 30. Juni 1994 eine Weihnachtszuwendung erhalten habe, beruhe auf der damals geltenden Fassung des RTV, die keinen Anspruchsausschluß für ruhende Arbeitsverhältnisse vorgesehen habe, und stehe nunmehr einem Anspruch im Jahr seines rechtlichen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis nicht entgegen. Der Anspruch gem. § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV bestehe unabhängig von der nunmehr in § 17 Abs. 3 RTV vorgesehenen Kürzungsregelung für ruhende Arbeitsverhältnisse.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.384,10 DM brutto nebst 9,26 % Zinsen seit dem 01. Januar 2001 zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV sehe einen Anspruch auf eine (anteilige) Weihnachtszuwendung nur vor, wenn ein Arbeitnehmer wegen Erwerbsunfähigkeit aus seiner aktiven Beschäftigung ausscheide, nicht aber erneut, wenn eine befristete in eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit übergehe und deshalb das Arbeitsverhältnis ende. Ein Anspruch des Klägers auf die Zuwendung scheide auch deshalb aus, weil er nicht gem. § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 RTV bis zum 31. Januar des folgenden Jahres in einem fortdauernden Arbeitsverhältnis gestanden habe und zudem entgegen § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV nicht vor dem 1. Dezember ausgeschieden sei. Jedenfalls verkürze sich ein etwaiger Anspruch gemäß der speziellen Regelung in § 17 Abs. 3 RTV auf Null.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, selbst wenn dem Kläger gem. § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV ein Anspruch auf Weihnachtszuwendung zustehe, sei dieser gem. § 17 Abs. 3 RTV auf Null gekürzt, weil das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr durchgehend geruht habe. § 17 RTV sei dahin auszulegen, daß die Abs. 2 und 3 nebeneinander anzuwenden seien. In Abs. 3 komme zum Ausdruck, daß auch die tatsächliche Arbeitsleistung belohnt werden solle, ohne daß zwischen fortbestehenden Arbeitsverhältnissen und ausscheidenden Arbeitnehmern unterschieden werde. Durch § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV würden erwerbsunfähige Arbeitnehmer nur insoweit privilegiert, als es auf künftige Betriebstreue bei ihnen nicht mehr ankomme. Es sei im übrigen durchaus möglich, daß trotz Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch Arbeitsleistung erbracht werde, weshalb kein Wertungswiderspruch zwischen § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 und § 17 Abs. 3 RTV bestehe.
  • Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.

    1. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Wortlaut zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 31. Juli 2002 – 10 AZR 578/01 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167 mwN).

    2. Es kann dahinstehen, was unter dem Begriff “ausscheiden” im Sinn von § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV zu verstehen ist. Selbst wenn man mit dem Kläger und dem Landesarbeitsgericht darunter erst die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nicht bereits den Eintritt des Ruhens verstehen und darüber hinaus davon ausgehen würde, daß ein Ausscheiden erst nach dem 30. November nicht zum Anspruchsverlust führt (vgl. zu einer ähnlichen Problematik BAG 14. November 2001 – 10 AZR 238/01 – BAGE 99, 317), hätte der Kläger keinen Anspruch auf die Weihnachtszuwendung. Dem Landesarbeitsgericht wäre nämlich jedenfalls darin beizupflichten, daß § 17 Abs. 3 RTV anwendbar bliebe und letztlich im Fall des Klägers zur Kürzung des Anspruchs auf Null führen würde.

    a) Völlig zutreffend hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß diese Kürzungsregelung den Willen der Tarifvertragsparteien belegt, im Regelfall nicht nur Betriebstreue, sondern aktive Arbeitsleistung in der Vergangenheit zu belohnen und bei fehlender Arbeitsleistung die Weihnachtszuwendung nicht oder nur teilweise zu gewähren. Dieser Wille kommt auch in § 17 Abs. 1 Unterabs. 2 RTV zum Ausdruck.

    b) Nach der Systematik des Tarifvertrages enthält § 17 Abs. 1 RTV die grundlegende Anspruchsnorm für die Weihnachtszuwendung. Die Anspruchsvoraussetzungen werden sodann in § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 RTV dahin konkretisiert, daß das Arbeitsverhältnis am 30. November als unbefristetes, als ein auf mehr als 12 Monate befristetes oder als ein solches Arbeitsverhältnis bestehen muß, das sich unmittelbar an das Ausbildungsverhältnis anschließt und mindestens bis zum 31. Januar des folgenden Jahres andauert. Danach wären vor dem 31. Januar wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder wegen Eintritts in den Ruhestand ausscheidende Arbeitnehmer nicht anspruchsberechtigt. Da dies von den Tarifvertragsparteien offenbar nicht gewollt war, wurde in § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV festgelegt, daß diese Arbeitnehmer immerhin einen anteiligen Anspruch für die Monate behalten sollten, in denen ihr Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr bestanden hatte. Damit stellt sich § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV als Ausnahmevorschrift gegenüber § 17 Abs. 1 iVm. Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 RTV dar.

    c) Dafür, daß der Fall des Ausscheidens als eigenständige Anspruchsvoraussetzung gewollt war, gibt die Systematik des Tarifvertrages demgegenüber keinen Anhaltspunkt. Bei einem solchen Willen der Tarifvertagsparteien hätte mangels sonstiger greifbarer Anhaltspunkte die Regelung nicht als Unterabs. 2 des Abs. 2, sondern als eigenständiger Absatz, am deutlichsten erst als Abs. 4, des § 17 RTV erfolgen müssen. Entgegen der Ansicht des Klägers kann deshalb aus der Bezugnahme auf Abs. 1 in § 17 Abs. 3 Satz 2 RTV nicht darauf geschlossen werden, die Kürzungsregelung finde in den Fällen des Ausscheidens eines Arbeitnehmers gem. § 17 Abs. 2 Unterabs. 2 RTV keine Anwendung. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß etwas anderes allenfalls dann anzunehmen wäre, wenn ein Ausscheiden als rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Sinne dieser Bestimmung stets nur nach einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall.

  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Staedtler, Tirre

 

Fundstellen

Haufe-Index 961106

FA 2003, 346

NZA 2004, 456

EzA-SD 2003, 5

EzA

NJOZ 2004, 1530

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