Rz. 22

Nach § 91 Abs. 1 AO soll dem Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Einer ausdrücklichen Aufforderung zur Äußerung bedarf es hierfür grds. nicht.[1] Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Beteiligte fachkundig vertreten ist[2] oder der Sachverhalt aus der Sphäre des Beteiligten stammt.[3] Die Gelegenheit kann sich auch konkludent aus den Umständen ergeben, z. B. durch die Mitteilung über die Eröffnung eines Besteuerungsverfahrens oder eine Information über die tatsächlichen Verhältnisse, die die Finanzbehörde der vorgesehenen Regelung zugrunde zu legen beabsichtigt. Wird im Fall einer mündlichen Anhörung einem Antrag des Beteiligten auf Terminverlegung nicht entsprochen, so kann darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen, wenn dem Beteiligten trotz hinreichender eigener Bemühungen hierdurch im Ergebnis die Möglichkeit zur Äußerung verweigert oder abgeschnitten wurde.[4]

 

Rz. 23

Die sachgerechte Ausübung des Anhörungsrechts erfordert immer eine detaillierte Information des Beteiligten über die aus Sicht der Finanzbehörde relevanten Tatsachen, Erfahrungssätze und Beweisergebnisse. Nur durch diese Information wird es ihm möglich, auf die Sachentscheidung der Finanzbehörde noch konkret darstellend Einfluss zu nehmen.[5] Die Finanzbehörde ist aber nicht verpflichtet, den Beteiligten über ihre beabsichtigte Entscheidung in Kenntnis zu setzen.[6] Eine erneute Anhörung ist erforderlich, wenn sich die entscheidungserheblichen Tatsachen wesentlich ändern.[7]

 

Rz. 24

Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs beinhaltet das Recht auf Anhörung. Dies bedeutet einerseits, dass der Beteiligte nach § 91 Abs. 1 AO nicht zur Äußerung verpflichtet werden kann. Es steht jedem Beteiligten frei, ob er sich äußern will oder nicht.[8] Eine entsprechende Unterlassung ist keine Mitwirkungspflichtverletzung und schränkt die Rechtsposition des Beteiligten nicht ein. Insbesondere bleiben die Beweislastregeln hiervon unberührt.[9] Dem Beteiligten ist es daher unbenommen, sein Vorbringen ggf. in einem sich anschließenden Einspruchs- oder Klageverfahren nachzuholen.[10] Er wird mit seinem Vortrag nicht präkludiert. Zur Auskunftserteilung kann die Finanzbehörde den Beteiligten nur durch ein Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO verpflichten.

 

Rz. 25

Andererseits folgt aus dem Anhörungsrecht aber auch keine Verpflichtung der Finanzbehörde, den Tatsachenvortrag des Beteiligten mit diesem zu erörtern.[11] Sie ist lediglich verpflichtet, die Ausführungen des Beteiligten entgegenzunehmen, zu prüfen und zu werten. Um dies zu dokumentieren, sollte die Finanzbehörde das Vorbringen des Beteiligten in der Begründung des Verwaltungsakts entsprechend würdigen. Eine Erörterungspflicht kann sich nur aus der Sachaufklärungs-[12] oder der Fürsorgepflicht[13] ergeben.

[1] Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 28 VwVfG Rz. 20; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 15.
[3] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 88.
[5] Roser, in Gosch, AO/FGO, § 91 AO Rz. 7; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 88.
[6] BFH v. 7.1.2003, VII B 196/01, BFH/NV 2003, 445; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 28 VwVfG Rz. 15.
[7] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 95.
[8] BFH v. 3.9.2001, GrS 3/98, BStBl II 2001, 802; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 28 VwVfG Rz. 14; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 15.
[10] Koenig/Hahlweg, AO, 4. Aufl. 2021, § 91 Rz. 22; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 91 AO Rz. 14.
[11] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 15; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 83.

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