Rz. 50

Die Haftung nach § 75 AO ist zwar persönlich (s. Rz. 2), aber beschränkt auf den Bestand des übernommenen Vermögens. Diese dem früheren § 419 Abs. 2 S. 1 BGB nachgebildete Beschränkung schützt den Erwerber vor übermäßigem Risiko. Allerdings spricht das Gesetz unzutreffend vom übernommenen Vermögen, während bei der Haftung nach § 75 AO ein Unternehmen bzw. Teilbetrieb übernommen worden sein muss.

Die Haftung ist sachbezogen, d. h. der Haftungsschuldner haftet nicht in Höhe des Werts des übernommenen Vermögens, sondern mit diesem Vermögen. Diese Beschränkung ist vergleichbar mit der beschränkten Erbenhaftung[1] sowie der Beschränkung der Haftung der anderen in § 786 ZPO aufgeführten Personengruppen. Der Haftungsbescheid soll die gegenständliche Beschränkung nennen. Es reicht, wenn der Vermögenswert angegeben ist, auf den die Haftung beschränkt ist. Die genaue Bezeichnung der einzelnen Vermögensgegenstände kann allenfalls bei der Vollstreckung in diese wegen der Nichtzahlung der Haftungsschuld Bedeutung erlangen.[2] Der Haftungsschuldner muss, wenn er die Ansprüche nicht erfüllen kann oder will, die Vollstreckung in das Geschäftsvermögen dulden. Es handelt sich also um eine Haftung, die im Ergebnis einer Duldung gleicht. Werden hierbei Gegenstände gepfändet oder beschlagnahmt, die nicht zum Geschäftsvermögen gehören, muss er dies im Weg des Einspruchs geltend machen.[3] Auch im Übrigen kann die Haftungsbeschränkung nur im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens durch Einwendungen geltend gemacht werden.[4]

 

Rz. 50a

Maßgeblich ist der jeweilige Bestand des Vermögens im Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Hierbei werden allerdings Surrogate erfasst, die an die Stelle von Gegenständen getreten sind, soweit diese nach der Übereignung aus dem Geschäftsvermögen ausgeschieden sind. Das ist nicht etwa der Erlös (z. B. bei Inzahlunggabe) oder Wert im Zeitpunkt des Verlassens des Unternehmens[5], sondern grundsätzlich der Ersatzgegenstand.[6] Veräußert der Erwerber das Unternehmen während des Rechtsbehelfsverfahrens über den Haftungsbescheid weiter, so ist entsprechend § 281 BGB der erzielte Gegenwert herauszugeben.[7] Wird ein Gegenwert nicht erzielt, wie z. B. bei der Umwandlung eines Einzelunternehmens in eine GmbH, so ist eine solche Surrogation ausgeschlossen.

Vielfach werden allerdings im Anschluss an die Übernahme eines Unternehmens oder Teilbetriebs an sich nicht notwendige, aber sinnvolle Investitionen getätigt, die auch den Austausch alter und neuer Anlagegüter betreffen.

Durch das Surrogationsprinzip würde sich daher, wenn dieses nicht eingeschränkt wird, häufig die Haftungsgrundlage gegenüber dem Übertragungszeitpunkt erhöht haben, wenn das FA den Erwerber in Anspruch nimmt. Bei der Übernahme des Wortlauts des früheren § 419 Abs. 2 BGB in § 75 AO ist dem unterschiedlichen Ansatz Vermögensübernahme[8] und Unternehmenserwerb[9] nicht ausreichend Rechnung getragen worden. Deswegen muss eine Reduktion des Haftungsumfangs im Fall der Surrogation bei § 75 AO auf den Wert des übernommenen und durch das Surrogat ersetzten Gegenstands vorgenommen werden.[10]

[4] FG Nürnberg v. 13.11.1990, II 211/89, EFG 1991, 710; BFH v. 18.3.1986, VII R 146/81, BStBl II 1986, 589; ausdrücklich offen gelassen von BFH v. 22.9.1992, VII R 73—74/91, BFH/NV 1993, 215.
[5] So unzutreffend Heinke, DStZ 1980, 208, 211; wie hier Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 75 AO Rz. 62.
[6] Palandt/Bassenge, BGB, 79. Aufl. 2020, Einl. vor § 854 BGB Rz. 5e.
[7] FG München v. 21.5.1985, XI (XIII) 76/80 AO 2, EFG 1985, 587.
[8] § 419 BGB a. F.
[9] § 75 AO.
[10] A. A. Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 75 AO Rz. 62.

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