Rz. 158

Für den besonders schweren Fall nach § 370 Abs. 3 S. Nr. 1 AO ist zu berücksichtigen, dass § 370 Abs. 3 AO durch das Telekommunikationsgesetz (s. Rz. 1a) Wirkung v. 1.1.2008 neu gestaltet worden ist. Ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung i. S. d. aktuellen Regelbeispiels kann daher erst vorliegen, wenn die Tathandlung (s. Rz. 36) in 2008 oder danach begangen worden ist[1].

 

Rz. 158a

Für die bis zum 31.12.2007 begangenen Taten gilt die alte Regelung.

Als erstes Beispiel für den Fall einer besonders schweren Steuerhinterziehung nannte das Gesetz den Fall, dass der Tatbeteiligte aus grobem Eigennutz handelt und den Taterfolg (s. Rz. 76) in großem Ausmaß bewirkt. Das Regelbeispiel ist nur dann erfüllt, wenn beide Merkmale gleichzeitig vorliegen[2].

 

Rz. 158b

Aus grobem Eigennutz handelt nur, wer seinen Vorteil in besonders anstößiger Weise erstrebt, also ein Gewinnstreben zeigt, das das einer Steuerhinterziehung immanente Gewinnstreben deutlich übersteigt[3]. Erforderlich sind eine besondere kriminelle Energie, die sich in der Art und der Häufigkeit der Begehung ausdrückt, sowie ein besonderer Grad der Gewinnsucht[4].

 

Rz. 159

Das große Ausmaß ergibt sich aus dem Umfang des vom Tatbeteiligten erlangten Steuervorteils oder der tatsächlich eingetretenen Steuerverkürzung (s. Rz. 214). Es bemisst sich in diesem Fall nach dem Steuerschaden und nicht nach dem vom Tatbeteiligten erlangten Vermögensvorteil. Der Wert ist objektiv zu bestimmen[5]. Hierbei wird regelmäßig wohl nur eine Hinterziehung auf Dauer (s. Rz. 222) dieses Merkmal erfüllen können[6], da bei einer Hinterziehung auf Zeit der Schadensumfang (s. Rz. 226) diese Qualifizierung äußerst selten rechtfertigen wird.

 

Rz. 159a

Für die ab dem 1.1.2008 begangenen Taten gilt die neue Regelung, in der das subjektive Moment des groben Eigennutzes (s. Rz. 158b) entfallen ist und das Regelbeispiel nur an das große Ausmaß des Taterfolgs (s. Rz. 159) anknüpft.

 

Rz. 159b

Wann das große Ausmaß des Taterfolgs erreicht ist, ist gesetzlich nicht geregelt. Folglich wurden dazu in der Literatur unterschiedliche Werte genannt. Die h. M. nahm ein großes Ausmaß grundsätzlich nur bei einer Hinterziehung i. H. v. 500.000 EUR an[7].

 

Rz. 160

Der 1. Strafsenat des BGH hat sich im Urteil v. 2.12.2008[8] für die Gleichstellung mit der Rechtsprechung des BGH zum Betrug entschieden (s. dort Rz. 31, 37) und geht zunächst von einer Wertgrenze bei 50.000 EUR pro Tat aus. Allerdings soll diese Wertgrenze nur dann gelten, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom FA erlangt hat, "etwa bei Steuererstattungen durch Umsatzsteuerkarusselle, Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen" (Rz. 38 der Entscheidung). Eine Auszahlung steht der Verrechnung mit anderen Steueransprüchen gleich[9]. Der Senat zieht hingegen die Wertgrenze bei 100.000 EUR pro Tat, wenn sich die Tathandlung darauf beschränkt, dass der Täter die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis lässt[10] und dadurch den Steueranspruch nur gefährdet (vgl. Rz. 7a), was auch den Fall der "normalen" Steuerhinterziehung einschließen dürfte, bei der der Täter gegenüber den Finanzbehörden unrichtige oder unvollständige Angaben macht[11] und dadurch bewirkt, dass die Steuer nicht in voller Höhe festgesetzt wird[12].

Es ist – schon im Hinblick auf die Strafverfolgungsverjährung (s. Rz. 157) – zu begrüßen, dass der Senat durch feste Wertgrenzen Rechtssicherheit schafft. Ferner ist positiv, dass der BGH durch dieses Urteil eine Harmonisierung mit den Strafzumessungserwägungen im allgemeinen Strafrecht herbeiführt, da ein besonders schwerer Fall i. S. d. § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 Var. 1 StGB auch bei einer Regelgrenze von 50.000 EUR anzusetzen ist und ein Gefährdungsschaden in gleicher Höhe die Regelwirkung noch nicht begründet[13].

 

Rz. 160a

Bei tateinheitlicher Verwirklichung mehrerer Steuerhinterziehungen, also bei der gleichzeitigen Abgabe mehrerer unrichtiger Steuererklärungen (s. Rz. 188, 191), ist nach Ansicht des BGH das "Ausmaß" des jeweiligen Taterfolgs zu addieren[14]. In Fällen, in denen aufgrund großer Geschäftsvolumina hohe Steuerschäden schnell erreicht werden, kann dies bei der Frage von Bedeutung sein, ob im Einzelfall trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall anzunehmen ist. Darüber hinaus kann dieser Gesichtspunkt auch bei der Strafzumessung von Bedeutung sein. Dasselbe gilt, wenn der Täter die verkürzte Steuer später nachzahlt.

[2] BGH v. 13.6.1985, 4 StR 219/85, HFR 1986, 426; BGH v. 23.3.1994, 5 StR 38/094, wistra 1994, 228.
[3] BGH v. 18.7.1985, 2 StR 237/84, HFR 1985, 40; BGH v. 13.6.1985, 4 StR 219/85, HFR 1986, 426; BGH v. 22.6.1990, 3 StR 471/89, HFR 1991, 437.
[4] BGH v. 20.11.1990, 1 StR 548/90, wistra 1991, 106.
[5] BGH v. 2.12.2008, 1 StR 416/08, BFH/NV 2009, 536, Tz. 34; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 263 Rz. 122.
[6] Felix, KÖSDI 1986, 6298.

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