Rz. 9

§ 365 Abs. 3 AO entspricht inhaltlich § 68 FGO. Der ändernde bzw. ersetzende Verwaltungsakt ("neuer Verwaltungsakt") wird mit seinem Erlass kraft Gesetzes automatisch zum Gegenstand des anhängigen Einspruchsverfahrens gegen den geänderten oder ersetzten Verwaltungsakt ("alter Verwaltungsakt"). Der "alte Verwaltungsakt" ist nicht mehr Gegenstand des Einspruchsverfahrens und unterliegt demgemäß nun nicht mehr der behördlichen Prüfung, solange der "neue Verwaltungsakt" Bestand hat.[1] Wird der "neue Verwaltungsakt" im Einspruchsverfahren aufgehoben, so setzt sich dies gegen den "alten Verwaltungsakt" fort.

Die Regelung des § 365 Abs. 3 AO tritt bei Erlass eines "neuen Verwaltungsakts" während des anhängigen Einspruchsverfahrens gegen den "alten Verwaltungsakt" zwingend ein.[2] Es kommt ausschließlich darauf an, dass ein "neuer Verwaltungsakt" i. S. v. § 365 AO vorliegt. Der materielle Inhalt dieses "neuen Verwaltungsakts" ist insoweit ohne Bedeutung.[3] Die Regelung greift auch ein, wenn mehrere "neue Verwaltungsakte" nacheinander ergehen.[4]

Die Anwendung des § 365 Abs. 3 AO setzt die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens gegen den "alten Verwaltungsakt" voraus. Die Ersetzungsregelung findet keine Anwendung auf Änderungen im Besteuerungsverfahren außerhalb eines Einspruchsverfahrens.[5] Eine Änderung oder Ersetzung vor der Einlegung des Einspruchs oder nach Abschluss des Verfahrens durch Rücknahme oder durch Einspruchsentscheidung[6] begründet die Rechtsfolge nicht. Für eine entsprechende Anwendung in diesen Zeiträumen besteht kein Bedürfnis. Eine Änderung oder Ersetzung nach Erlass der Einspruchsentscheidung, aber vor der Klageerhebung gegen den "alten Verwaltungsakt" führt zur entsprechenden Anwendung im Rahmen des § 68 FGO.[7] Wird jedoch vor Ergehen der Einspruchsentscheidung nach § 46 FGO eine Untätigkeitsklage erhoben, findet § 365 Abs. 3 AO noch Anwendung.[8]

 

Rz. 10

Mit der Einlegung des Einspruchs bestimmt der Einspruchsführer den Gegenstand des Verfahrens, d. h. den Verwaltungsakt, der im Einspruchsverfahren überprüft werden soll. Er legt damit die Überprüfungs- und Entscheidungspflicht der Finanzbehörde eindeutig fest. Die Finanzbehörde kann keinen anderen Verwaltungsakt zum Gegenstand ihrer Entscheidung machen.

Im Rahmen des Einspruchsverfahrens besteht für die Finanzbehörde nach § 367 AO ausdrücklich das Recht, bei einem zulässigen Einspruch den Regelungsinhalt des angefochtenen Verwaltungsakts zu modifizieren, sie kann dem Einspruchsbegehren entsprechen und dem Einspruch ganz oder teilweise abhelfen, sie kann – allerdings eingeschränkt – die angefochtene Regelung auch verbösern. Diese Korrekturbefugnis ist unabhängig von den allgemeinen Korrekturbestimmungen. Durch die Anhängigkeit des Einspruchsverfahrens ist der Finanzbehörde allerdings nicht die Befugnis genommen, den angefochtenen Verwaltungsakt nach den allgemeinen Korrekturbestimmungen zurückzunehmen, zu widerrufen, aufzuheben, zu berichtigen oder zu ändern.

 

Rz. 11

§ 365 Abs. 3 AO regelt die verfahrensmäßigen Rechtsfolgen dieser "Korrektur" des angefochtenen Verwaltungsakts für das Einspruchsverfahren. Durch die Regelung des § 365 Abs. 3 AO soll verhindert werden, dass sich die Finanzbehörde aufgrund ihrer Korrekturmöglichkeit und Abhilfebefugnis ihrer Entscheidungspflicht im Einspruchsverfahren entzieht und dem Stpfl. die erneute Einspruchseinlegung aufbürdet.[9]

 

Rz. 12

§ 365 AO ist eine Norm mit einem ausschließlich verfahrensrechtlichen Zweck und Rechtscharakter. Unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die Begriffe "Änderung" und "Ersetzung" aus verfahrensrechtlicher Sicht bestimmt werden. Diese Bestimmung hat unabhängig vom Sprachgebrauch der AO und der Steuergesetze zu erfolgen und unabhängig von der strittigen rechtsdogmatischen Erklärung des Verhältnisses zwischen Erst- und Korrekturbescheid, also zwischen dem "alten" und dem "neuen Verwaltungsakt".[10] Die Begriffe sind entsprechend der bezweckten Verfahrensvereinfachung weit auszulegen.[11] Maßgeblich ist allein, dass "dieselbe Steuersache" durch die Regelung im "alten Verwaltungsakt" und im "neuen Verwaltungsakt" betroffen ist.[12]

 

Rz. 12a

Durch die Regelung des § 365 Abs. 3 AO ist hinsichtlich des "neuen Verwaltungsakts" bereits ein Einspruchsverfahrens kraft Gesetzes anhängig. Es kann also gegen diesen Verwaltungsakt kein zweites Einspruchsverfahren anhängig gemacht werden. Eine erneute Anfechtung des "neuen Verwaltungsakts" ist nicht erforderlich und mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.[13]

Hierauf hat die Behörde in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen. Ein gleichwohl eingelegter Einspruch ist als Wiederholung der Einspruchseinlegung rechtlich irrelevant. Hierdurch wird kein neues Einspruchsverfahren anhängig.[14] Behandelt die Finanzbehörde jedoch diesen "wiederholten" Einspruch als gesonderten Einspruch und erlässt eine gesonderte Einspruchsentscheidung, so entstehen dem Einspruchsführer hieraus keine Nachteile. Die Einspruchsentscheidung wäre im Klageweg isoliert ang...

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