Rz. 39

Die Mitwirkungspflichten der Beteiligten[1] dienen der Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen als Mittel dazu und sind damit u. a. auch integrales Prinzip des Untersuchungsgrundsatzes.[2] Zugleich bilden sie eine Grenze der behördlichen Ermittlungspflicht (Rz. 22). Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten begründen eine Verantwortungsgemeinschaft von Verwaltung und Beteiligten für die Sachaufklärung.[3] Das Gewicht der Verantwortung folgt hierbei maßgeblich den Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Sachverhaltsgestaltung und –ermittlung.[4] Denn dem Stpfl. sind grundsätzlich alle entscheidungserheblichen Tatsachen bekannt, während diese der Finanzbehörde im Regelfall zunächst unbekannt sind und erst durch die Mitwirkungspflichten im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung bekannt werden. Dies folgt aus der logischen Beweisnähe des Stpfl. zu den Vorgängen seiner Lebenssphäre.[5]

 

Rz. 40

Die Pflicht zur Mitwirkung beinhaltet auch eine Mitverantwortung für die Folgen nicht erreichter Sachverhaltsaufklärung.[6] Die Folge fehlender Aufklärbarkeit des Sachverhalts aufgrund einer Verletzung der Mitwirkungspflicht besteht regelmäßig in der Begrenzung der Amtsermittlungspflicht und einer Minderung des Beweismaßes. Sie führt dagegen nicht zu einer Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast (vgl. Rz. 80). Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung dieses Ursache-Folge-Verhältnisses findet sich in § 162 Abs. 2 AO. Die Schätzungsbefugnis der Finanzbehörde ist nichts anderes als das Recht zur Schlussfolgerung mit vermindertem Überzeugungsgrad, d. h. aufgrund eines verminderten Beweismaßes. Wollte man in diesen Fällen stattdessen nach den Regeln der objektiven Beweislast verfahren, könnten keine Besteuerungsgrundlagen i. S. steuerbegründender, und damit den Stpfl. belastender Merkmale festgestellt werden. Auf diese Weise würde der "Beweisverderber" honoriert.[7] Im Allgemeinen kann und darf die Finanzbehörde in einem solchen Fall von einem Sachverhalt ausgehen, für den die größte Wahrscheinlichkeit spricht.

 

Rz. 41

Zwischen Ermittlungs- und Mitwirkungspflicht besteht somit eine Wechselwirkung. Die gemeinsame Verantwortung für die Sachverhaltsaufklärung (Rz. 39) hat zur Folge, dass nicht jede Verletzung der Mitwirkungspflicht ohne Weiteres über die Reduzierung des Beweismaßes zu einer Minderung der Amtsermittlungspflicht führt. Die Finanzbehörde muss sich, um ihrem Auftrag aus § 85 AO gerecht zu werden, zunächst grundsätzlich anderer Beweismittel bedienen.[8] Für die von ihr in diesen Fällen weiterhin geforderte Intensität der Ermittlungen gibt es keine Faustformel. Es ist vielmehr unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach folgenden Kriterien von Fall zu Fall eine Interessenabwägung vorzunehmen[9]:

  • Grad der Pflichtverletzung,
  • Erwägungen der Verfahrensökonomie (weitere Erkenntnisquellen und deren Zugänglichkeit),
  • Gedanke der Zumutbarkeit (Einholung fachkundiger Beratung),
  • "Ingerenz" (ungewöhnliche Sachverhaltsgestaltung; ungeordnete Verhältnisse),
  • Gedanke der Beweisnähe.
 

Rz. 42

Der Stpfl. oder weitere beteiligte Personen sind dabei sozusagen Informations- und Beweismittel in eigener oder fremder Steuersache.[10]

Rz. 43 einstweilen frei

[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 88 AO Rz. 3.
[3] Koenig/Hahlweg, AO, 5. Aufl. 2024, § 88 Rz. 9; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 88 AO Rz. 24; Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 88 Rz. 45.
[5] BFH v. 16.9.1987, II R 237/84, BFH/NV 1988, 690; Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 88 Rz. 46.
[7] BFH v. 15.2.1989, X R 16/86, BStBl II 1989, 462; Koenig/Hahlweg, AO, 5. Aufl. 2024, § 88 Rz. 31 m. w. N.
[9] BFH v. 15.2.1989, X R 16/86, BStBl II 1989, 462; BFH v. 17.3.1997, I B 123/95, BFH/NV 1997, 730; BFH v. 9.6.2005, IX R 75/03, BFH/NV 2005, 1765; Drüen, in HHSp, AO/FGO, § 88 AO Rz. 226; Klein/Rätke, AO, 17. Aufl. 2023, § 88 AO Rz. 46.
[10] Rz. 22; ähnl. Drüen, in HHSp, AO/FGO, § 88 AO Rz. 240.

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