Rz. 9

§ 10 Abs. 1 S. 2 ErbStG bestimmt, wie die Bereicherung des Erwerbers beim Erwerb von Todes wegen zu ermitteln ist. Aus der Vorschrift ergibt sich für den steuerpflichtigen Erwerb[1] folgendes Berechnungsschema:

Gesamter Vermögensanfall (bewertet gem. § 12 ErbStG i. V. m. BewG)

./. nach § 10 Abs. 5–9 ErbStG abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten (bewertet gem. § 12 ErbStG i. V. m. BewG)

./. steuerfreie Beträge nach §§ 5, 13, 13a, 13d, 18 ErbStG und Freibeträge nach §§ 16, 17 ErbStG

= steuerpflichtiger Erwerb.

2.2.1 Gesamter Vermögensanfall

 

Rz. 10

Ausgangsgröße des steuerpflichtigen Erwerbs ist der gesamte Vermögensanfall; er umfasst die Gesamtheit des auf den Erben übergehenden Vermögens. Beim Erwerb durch Erbanfall besteht grundsätzlich Identität zwischen dem, was der Erblasser im Todeszeitpunkt hatte, und demjenigen, was auf den oder die Erben im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922 BGB übergeht.

 

Rz. 11

Befindet sich ein Gegenstand im Zeitpunkt des Erbfalls nicht im Vermögen des Erblassers, so kann er nicht Besteuerungsgegenstand sein. Deshalb sind die Grundsätze der mittelbaren Zuwendung (insb. der mittelbaren Grundstückschenkung[1]) bei Erwerben von Todes wegen unanwendbar. Ebenso umfasst der Erwerb von Todes wegen nicht den Erlös aus der Veräußerung des Erbteils.

 

Rz. 12

Der Vermögensanfall kann nur vererbliche Vermögensgegenstände (dies sind alle dinglichen und persönlichen Vermögensrechte) umfassen; unvererbliche Rechte (z. B. Unterhaltsansprüche oder ein an die Person des Berechtigten gebundenes Nießbrauchsrecht) begründen keinen Vermögensanfall.

2.2.2 Zurechnungsfragen

 

Rz. 13

Welche Vermögensgegenstände dem Grunde nach bei der Bewertung des Vermögensanfalls zu berücksichtigen sind, beurteilt sich nach gefestigter Rspr. nach zivilrechtlichen und nicht nach steuerrechtlichen Grundsätzen.[1] Eine Zurechnung von Vermögensgegenständen unter dem Gesichtspunkt eines bloß wirtschaftlichem Eigentums ist damit grundsätzlich ausgeschlossen[2]; § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist demnach für die Erbschaftsteuer nicht anwendbar.[3]

 

Rz. 13a

Diese nahezu unbestrittene Auffassung in Rspr. und Schrifttum begegnet jedoch Bedenken. Zwar nehmen insbesondere §§ 3, 7 ErbStG zivilrechtlich geprägte Begriffe in Bezug, die in diesem Zusammenhang auch nur zivilrechtlich verstanden und ausgelegt werden können. § 10 ErbStG überführt jedoch den steuerpflichtigen Vorgang in eine Bemessungsgrundlage. Die Bereicherung als Anknüpfungspunkt der steuerlichen Belastungsentscheidung ist dabei eine genuin wirtschaftliche Größe. Es ist zu unterscheiden zwischen der Vermögensposition, die nach zivilrechtlichen Regeln übergeht, und der steuerlichen Abbildung dieses Vorgangs.[4] Zudem sah sich auch die Rspr. veranlasst, die zivilrechtliche Betrachtungsweise in verschiedenen Konstellationen zugunsten einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aufzugeben.[5]

 

Rz. 13b

Die Frage nach der Auslegung stellt sich seit dem 3. Erbschaftsteuerurteil mit zusätzlicher Schärfe. Das BVerfG führt dort unter Rückgriff auf frühere Entscheidungen[6] aus, dass die Finanzgerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 42 AO nach Möglichkeit gehalten sind, "mithilfe dieser Bestimmung über den Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerrecht solchen Gestaltungspraktiken entgegenzuwirken, die sonst zur Verfassungswidrigkeit einer Norm führen".[7] Es bleibt abzuwarten, welche Rezeption diese Aussagen in der finanzgerichtlichen Rspr. finden werden.[8]

 

Rz. 14

Bei schwebenden Rechtsgeschäften ist bei der Ermittlung des Gesamtwerts des Nachlasses ggf. eine zeitanteilige Abgrenzung der übergegangenen Vermögensrechte und Verbindlichkeiten erforderlich. So ist z. B. der Gesamtwert des Nachlasses bezüglich eines Mietverhältnisses um den Wert solcher Mietzinsen für ein zum Nachlass gehörendes Grundstück zu kürzen, die vor dem Tod des Erblassers fällig geworden sind, jedoch auf einen Zeitraum nach dessen Tod entfallen.[9] Die zeitanteilige Zerlegung der Mietzinsen hat nach Maßgabe des § 101 Nr. 2 2. Halbs. BGB zu erfolgen. Damit gehören beim Erbfall vorhandene rückständige Mietforderungen und vom Erblasser geleistete Zahlungen für Zeiträume nach dem Todeszeitpunkt zum Vermögensanfall. Ebenfalls müsste für vom Erblasser geleistete Mietvorauszahlungen ein Nutzungsrecht gem. § 16 BewG berücksichtigt werden. Zur Behandlung von Sachleistungsansprüchen und -verpflichtungen aus schwebenden Geschäften im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Übereignung eines Grundstücks vgl. § 12 ErbStG Rz. 122.

 

Rz. 14a

Restitutionsansprüche nach dem VermG sind dem Grunde nach im Nachlass zu erfassen, wenn der Berechtigte einen Antrag nach § 30 VermG gestellt hat.[10] Wird der Antrag erst später von einem Rechtsnachfolger eines verstorbenen Berechtigten gestellt, ist der Anspruch bereits im Nachlass des ursprünglich Berechtigten zu erfassen; bereits durchgeführte Erbschaftsteuerveranlagungen sind ggf. zu ändern. Die Besteuerung ist auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage vorzun...

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