Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristwahrende Geltendmachung von Steuererstattungsansprüchen -- Geltung der RAO

 

Leitsatz (NV)

1. Die in § 152 Abs. 3 AO bestimmte (Ausschluß-)Frist zur Geltendmachung von Steuererstattungsansprüchen beginnt erst, wenn der Erstattungsberechtigte die anspruchsbegründenden Ereignisse erkennen konnte und mußte; dafür genügt die (ihm zurechenbare) tatsächliche Kenntnis vom Inhalt des als nichtig gerügten Steuerbescheids sowie der hierauf geleisteten Zahlung.

2. Die Übergangsvorschrift des Art. 97 § 14 Abs. 1 EGAO ist auf vor Ablauf des 31. Dezember 1976 entstandene Erstattungs ansprüche nicht anwendbar, weil die Reichsabgabenordnung einer gesonderten Zahlungsverjährung unterliegende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. von § 228 Abs. 1 AO 1977 nicht kannte.

 

Normenkette

AO § 144 Abs. 1 S. 1, § 145 Abs. 2 Nr. 2a, § 152 Abs. 1, 3; AO 1977 §§ 47, § 228 ff., § 232; EGAO Art. 97 § 10 Abs. 1-2, § 14 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist neben weiteren Personen Vorerbe und Vermächtnisnehmer nach seinem 1974 verstorbenen Vater (Erblasser). Dieser hatte gemeinschaftliche Testamentsvollstreckung durch die Rechtsanwälte A und B ange ordnet.

Wegen dieses Erwerbs setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) am 11. Mai 1976 durch einen gemäß § 100 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid Erbschaftsteuer in Höhe von X DM gegen den Kläger fest. Der Bescheid wurde dem A bekanntgegeben. Der Steuerbetrag wurde vom Konto des Klägers überwiesen und ging am 11. Juni 1976 beim FA ein.

Nach Vorlage der endgültigen Steuererklärung setzte das FA durch Bescheid vom 23. Oktober 1981 Erbschaftsteuer gegen den Kläger in Höhe von Y DM endgültig fest. Mit dem Einspruch machte der Kläger geltend, der Bescheid sei inhaltlich unbestimmt und unwirksam bekanntgegeben. Das FA hob deshalb den Bescheid am 10. Juli 1987 wieder auf. Gleichzeitig erklärte das FA den vorläufigen Erbschaftsteuerbescheid gemäß § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) für endgültig. Mit dem hiergegen gerichteten Einspruch vom 4. August 1987 machte der Kläger geltend, der Steueranspruch sei verjährt. Ferner beantragte der Kläger, den Erbschaftsteuerbescheid vom 11. Mai 1976 aufzuheben und die auf diesen Bescheid gezahlte Steuer in Höhe von X DM zu erstatten. Der Bescheid vom 11. Mai 1976 sei wegen fehlerhafter Bekanntgabe und inhaltlicher Unbestimmtheit nichtig.

Das FA half dem Einspruch des Klägers durch Aufhebung der Endgültigkeitserklärung vom 10. Juli 1987 ab, lehnte aber das als Nichtigkeitsfeststellungsantrag nach § 125 Abs. 5 AO 1977 behandelte Gesuch und den Erstattungsantrag des Klägers durch Bescheide vom 21. Januar bzw. 12. Februar 1988 ab.

Gegen die Ablehnung des Erstattungsbegehrens hat der Kläger mit fristgerechter Zustimmung des FA Sprungklage erhoben mit dem Antrag, das FA unter Aufhebung der Verfügung vom 12. Februar 1988 zu verpflichten, einen Bescheid über die Erstattung von X DM zu erteilen.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, weil dem Kläger ein Erstattungsanspruch nicht zustehe. Der vom Kläger für nichtig gehaltene Bescheid vom 11. Mai 1976 sei wirksam.

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung von § 122 Abs. 1 AO 1977, § 91 Abs. 1 Satz 1 AO und § 32 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (i. d. F. des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts) -- ErbStG 1974 -- vom 17. April 1974. Das FG sei zu Unrecht von der Wirksamkeit des am 11. Mai 1976 erlassenen Erbschaftsteuerbescheids ausgegangen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und entsprechend dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

Im Ergebnis zutreffend hat die Vorinstanz eine Verpflichtung des FA abgelehnt, dem Kläger einen Bescheid über die beantragte Erstattung der am 11. Juni 1976 gezahlten Erbschaftsteuer in Höhe von X DM zu erteilen.

Dabei kann offenbleiben, ob der vorläufige Bescheid vom 11. Mai 1976 -- wie der Kläger meint -- nichtig und der behauptete Erstattungsanspruch überhaupt entstanden ist. Denn selbst wenn der vom Kläger behauptete Erstattungsanspruch entstanden wäre, wäre dieser jedenfalls mangels rechtzeitiger Geltendmachung erloschen.

Der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch wäre für den Fall seiner Entstehung als ein solcher gemäß § 152 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 letzte Alternative AO zu behandeln. Denn "doppelt bezahlt" im Sinne der gesetzlichen Terminologie ist jede Steuer, die nicht geschuldet oder nicht fällig ist (Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., § 152 A.2), mithin auch die im Streitfall behauptete Leistung auf einen nichtigen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 124 AO 1977 Tz. 8; Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 9. Juli 1963 VII 118/62, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1964, 73) bzw. mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe unwirksamen Steuerbescheid (Tipke/Kruse, a.a.O., 16. Aufl., § 37 AO 1977 Tz. 11). Denn den Zahlungen auf einen unwirksamen Steuerbescheid fehlt es an einem gültigen Leistungsgebot.

Danach ist die Entrichtung der Steuer als dasjenige Ereignis anzusehen, das im Falle seiner Rechtsgrundlosigkeit einen Erstattungsanspruch begründet und entstehen läßt. Dieser erlischt nach § 152 Abs. 3 AO, wenn er nicht bis zum Ablauf des Kalenderjahres geltend gemacht wird, das auf die Entrichtung folgt. Weil eine enge, wortgemäße Auslegung dieser Vorschrift zu unbilligen Ergebnissen führen würde, wenn der Erstattungsberechtigte ohne eigenes Verschulden erst spät von der Rechtswidrigkeit der Steuerentrichtung erfahren hat und darum den Erstattungsanspruch nicht früher geltend machen konnte, beginnt nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 5. April 1957 VI 136/55 U, BFHE 71, 187, BStBl III 1960, 318; vom 12. April 1967 VI R 277/66, BFHE 88, 402, BStBl III 1967, 434; vom 19. Februar 1971 VI R 97/68, BFHE 101, 527, BStBl II 1971, 428, sowie BFH-Beschluß vom 11. März 1987 II B 12/87, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau -- DVR -- 1988, 25) der Lauf der Ausschlußfrist nach § 152 Abs. 3 AO erst, wenn der Erstattungsberechtigte die anspruchsbegründenden Ereignisse erkennen konnte und mußte. Eine "sichere Kenntnis" von der Existenz des Erstattungsanspruchs bzw. eine zutreffende rechtliche Beurteilung der Umstände ist nicht erforderlich (BFH in BFHE 88, 402, BStBl III 1967, 434, 435).

Danach wäre im Streitfall der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch mit der Zahlung der Steuer am 11. Juni 1976 entstanden und gemäß § 152 Abs. 3 AO mit Ablauf des Jahres 1977 erloschen. Denn der Kläger bzw. A, dessen Kenntnis als Testamentsvollstrecker und damit als Zugangsvertreter sich der Kläger als Erbe in erbschaftsteuerrechtlicher Hinsicht zurechnen lassen muß (vgl. § 32 Abs. 1 Satz 1 ErbStG 1974; hierzu: BFH-Urteile vom 14. November 1990 II R 255/85, BFHE 162, 380, BStBl II 1991, 49, und II R 58/86, BFHE 162, 385, BStBl II 1991, 52), hatten tatsächliche Kenntnis sowohl vom Inhalt des Steuerbescheides vom 11. Mai 1976 als auch von der Zahlung der Steuer. Damit kannten sie bereits im Jahre 1976 alle Umstände, die nach der dem Erstattungsbegehren zugrundeliegenden Einschätzung des Klägers die behauptete Nichtigkeit des Bescheides und die daraus resultierende Rechtsgrundlosigkeit der Steuerzahlung ergeben würden. Sämtliche -- nach Auffassung des Klägers -- nichtigkeitsbegründenden Tatsachen hafteten bereits unmittelbar dem Verwaltungsakt als solchem an und waren deshalb für den Kläger bzw. A schon 1976 erkennbar. Daß der Kläger diesen ihm bekannten bzw. seiner Kenntnis zuzurechnenden Umständen zunächst noch keine nichtigkeitsbegründende Bedeutung zugemessen hat, ist unbeachtlich (vgl. BFH in BFHE 88, 402, BStBl III 1967, 434, und in BFHE 101, 527, BStBl II 1971, 428, 430).

Die Ausschlußfrist nach § 152 Abs. 3 AO wäre auch nach dem Inkrafttreten der AO 1977 weiter anzuwenden. Dies ergibt sich aus Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, 1977, 667, BStBl I 1976, 694). Danach gelten für vor Ablauf des 31. Dezember 1976 entstandene Ansprüche u. a. die Vorschriften der AO über die Ausschlußfristen nach dem Inkrafttreten der AO 1977 weiter, soweit diese für die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen von Bedeutung sind. Im Streitfall wäre der vom Kläger behauptete Erstattungsanspruch nach § 152 Abs. 1 AO mit der Zahlung der festgesetzten Steuer im Juni 1976, demnach vor Ablauf des 31. Dezember 1976 entstanden, so daß hierfür die Ausschlußfrist nach § 152 Abs. 3 AO weiter gelten würde.

Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich aus Art. 97 § 14 Abs. 1 EGAO 1977 keine andere Beurteilung. Die Anwendung dieser Regelung scheidet nämlich schon deshalb aus, weil die AO einer gesonderten Zahlungsverjährung unterliegende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. von § 228 Abs. 1 AO 1977 nicht kannte, und Art. 97 § 14 Abs. 1 EGAO 1977 deshalb nur auf nach dem 31. Dezember 1976 entstandene Ansprüche Anwendung finden kann.

Offenbleiben kann, ob die Ausführungen des VII. Senats in seinem Urteil vom 25. Oktober 1988 VII R 21/87 (BFH/NV 1989, 412 f.), auf das sich der Kläger beruft, dahingehend zu verstehen sind, daß -- nicht nur für Ansprüche auf Erstattung von (Einkommen-)Steuervorauszahlungen, sondern generell für alle Erstattungsansprüche -- die Ausschlußfristen nach § 152 Abs. 3 und § 153 AO bzw. die (Zahlungs-)Verjährungsfristen nach § 228 ff. AO 1977 für Ansprüche nach § 37 AO 1977 erst mit dem Eintritt der Verjährung der jeweiligen Steueransprüche beginnen und ob der Senat einer solchen Rechtsansicht folgen könnte. Auch wenn man dieser Rechtsauffassung folgt, könnte die Revision des Klägers keinen Erfolg haben, weil der Erstattungsanspruch des Klägers -- soweit er überhaupt entstanden sein sollte -- wegen Eintritts der Zahlungsverjährung gemäß § 232 bzw. § 47 AO 1977 ebenfalls erloschen wäre.

Im Streitfall wäre -- nach dieser Rechtsauffassung -- der Erstattungsanspruch mit Ablauf des Jahres 1979 entstanden, weil zu diesem Zeitpunkt der Erbschaftsteueranspruch verjährt wäre. Dies ergibt sich aus § 144 Abs. 1 i. V. m. § 145 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a AO. Danach betrug die Verjährungsfrist 5 Jahre. Sie begann mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb von Todes wegen erlangt hat. Im Streitfall hätte deshalb die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 1974 begonnen und mit Ablauf des Jahres 1979 geendet.

Da der Erstattungsanspruch des Klägers danach erst nach dem 31. Dezember 1976, d. h. nach Inkrafttreten der AO 1977 entstanden wäre, wären die Ausschlußfristen der §§ 151 bis 153 AO nicht mehr anwendbar; insoweit würden die Vorschriften der AO 1977 über die Festsetzungsverjährung anzuwenden sein (Art. 97 § 10 Abs. 1 EGAO 1977). Denn die Vorschriften der AO 1977 über die Zahlungsverjährung gelten anstelle der bisherigen Ausschlußfristen für solche Erstattungsansprüche, deren Verjährung nach § 229 AO 1977 nach dem 31. Dezember 1976 begonnen hat (Art. 97 § 14 Abs. 1 und 2 EGAO 1977). Danach hätte die (Zahlungs-)Verjährungsfrist von 5 Jahren (§ 228 Satz 2 AO 1977) für den -- vom Kläger behaupteten -- Erstattungsanspruch mit Ablauf des Jahres 1979 zeitgleich mit dessen Entstehung begonnen. Die fünfjährige Verjährungsfrist hätte somit mit Ablauf des Jahres 1984 geendet. Der Kläger hat aber erst danach, nämlich am 4. August 1987, einen Antrag auf Erstattung der Steuer gestellt.

Der Auffassung des Klägers, der Erstattungsanspruch sei erst im Jahre 1987 entstanden, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Insbesondere konnte weder der Änderungsbescheid vom 23. Oktober 1981, den das FA später wegen Unwirksamkeit aufgehoben hat, noch der Bescheid vom 10. Juli 1987, mit dem das FA den vorläufigen Bescheid vom 11. Mai 1976 für endgültig erklärt hat, Rechtswirkungen in bezug auf den Bescheid vom 11. Mai 1976 entfalten. Dasselbe gilt auch für den bereits mit Ablauf des Jahres 1979 verjährten Steueranspruch sowie den vom Kläger geltend gemachten Steuererstattungsanspruch.

Im übrigen hat der Kläger von Anfang an beantragt, den auf den vermeintlich nichtigen Bescheid vom 11. Mai 1976 gezahlten Steuerbetrag von X DM zu erstatten. Ob dem Kläger darüber hinaus aufgrund eines anderen Lebenssachverhaltes nämlich wegen der Aufhebung des Änderungsbescheides vom 23. Oktober 1981 bzw. der End gültigkeitserklärung vom 10. Juli 1987 ein Erstattungsanspruch zusteht, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Einfluß auf die Entstehung des hier streitigen Erstattungsanspruchs hätte ein solches Erstattungsbegehren in keinem Fall.

Auch aus dem vom Kläger genannten Urteil des VII. Senats vom 6. Februar 1996 VII R 50/95 (BFHE 179, 556) ergibt sich für den Streitfall, in dem es ausschließlich um die Frage des Eintritts der Zahlungsverjährung geht, keine andere Beurteilung. Dort ging es nämlich um die Frage, ob ein Steuererstattungsanspruch wegen einer Steuerzahlung, die über eine vorliegende Steuerfestsetzung hinausging, deshalb tatsächlich nicht zur Entstehung gelangt ist, weil die Steuerzahlung insgesamt die (materiell) entstandenen und später durch Bescheid in zulässiger und zutreffender Weise festgesetzten Steuerschulden nicht überstiegen hatte. Insofern ist der VII. Senat zu der Erkenntnis gelangt, mangels Entstehung habe auch keine Verjährung des Erstattungsanspruchs eintreten können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421873

BFH/NV 1997, 321

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