Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Vorkostenabzug bei unentgeltlichem Erwerb; Einräumung eines Wohnrechts keine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks

 

Leitsatz (NV)

1. Wer eine Wohnung unentgeltlich erwirbt, kann die vor Beginn der erstmaligen Nutzung der Wohnung entstandenen Aufwendungen nicht als Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 EStG abziehen, es sei denn, sie hängen mit einem Ausbau oder einer Erweiterung an der Wohnung i. S. v. § 10 e Abs. 2 EStG zusammen, die der Erwerber nach dem unentgeltlichen Erwerb durchgeführt hat.

2. Wird ein Gebäude im Wege vorweggenommener Erbfolge unter Vorbehalt eines Wohnrechts oder mit der Verpflichtung zur Einräumung eines Wohnrechts übertragen, liegt ein unentgeltlicher Erwerb vor; die Einräumung des Wohnrechts ist keine Gegenleistung.

 

Normenkette

EStG § 10e Abs. 6

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Der Kläger erhielt durch Vertrag vom 22. August 1988 im Wege vorweggenommener Erbfolge ein Hausgrundstück übertragen. Die Kläger ließen die Wohnung im Obergeschoß, die sie von 1989 an zu eigenen Wohnzwecken nutzten, renovieren und umbauen. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) entstanden dabei im Streitjahr 1988 Instandsetzungsaufwendungen von 11 840 DM sowie Finanzierungskosten von 608 DM.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) lehnte es ab, diese Aufwendungen als Vorkosten nach § 10 e Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abzuziehen, weil der Kläger die Wohnung unentgeltlich erworben habe. Der Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid für 1988 war erfolglos.

Das FG gab der Klage statt. Es führte unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. März 1992 X R 113/89 (BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886) aus, § 10 e Abs. 6 EStG begünstige auch Vorkosten, die mit dem unentgeltlichen Erwerb einer Wohnung zusammenhingen. Dem Klagebegehren der Kläger sei somit in vollem Umfang zu entsprechen.

Mit der Revision rügt das FA Divergenz zu dem BFH-Urteil vom 13. Januar 1993 X R 53/91 (BFHE 170, 186, BStBl II 1993, 346).

Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurückzuverweisen.

Sie führen aus: Das Grundstück sei nicht unentgeltlich übertragen worden. Der Kläger habe seinen Eltern ein Wohnrecht an den Räumen im Erdgeschoß eingeräumt. Für den Fall, daß die Eltern aus diesen Räumen ausziehen, sei der Kläger berechtigt, diese Räume zu vermieten. Als Ausgleich habe er laut Übergabevertrag den Eltern die ortsübliche Miete als Zuschuß zu ihrer anderweitigen Unterbringung zu zahlen. Die Wohnung im Erdgeschoß sei dem Kläger somit nicht unentgeltlich übertragen worden. Denn es könne nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger nach einem Auszug der Eltern die ortsübliche Miete erhalte; ggf. müsse er "draufzahlen".

Zudem habe die Wohnung im Obergeschoß -- wie sie bereits im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen hätten -- unter Einsatz erheblichen Kapitals erst zu Wohnzwecken nutzbar gemacht werden müssen. Die aufgewendeten Kosten von 179 892,33 DM für den im Jahr 1989 fertiggestellten Ausbau seien nach § 10 e Abs. 2 EStG begünstigt. Die im Streitjahr 1988 entstandenen Finanzierungskosten seien diesem Aufwand zuzuordnen und daher nach § 10 e Abs. 6 EStG abziehbar. Aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Vorentscheidung habe das FG keinen Anlaß gehabt, diesen Sachverhalt zu überprüfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Entgegen der Auffassung des FG sind vor Beginn der Nutzung zu eigenen Wohnzweken entstandene Aufwendungen nicht als Vorkosten abziehbar, wenn sie mit dem unentgeltlichen Erwerb einer Wohnung zusammenhängen.§

10 e Abs. 6 EStG fordert u. a. einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Anschaffung der Wohnung. Der Senat hatte im Urteil in BFHE 167, 396, BStBl II 1992, 886, auf das sich das FG gestützt hat, für den Fall einer Einzelrechtsnachfolge im Wege der Schenkung entschieden, als Anschaffung sei auch der unentgeltliche Erwerb anzusehen. In Abkehr von diesem Urteil ist der Senat bei der Entscheidung über den Erwerb einer Wohnung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zu der Auffassung gelangt, daß unter Anschaffung i. S. von § 10 e Abs. 6 EStG nur der entgeltliche Erwerb zu verstehen ist (Urteil in BFHE 170, 186, BStBl II 1993, 346). Der Senat nimmt auf die Gründe dieses Urteils Bezug (vgl. auch Senatsurteile vom 24. März 1993 X R 25/91, BFHE 171, 202, BStBl II 1993, 704, und vom 15. Dezember 1993 X R 23/93, BFH/NV 1994, 707).

2. Im Streitfall hat der Kläger das Gebäude unentgeltlich von seinen Eltern erworben. Wird ein Gebäude im Wege vorweggenommener Erbfolge unter Vorbehalt eines Wohnrechts oder mit der Verpflichtung zur Einräumung eines Wohnrechts übertragen, ist von vornherein das übertragene Vermögen gemindert. Die Einräumung des Wohnrechts ist keine Gegenleistung (BFH-Urteil vom 10. April 1991 XI R 7, 8/84, BFHE 164, 343, BStBl II 1991, 791). Auch die Zahlungen in Höhe der ortsüblichen Miete, zu denen der Kläger bei einem Auszug der Eltern verpflichtet ist, sind keine Gegenleistung für die Eigentumsübertragung. Zwar können Zahlungen zur Ablösung eines Wohnrechts zu (nachträglichen) Anschaffungskosten führen. Abgesehen davon, daß nachträgliche Anschaffungskosten erst in dem Veranlagungszeitraum steuerlich zu berücksichtigen wären, in dem sie anfallen, ist im Vertrag aber nicht geregelt, daß das Wohnrecht mit dem Auszug der Eltern und dem damit verbundenen Beginn der Zahlungsverpflichtung erlischt.

3. Ein Abzug nach § 10 e Abs. 6 EStG kommt jedoch insoweit in Betracht, als die Baumaßnahmen im Obergeschoß des Gebäudes den Tatbestand des § 10 e Abs. 2 EStG erfüllen und die vor Bezug entstandenen Aufwendungen hiermit zusammenhängen. Ob dies der Fall ist, kann der Senat mangels Feststellungen des FG nicht prüfen. Die Vorentscheidung wird daher auf gehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421919

BFH/NV 1997, 344

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