Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung Einfamilienhaus/Zweifamilienhaus nach der früheren Rechtsprechung

 

Leitsatz (NV)

Die Unmöglichkeit der Führung eines ungestörten Haushalts in dem einen Wohnbereich schließt das Vorliegen von zwei Wohnungen auch nach der früheren Rechtsprechung aus.

 

Normenkette

BewG § 75 Abs. 5-6; AO 1977 § 176 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eigentümer eines Grundstücks mit einem im Jahre 1981 bezugsfertig gewordenen Wohnhaus. Wird das Wohnhaus über den im Erdgeschoß liegenden Windfang betreten, so gelangt man in eine Diele. Von der Diele ist rechts ein Vorraum zu der mit einer Türe verschlossenen Küche und eine Toilette zu erreichen. Am Dielenende führt eine Treppe in das Dachgeschoß des Hauses. Nach den Bauzeichnungen öffnet sich die Diele mit dem Treppenaufgang ohne Türabschluß zum Wohn- und Eßbereich der Hauptwohnung. Am streitigen Stichtag war im Durchgang von der Diele zum Wohn-/Eßraum eine schmiedeeiserne Türe angebracht. Zum streitigen Stichtag war das Eisenwerk der Tür mit einer dunklen Glasplatte abgedeckt. Wegen des fehlenden Türrahmens befand sich zwischen dem Eisenwerk der Türe, dem gemauerten Korbbogen und der Mauer an der Türschloßseite ein Luftraum von etwa 4 bis 5 cm. Von der Galerie im Dachgeschoß ist über Türen ein zur Hauptwohnung gehörendes Schlafzimmer und Bad mit WC erreichbar. Außerdem kann von der Galerie über eine Türe ein zweiter Wohnbereich, die sog. Einliegerwohnung, betreten werden. Dieser Wohnbereich umfaßt eine Diele, ein Bad mit WC, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer mit Kochnische.

Durch Artfortschreibung auf den 1. Januar 1982 bewertete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) das Grundstück als Zweifamilienhaus. Bei einer 1983 durchgeführten Ortsbesichtigung stellte das FA fest, daß sich zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung in der Einliegerwohnung des Dachgeschosses keine funktionsfähige Küche befunden habe, Küchenanschlüsse aber vorhanden gewesen seien. Nach dem Aktenvermerk über die Ortsbesichtigung bewohnte die Mutter der Kläger die Einliegerwohnung, ohne in der Wohnung einen eigenen Haushalt zu führen. Die Mutter der Kläger habe die Hauptwohnung mitbenutzt. Die Hauptwohnung sei nicht abgeschlossen gewesen.

Daraufhin änderte das FA die Artfortschreibung auf den 1. Januar 1982 durch einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützten Bescheid und bewertete das Grundstück nunmehr als Einfamilienhaus.

Hiergegen richtete sich die Klage. Mit dieser wurde geltend gemacht, der bestandskräftige Bescheid könne nicht geändert werden. Es lägen keine neuen Tatsachen vor. Nach der maßgeblichen älteren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liege ein Zweifamilienhaus vor. Die Küchengeräte seien im Jahre 1983 nur kurzfristig außerhalb der Einliegerküche abgestellt worden, da der Kläger Reparatur- und Renovierungsarbeiten durchgeführt habe. Die Mutter habe in der Einliegerwohnung einen selbständigen Haushalt geführt, für die Dauer der Reparaturarbeiten sei die Mutter von den Klägern mitversorgt worden. Die Einliegerwohnung sei von der Hauptwohnung abgeschlossen. Aus diesem Grund habe es ausgereicht, daß betriebsfertige Küchenanschlüsse vorhanden gewesen seien.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Am streitigen Stichtag sei das Wohnhaus der Kläger als Einfamilienhaus zu bewerten gewesen. Das FA habe die Änderung der Artfeststellung zu Recht auf § 173 Abs. 1 AO 1977 gestützt. Im Streitfall müsse nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO 1977 die ältere Rechtsprechung des BFH angewendet werden. Stelle man auf diese ab, so sei das Wohnhaus als Einfamilienhaus zu bewerten. Zwischen dem im Erdgeschoß liegenden Eß-/Wohnraum der Hauptwohnung und der sog. Einliegerwohnung im Dachgeschoß bestehe kein ausreichender baulicher Abschluß, der eine ungestörte Haushaltsführung in den Räumen des Erdgeschosses zuließe. Im Streitfall komme hinzu, daß der ins Dachgeschoß führende Treppenaufgang sich am Dielenende gegenüber dem Hauseingang befinde. Die Bewohner der im Dachgeschoß liegenden Einliegerwohnung könnten den Treppenaufgang nur vorbei an den Räumen der Hauptwohnung im Erdgeschoß erreichen. Die im Dachgeschoß liegenden Räume der Hauptwohnung seien von ihrer Lage nicht eindeutig den im Erdgeschoß liegenden Räumen der Hauptwohnung zugeordnet. Die Hauptwohnung und die Einliegerwohnung im Dachgeschoß hätten die Diele im Erdgeschoß und die Galerie im Dachgeschoß zur gemeinsamen Verkehrsfläche. Im Laufe des Gerichtsverfahrens sei festgestellt worden, daß in den Räumen der Hauptwohnung, die im Erdgeschoß liegen, mangels ausreichenden Türabschlusses keine ungestörte Haushaltsführung möglich sei und die Räume der Hauptwohnung von ihrer Lage her nicht als Einheit anzusehen seien. Bei diesen Feststellungen handele es sich um neue Tatsachen, die eine Änderung der Artfeststellung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 rechtfertigen. Es sei unbeachtlich, daß das beklagte FA im Verwaltungsverfahren zunächst die Änderung damit begründet habe, daß in der Einliegerwohnung kein selbständiger Haushalt geführt worden sei. Es sei nicht erkennbar, daß das beklagte FA bei der ursprünglichen Artfeststellung seine Ermittlungspflicht verletzt habe. Es könne dahinstehen, ob die Bediensteten des FA bei der Ortsbesichtigung zugesichert hätten, an der Bewertung werde sich nichts ändern. Beide Bedienstete, die das Wohnhaus der Kläger besichtigt hätten, hätten als Sachbearbeiter wie als Bausachverständige keine bindende Zusage geben können.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Der Senat hat durch Zwischenvorbescheid die Zulässigkeit der Revision festgestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet.

Zu Recht hat das FG die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Änderungsbescheids bejaht. Mit diesem hat das FA zutreffend zum 1. Januar 1982 die Grundstücksart Einfamilienhaus festgestellt.

Nach § 75 Abs. 5 und 6 des Bewertungsgesetzes (BewG) ist für die Abgrenzung der Grundstücksarten Ein- und Zweifamilienhaus entscheidend, ob das Wohngrundstück nur eine oder zwei Wohnungen enthält. Hierzu hat der früher zuständige III.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen sei, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß sie die Führung eines selbständigen Haushalts ermöglichen. Dazu ist es u.a. erforderlich, daß entsprechende Nebenräume, insbesondere eine Küche oder ein Raum mit Kochgelegenheit und die notwendigen zusätzlichen Einrichtungen vorhanden sind (vgl. Urteil des BFH vom 24. November 1978 III R 81/76, BFHE 126, 565, BStBl II 1979, 255). Dieser Senat hat dann - teilweise abweichend von der bisherigen Rechtsprechung - in seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1984 III R 192/83 (BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151) einzelne Merkmale des bewertungsrechtlichen Wohnbegriffs enger gefaßt. Danach ist für die Beurteilung der Frage, ob Räume bewertungsrechtlich als Wohnung anzusehen sind, u.a. wesentlich, daß die Räume eine von anderen Wohnungen und Wohnräumen eindeutig baulich getrennte, in sich abgeschlossene Einheit darstellen. Sie müssen einen eigenen Zugang aufweisen. Diese Rechtsgrundsätze sind erstmalig bei der Bewertung von Wohngrundstücken anzuwenden, die im Laufe des Jahres 1973 bezugsfertig errichtet, aus- oder umgebaut wurden.

Im Streitfall ist das Gebäude zwar erst nach diesem Stichtag errichtet worden, nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 ist jedoch bei einer Änderung gleichwohl die frühere Rechtsprechung zugunsten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Zutreffend hat das FG jedoch erkannt, daß auch nach dieser im Streitfall die Grundstücksart Einfamilienhaus gegeben ist. Nach der früheren Rechtsprechung reicht es für die Annahme einer Wohnung aus, daß sich die Zusammenfassung mehrerer Räume zu einer Wohnung aus der Lage dieser Räume zueinander, aus ihrer Zweckbestimmung und der dieser Zweckbestimmung entsprechenden tatsächlichen Nutzung ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juni 1979 III R 17/77, BFHE 129, 65, BStBl II 1980, 175). Die Bewertung eines Wohngrundstücks als Zweifamilienhaus setzt voraus, daß beide Wohneinheiten diesen Erfordernissen entsprechen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen konnte das FG schon deswegen verneinen, weil eine ungestörte Haushaltsführung in dem im Erdgeschoß liegenden Wohn-/ Eßbereich der Hauptwohnung nicht möglich war. Die Unmöglichkeit der Führung eines ungestörten Haushalts aufgrund der Anordnung und der baulichen Gestaltung der Räume des einen Wohnbereichs schließt das Vorliegen von zwei Wohnungen auch nach der früheren Rechtsprechung aus (vgl. BFH-Urteil vom 25. Oktober 1985 III R 31/81, BFHE 145, 425, BStBl II 1986, 278, in dem ein Sachverhalt nach der früheren Rechtsprechung zu beurteilen war). Die vom FG vorgenommene Wertung, im Streitfall sei eine ungestörte Haushaltsführung in diesem Sinne nicht möglich, ist nach dem von ihm festgestellten Sachverhalt - an den der Seant nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebunden ist - revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Der Änderungsbescheid konnte - unter Beachtung von § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 - auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 gestützt werden. Die bauliche Gestaltung, die eine ungestörte Haushaltsführung ausschließt, ist eine nachträglich bekanntgewordene Tatsache. Dem steht es nicht entgegen, daß die Tatsache erst im gerichtlichen Verfahren bekannt wurde und das FA selbst sich zunächst auf eine andere nachträglich bekanntgewordene Tatsache gestützt hat. Die spätere Kenntnis der Tatsache beruhte auch nicht auf einer Verletzung der der Finanzbehörde obliegenden Ermittlungspflicht. Das FG hat keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich bei der ursprünglichen Artfeststellung eine weitere Ermittlungspflicht ergeben hätte. Keinesfalls hat das FA eine ihm obliegende Ermittlungspflicht schon dadurch verletzt, daß es vor dem Erlaß des ursprünglichen Bescheids keine Einsicht in die Bauakten genommen hat (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 10. Februar 1988 II R 206/84, BFHE 152, 412, BStBl II 1988, 482). Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß das FG auch in Kenntnis der nunmehr bekanntgewordenen Tatsache gleichwohl im ersten Bescheid als Grundstücksart Zweifamilienhaus festgestellt hätte. Der Hinweis der Revision auf die zu § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 getroffene Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) findet daher im Sachverhalt keine Stütze.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419070

BFH/NV 1994, 9

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