Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Akteneinsicht durch einen Prozeßbevollmächtigten

 

Leitsatz (NV)

Der Prozeßbevollmächtigte eines Klägers hat keinen Anspruch darauf, daß ihm Akteneinsicht durch Übersendung der Akten in sein Büro gewährt wird. Ihm kann aber die Möglichkeit gegeben werden, die Akten bei einem in der Nähe seiner Kanzlei gelegenen Gericht oder FA einzusehen. Auch die Akteneinsicht beim beklagten FA kann in Betracht kommen; sie wird dann allerdings - wie auch sonst üblich - nur ,,unter Aufsicht" gewährt.

 

Normenkette

FGO §§ 13, 51 Abs. 1; ZPO § 42

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg

 

Tatbestand

Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), die vor dem Finanzgericht (FG) Klage wegen Einkommensteuer 1980 erhoben hatten, beantragte mit Schreiben vom 6. März 1989, die den Streitfall betreffenden Akten zur Einsichtnahme zu übersenden. Er bat um Zustellung an das Amtsgericht Y. Der Berichterstatter, Richter am FG . . ., übersandte mit Schreiben vom 10. März 1989 die Einkommensteuer-Akte der Kläger an den Vorsteher des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) mit einem Begleitschreiben folgenden Inhalts: ,,Ich übersende die vorgelegte Einkommensteuer-Akte. Sie werden gebeten, Steuerberater A in den Räumen des FA unter Aufsicht Akteneinsicht zu gewähren, hierüber eine Niederschrift zu fertigen und diese zusammen mit der Einkommensteuer-Akte wieder dem FG zuzuleiten. Sie werden weiterhin gebeten, die Akte nicht zur Mitnahme in die Kanzlei des Klägervertreters zu überlassen." Ein Abdruck dieses Schreibens wurde an den Prozeßbevollmächtigten übersandt.

Daraufhin lehnten die Kläger den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Es sei beantragt worden, die Akte an das am Ort der beruflichen Niederlassung ihres Prozeßbevollmächtigten gelegene Amtsgericht zu übersenden. Statt dessen habe der Berichterstatter die Steuerakten ohne Gerichtsakten an die gegnerische Partei, das ca. 15 km entfernte FA übersandt. Gleichzeitig habe er den Vorsteher des FA gebeten, dem Klägervertreter Akteneinsicht unter Aufsicht zu gewähren. Daraus ergebe sich, daß der Berichterstatter ohne jeglichen Anlaß die Gegenpartei von vornherein für vertrauenswürdiger und zuverlässiger halte als die Klägerpartei. Er gehe sogar so weit, der Gegenpartei die Aufsicht über die Klägerpartei zu übertragen. Der gegnerischen Partei werde die Möglichkeit eingeräumt, die Kläger bzw. den Klägervertreter bei der Vorbereitung der weiteren Prozeßführung zu überwachen und zu beaufsichtigen.In seiner dienstlichen Äußerung vom 18. April 1989 erklärte der Berichterstatter, er halte sich nicht für befangen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung habe die Akteneinsicht durch Bevollmächtigte grundsätzlich bei der Geschäftsstelle des FG zu erfolgen. Dort unterliege der Einsichtnehmende der Aufsicht des Geschäftsstellenbeamten.

Das FG wies das Ablehnungsgesuch zurück. Es liege kein Grund vor, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters zu rechtfertigen. Der Hinweis des Berichterstatters, ,,Akteneinsicht unter Aufsicht zu gewähren", sei lediglich ein technischer Hinweis, der auch bei Einsichtnahme der Akten am Gericht üblich sei. Entsprechende Hinweise wären auch bei einer Versendung an andere Behörden oder Gerichte möglich oder angebracht gewesen.

Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs.

Das FA hält die Beschwerde für nicht begründet.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen wegen seiner Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Hierdurch sollen die Verfahrensbeteiligten vor Unsachlichkeit geschützt werden. Entscheidendes Kriterium für die Richterablehnung ist daher, ob der Betreffende bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Das Institut der Richterablehnung ist kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren. Für Verfahrensverstöße gilt nichts anderes (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 24. August 1989 IV B 59/89, nicht veröffentlicht - NV -).

Die Voraussetzungen für die Richterablehnung liegen hier nicht vor. Der BFH hat wiederholt entschieden, Prozeßbevollmächtigte der Kläger hätten keinen Anspruch, daß ihnen Akteneinsicht durch Übersendung der Akten in ihr Büro gewährt werde (Beschluß vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475). Den Prozeßbevollmächtigten kann aber die Möglichkeit gegeben werden, die Akten bei einem in der Nähe ihrer Kanzlei gelegenen Gericht bzw. FA einzusehen. Dafür kann auch die Aktenübersendung an das beklagte FA in Betracht kommen. Dies bedeutet nicht, das FG halte die beklagte Partei für vertrauenswürdiger und zuverlässiger als die Kläger (vgl. BFH-Beschluß vom 22. April 1986 I B 11/86, BFH/NV 1987, 36). Denn das FA wird mit der Gewährung der Akteneinsicht nicht in seiner Eigenschaft als beklagte Partei betraut. Vielmehr wird es dazu wie jede andere Behörde oder Gericht, an die nach § 13 FGO ein Amtshilfeersuchen gerichtet werden kann, herangezogen. In diesem Zusammenhang hat der BFH auch davon gesprochen, daß hinsichtlich des Ortes, an dem Akteneinsicht gewährt werden soll, ein gewisser Unterschied in der Behandlung von FA und Steuerpflichtigen in Kauf genommen werden muß (Beschluß in BFH/NV 1987, 36).

Diese Rechtsgrundsätze stellen auch die Kläger nicht in Frage. Den Ablehnungsgrund stützen sie auf die vom FG vorgesehene Art und Weise der Gewährung der Akteneinsicht beim beklagten FA, die unter dessen Aufsicht erfolgen sollte. Wird das FA aber wie jede andere Behörde - und nicht in seiner Eigenschaft als beklagte Partei - um die Gewährung der Akteneinsicht ersucht, dann kann diese auch in der in solchen Fällen üblichen Weise erfolgen. Dazu gehört, daß die Einsichtnahme in die Akten in Gegenwart eines Geschäftsstellenbeamten zu gewähren ist, der anschließend hierüber ein Protokoll fertigt. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß es dem Berichterstatter mit der Gewährung der Akteneinsicht ,,unter Aufsicht" darum gegangen wäre, dem FA - über die bloße in solchen Fällen übliche Aufsicht durch einen Geschäftsstellenbeamten hinaus - eine Beobachtung des Prozeßbevollmächtigten durch einen mit dem Klageverfahren befaßten Sachbearbeiter zu ermöglichen.

Zwar mag es im Streitfall näher gelegen haben, die Akten - wie von den Klägern beantragt - unmittelbar an das am Ort der Kanzlei gelegene Amtsgericht zu übersenden. Gegen die als nicht sachgerecht empfundene Entscheidung des FG, das das 15 km entfernte FA um die Gewährung der Akteneinsicht ersucht hat, hätte sich der Kläger mit dem dafür gegebenen Rechtsmittel der Beschwerde zur Wehr setzen können. Wie dargelegt, kann aber der Vorwurf einer unrichtigen Handlung verfahrensrechtlicher Vorschriften allein die Richterablehnung nicht rechtfertigen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 717

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