Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung von Haftungsschuldnern
Leitsatz (NV)
- Im Falle der Inanspruchnahme von zwei Gesellschaftern einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Haftungsschuldner für rückständige Steuern der Gesellschaft ist eine Beiladung eines Haftungsschuldners im Prozess über die Rechtmäßigkeit des gegen den anderen Haftungsschuldner ergangenen Haftungsbescheides nicht notwendig i.S. des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO.
- Eine einfache Beiladung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO kommt ebenfalls nicht in Betracht, wenn der Beiladungsprätendent die ausschließliche Haftung des neben ihm ebenfalls in Anspruch genommenen Haftungsschuldners erreichen will und daher ein den Belangen des Klägers entgegenstehendes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat und der Kläger der Beiladung widerspricht.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3 S. 1, Abs. 1 S. 1; AO 1977 §§ 30, 191; BGB §§ 421, 427
Verfahrensgang
FG Münster (Beschluss vom 02.05.2003; Aktenzeichen 7 K 4171/00 U) |
Tatbestand
Der Beiladungsprätendent und Beschwerdeführer (Beiladungsprätendent) hat zusammen mit dem Kläger eine inzwischen aufgelöste Rechtsanwaltssozietät in der Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betrieben. Wegen Umsatzsteuer-Schulden der GbR hat der Beklagte (das Finanzamt ―FA―) den Beiladungsprätendenten und den Kläger durch zwei selbstständige Haftungsbescheide gemäß § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. §§ 421, 427 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Der Kläger hat gegen den an ihn gerichteten Haftungsbescheid Klage erhoben. Den Antrag des Beiladungsprätendenten, zu diesem Verfahren beigeladen zu werden, hat das Finanzgericht (FG) abgelehnt. Zur Begründung führte es aus, dass weder ein Fall der notwendigen Beiladung nach § 60 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), noch ein Fall der einfachen Beiladung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO vorliegen würde. Das rechtliche Schicksal der beiden selbstständigen Haftungsbescheide könne unterschiedlich ausfallen, weshalb eine Beiladung des Beiladungsprätendenten nicht notwendig sei. Aber auch eine einfache Beiladung käme nicht in Betracht, da das Interesse des Beiladungsprätendenten darauf gerichtet sei, die noch nicht abschließend geklärte zivilrechtliche Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Sozius zu erreichen. Somit liege lediglich ein wirtschaftliches und kein von § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO gefordertes rechtliches Interesse nach den Steuergesetzen vor.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Beiladungsprätendenten. Er ist der Ansicht, dass er ein rechtliches Interesse an der begehrten Beiladung habe. Der Ausgang des finanzgerichtlichen Verfahrens könne das Auswahlermessen des FA einschränken. Denn im Erörterungstermin habe das FG angedeutet, dass aufgrund besonderer Umstände des Falles eine gesamtschuldnerische Inanspruchnahme des Klägers ermessensfehlerhaft sein könnte, so dass allein seine ―des Beiladungsprätendenten― Inanspruchnahme in Betracht käme.
Der Kläger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er trägt vor, der gegen den Beiladungsprätendenten erlassene Haftungsbescheid sei seit langem bestandskräftig. Der Beiladungsprätendent habe gegenüber dem FA durch Selbstanzeige Einnahmen in einer Größenordnung von … DM offenbart, die er an der damaligen Sozietät vorbei auf sein Privatkonto geleitet habe. Sein Interesse sei darauf gerichtet, den Kläger auf die auf diesen Betrag entfallende Umsatzsteuer als Haftungsschuldner zu verpflichten. Ein solches Interesse sei wirtschaftlicher Art und werde von § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht geschützt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Beschwerde (§ 128 Abs. 1 FGO) ist nicht begründet. Es liegt weder ein Fall der notwendigen, noch ein Fall der einfachen Beiladung vor.
Nach § 60 Abs. 3 FGO ist eine Beiladung notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, verändert oder zum Erlöschen bringt, insbesondere in Fällen, in denen das, was einen Prozessbeteiligten begünstigt oder benachteiligt, notwendigerweise umgekehrt den Dritten benachteiligen oder begünstigen muss (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Februar 1969 IV R 263/66, BFHE 95, 148, BStBl II 1969, 343, und vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789). Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, liegt ein solches Verhältnis nicht vor. Die Entscheidung hinsichtlich des vom Kläger angefochtenen Haftungsbescheides greift nicht unmittelbar in Rechtsverhältnisse des Beiladungsprätendenten ein. Zwischen beiden Haftungsbescheiden besteht keine rechtliche Abhängigkeit in dem Sinne, dass der eine Bescheid ohne den anderen keinen Bestand haben könnte. Ob die Gesellschafter für Steuerschulden der von ihnen vertretenen Gesellschaft gemäß § 191 AO 1977 i.V.m. § 427 BGB haften, ist vielmehr für jeden einzelnen Gesellschafter gesondert zu beurteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 26. Oktober 2001 VII B 165/01, BFH/NV 2002, 502).
Auch die Voraussetzungen einer einfachen Beiladung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann das FG zu einem Rechtsstreit andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden. Ob der Beiladungsprätendent im vorliegenden Fall ein solches Interesse an der Beiladung hat, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls erscheint die Ablehnung der Beiladung durch das FG schon deswegen ermessensfehlerfrei, weil der Kläger ein den Belangen des Beiladungsprätendenten entgegengesetztes Interesse am Ausgang des finanzgerichtlichen Verfahrens hat. Er ist der Beschwerde des Beiladungsprätendenten entgegengetreten und hat damit der Beiladung widersprochen.
Nach der Rechtsprechung des BFH sind bei einer einfachen Beiladung Gesichtspunkte der Prozessökonomie und der Rechtssicherheit zu berücksichtigen. Die Beiladung soll dazu dienen, widersprechende Entscheidungen über denselben Gegenstand zu vermeiden. Darüber hinaus sind sowohl das Interesse des Beizuladenden, etwaige seine Rechtsstellung nachteilig berührende Entscheidungen zu verhindern, als auch etwaige der Beiladung entgegenstehende Belange anderer Prozessbeteiligter, insbesondere das Interesse des Klägers an der Wahrung des Steuergeheimnisses, in Betracht zu ziehen (Beschluss des Senats vom 15. Mai 1997 VII B 5/97, BFH/NV 1997, 867). Zwischen dem Anliegen des Beizuladenden, mit dem er im Kern die Durchsetzung eines verfassungsrechtlichen Anspruches auf rechtliches Gehör aus Art. 103 des Grundgesetzes (GG) verfolgt, und den Interessen des Klägers an der Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO 1977), das ebenfalls verfassungsrechtliche Wertungen aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG und insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung konkretisiert, ist eine Abwägung vorzunehmen.
Dem Interesse des Steuerpflichtigen an der Wahrung des Steuergeheimnisses kommt ein hoher Stellenwert zu. Durch die Beiladung eines Dritten würde dieses Recht durchbrochen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die einfache Beiladung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 FGO an engere Voraussetzungen geknüpft, als etwa die Beiladung nach § 65 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), indem er das rechtliche Interesse "nach den Steuergesetzen" zur Voraussetzung der Beiladung gemacht hat. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) hat der BFH entschieden, dass eine einfache Beiladung ―ohne Ausnahme― ausgeschlossen sei, wenn der Beizuladende ein den Belangen des Steuerpflichtigen entgegengesetztes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits habe (BFH-Urteil vom 20. März 1958 V z 59/58 U, BFHE 67, 29, BStBl III 1958, 283; RFH-Urteil vom 28. Juni 1933 VI A 646/33, RStBl 1933, 753).
Auch nach Auffassung des Senats ist das Interesse des Steuerpflichtigen an der Wahrung des Steuergeheimnisses im Regelfall höher zu bewerten als das Interesse des Beizuladenden an der Verbesserung seiner Rechtsposition durch die Beiladung, wenn der Beizuladende ein den Belangen des Klägers entgegengesetztes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat und der Steuerpflichtige der Beiladung widerspricht (Senatsbeschluss vom 17. August 1978 VII B 30/78, BFHE 126, 7, BStBl II 1979, 25). Dies schließt jedoch nicht aus, dass im Einzelfall ein anderes Ergebnis aufgrund des möglicherweise gegebenen Gewichts öffentlicher Belange und der Interessen der Hauptbeteiligten gerechtfertigt erscheint (Senatsbeschluss vom 28. Dezember 1998 VII B 280/98, BFH/NV 1999, 815). Jedenfalls sollte aufgrund des hohen Stellenwertes, den der Gesetzgeber der Wahrung des Steuergeheimnisses beigemessen hat, eine Beiladung gegen den erklärten Willen des Klägers nur in begründeten Ausnahmefällen angeordnet werden (vgl. Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 60 FGO Rz. 90).
Die Entscheidung des FG ist unter diesen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Sie erscheint schon deshalb ermessensfehlerfrei, weil der Beiladungsprätendent ein den Belangen des Klägers entgegengesetztes Interesse am Ausgang des Steuerrechtsstreits hat und der Kläger der beantragten Beiladung entgegengetreten ist. Ziel des Beiladungsprätendenten ist die haftungsrechtliche Inanspruchnahme des Klägers, gegen die sich der Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren zur Wehr setzt. Damit verfolgen beide Beteiligte widerstreitende Interessen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kläger den mit dem Beiladungsprätendenten geschlossenen Sozietätsvertrag gekündigt hat und es zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass es im Zuge der Abwicklung der inzwischen aufgelösten Sozietät zu zivilrechtlichen Auseinandersetzungen kommt. Jedenfalls hat der Beiladungsprätendent der Einschätzung des FG nicht widersprochen, die zivilrechtliche Auseinandersetzung sei offensichtlich noch nicht abschließend geklärt. Seinen Ausführungen, dass es sich bei seinem Interesse an der Beiladung nicht allein um ein wirtschaftliches, sondern vielmehr um ein rechtliches Interesse i.S. von § 60 Abs. 1 FGO handeln würde, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Bei dieser Sachlage ist die Versagung der Beiladung nicht zu beanstanden. Denn als Beigeladener und damit als Verfahrensbeteiligter würden dem Beiladungsprätendenten erhebliche Einwirkungsmöglichkeiten zustehen. Er könnte Prozesshandlungen vornehmen, Beweisanträge stellen und auch Einsicht in die Akten nehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Dezember 1997 VII B 213/97, BFH/NV 1998, 614). Die daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten in einem zivilgerichtlichen Verfahren Verwendung finden. Es ist durchaus verständlich, dass der Kläger unter diesen Umständen die Beiladung seines ehemaligen Partners nicht wünscht. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann den Belangen des Beiladungsprätendenten nicht mehr Gewicht zukommen als dem Interesse des Klägers an der Wahrung des Steuergeheimnisses, zumal dieser der Beiladung unter Hinweis auf die seiner Ansicht nach rein wirtschaftlichen Interessen des Beiladungsprätendenten widersprochen hat.
Besondere Umstände, wie z.B. ein zu berücksichtigendes Gewicht öffentlicher Belange, die eine Ausnahme von den von der Rechtsprechung des BFH entwickelten Grundsätzen geboten erscheinen ließen, vermag der Senat im Streitfall nicht zu erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 1129482 |
BFH/NV 2004, 795 |