Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergehen eines Sachantrags ist kein Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO

 

Leitsatz (NV)

1. Das Ergänzungsurteil ist ein selbständiges Teilurteil, das in der Regel unabhängig vom Haupturteil mit der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Revision anfechtbar ist.

2. Das versehentliche Übergehen eines Sachantrags ist nicht mit der Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern nur mit dem Antrag nach § 109 FGO zu korrigieren.

 

Normenkette

FGO §§ 98, 109, 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger war in den Streitjahren 1976 bis 1979 Kommanditist der S-GmbH & Co. KG (KG). Die KG erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der Kläger war an der KG mit einer Einlage von 15 000 DM beteiligt.

Im Jahre 1962 hatte der Kläger für private Zwecke ein Darlehen über 40 000 DM aufgenommen, das jährlich mit 5,75 v. H. zu verzinsen und 1991 zurückzuzahlen war. Die Zinsen machte er bis einschließlich 1973 als Sonderausgaben geltend. In den folgenden Jahren beantragte der Kläger, Zinsen in Höhe von 575 DM (= 5,75 v. H. von 10 000 DM) als Sonderbetriebsausgaben bei den Gewinnfeststellungen der KG zu berücksichtigen. Zur Begründung führte er aus, er habe den KG-Anteil zwar aus eigenen Mitteln erworben, dafür aber auf eine entsprechende Tilgung des 1962 aufgenommenen Darlehens verzichtet. Er habe nachträglich einen Teil des ursprünglich für private Zwecke aufgenommenen Kredits dem betrieblichen Bereich zugeordnet.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte dieser Auffassung nicht. Er ist der Ansicht, an der Zuordnung des Darlehens zur Privatsphäre des Klägers habe sich durch den Erwerb der Kommanditbeteiligung nichts geändert.

Der Einspruch des Klägers gegen die Gewinnfeststellungsbescheide 1976 bis 1979 blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen.

Die streitigen Schuldzinsen seien nicht als Sonderbetriebsausgaben abziehbar, da sie nicht in Zusammenhang mit der Kommanditbeteiligung stünden. Die Besteuerung knüpfe an ein tatsächliches, nicht an ein hypothetisches Geschehen an. Die Erwägung, daß der Kläger die Zinsen als Sonderbetriebsausgaben hätte abziehen können, wenn er mit dem vorhandenen Barvermögen den alten Kredit zurückgezahlt und den Erwerb der Kreditbeteiligung mit einem neu aufgenommenen Kredit finanziert hätte, sei deshalb unerheblich.

Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Das Urteil wurde dem Kläger am 22. September 1988 zugestellt. Das FG hat auf Antrag des Klägers den Tatbestand des Urteils durch Beschluß vom 19. Januar 1989 u. a. dahin berichtigt, daß der Kläger hinsichtlich der Streitjahre 1976, 1977 und 1979 geltend gemacht habe, für diese Jahre habe ohne vorherige Ankündigung keine Einspruchsentscheidung ergehen dürfen, weil er - der Kläger - dem FA vorgeschlagen habe, die Entscheidung über die Einsprüche für diese Jahre zurückzustellen, bis über den Einspruch für das Streitjahr 1978 entschieden sei. Das FA habe durch sein Verhalten das rechtliche Gehör verletzt. Es seien deshalb die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erfüllt.

Das FG hat ferner den im Urteil vom 30. August 1988 festgestellten Klageantrag ersetzt. Der Kläger habe sinngemäß folgende Anträge gestellt:

,,1. Die Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 1986 wegen der Feststellungsbescheide 1976, 1977 und 1979 wird aufgehoben; 2. abweichend von dem Feststellungsbescheid 1978 vom 30. Oktober 1984 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27. Februar 1986 sind weitere Sonderbetriebsausgaben von 575 DM zu berücksichtigen sowie hilfsweise, abweichend von den zusammengefaßten Feststellungsbescheiden 1976, 1977 und 1979 vom 30. Oktober 1984 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 27. Februar 1986 sind weitere Sonderbetriebsausgaben von 577,56 DM für 1976, 575,48 DM für 1977 und 575,41 DM für 1979 zu berücksichtigen."

Das FG hat am 14. März 1989 ein Ergänzungsurteil erlassen, in dem es den zu 1. gestellten Antrag als unbegründet abgewiesen hat. Die Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO für eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung seien nicht erfüllt, da wesentliche Verfahrensmängel nicht festzustellen seien. Dabei sei auch zu berücksichtigen, daß die Streitjahre im Zeitpunkt der Entscheidung bereits 10 Jahre zurückgelegen hätten, so daß der Abschluß des Verwaltungsverfahrens überfällig gewesen sei. Im übrigen könne eine etwaige Verletzung des rechtlichen Gehörs im Vorverfahren während des finanzgerichtlichen Verfahrens geheilt werden. Der Kläger habe vor dem FG ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gehabt.

Das Ergänzungsurteil ist dem Kläger am 23. März 1989 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 14. April 1989 - beim FG am 18. April 1989 eingegangen - hat der Kläger gegen das Urteil vom 30. August 1988 und gegen das Ergänzungsurteil vom 14. März 1989 Revisionen eingelegt und diese begründet.

Er trägt vor, das Urteil vom 30. August 1988 sei hinsichtlich der Streitjahre 1976, 1977 und 1979 unter Verstoß gegen § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ergangen.

Das Urteil habe den Hauptantrag für die drei genannten Streitjahre nicht beschieden, sondern die Klage aufgrund des hilfsweise gestellten Antrags abgewiesen. Der Hauptantrag sei im Tatbestand des Urteils nicht einmal erwähnt worden. Zwar habe das FG nach Ergänzung des Tatbestands durch das Ergänzungsurteil die Klage auch hinsichtlich des Hauptantrags abgewiesen. Dieses Verfahren sei jedoch nicht zulässig. Die Vorschrift des § 109 FGO erfasse nur solche Fälle, in denen ein selbständiger Teil des Klageantrags bei der Urteilsfindung übersehen worden sei. Diese Voraussetzung sei im Streitfall nicht gegeben. Nachdem das FG über den Hilfsantrag entschieden und die Klage abgewiesen habe, sei es ihm - dem FG - nicht mehr möglich gewesen, dem Hauptantrag der Klage stattzugeben. Es habe durch das Urteil vom 30. August 1988 die Entscheidung über den Hauptantrag präjudiziert, denn § 109 FGO gestatte es dem Gericht nicht, nachträglich als fehlerhaft erkannte Entscheidungen zu korrigieren. Der Verfahrensfehler, den das FG mit dem Übergehen des Hauptantrags begangen habe, könne somit nicht durch Erlaß eines Ergänzungsurteils geheilt werden.

Die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO sei in diesem Fall zumindest analog anzuwenden.

Mit Schriftsatz vom 25. April 1990 hat der Kläger die Hauptsache insoweit für erledigt erklärt, als die geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben den Betrag von 575 DM jährlich überstiegen. Insoweit hat das FG der Klage durch ein weiteres Ergänzungsurteil vom 5. September 1989 stattgegeben. Das FA hat hierzu vorgetragen, in den geänderten Gewinnfeststellungsbescheiden für die Streitjahre seien die geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben des Klägers nur in Höhe von 575 DM jährlich unberücksichtigt geblieben. Darauf sei der Kläger schon im Vorverfahren hingewiesen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind unzulässig.

1. Hat das FG einen Haupt- oder Hilfsantrag übergangen, der im Tatbestand des Urteils (auch nach Berichtigung gemäß § 108 FGO) als erhoben festgestellt ist, so ist auf Antrag das Urteil durch nachträgliche Entscheidung zu ergänzen (§ 109 FGO). Das Ergänzungsurteil ist ein selbständiges Teilurteil, das in der Regel unabhängig vom Haupturteil mit der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Revision anfechtbar ist (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. April 1972 I R 123/71, BFHE 106, 170, BStBl II 1972, 770). Werden das ergänzte und das Ergänzungsurteil mit der Revision angegriffen, so sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittels für beide Revisionen gesondert zu prüfen (Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rz. 9112). Ist zweifelhaft, ob die Voraussetzungen für den Erlaß eines Ergänzungsurteils vorliegen, so kann der Beteiligte sowohl den Antrag nach § 109 FGO stellen, als auch das vorgesehene Rechtsmittel einlegen, soweit die Voraussetzungen dafür im übrigen gegeben sind (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 27. November 1979 VI ZR 40/78, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1980, 840).

2. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision gegen das Urteil eines FG nur statt, wenn das FG oder - auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung - der BFH sie zugelassen hat. Das FG hat die Revision weder im Urteil vom 30. August 1988 noch im Ergänzungsurteil zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerden des Klägers gegen beide Urteile hatten keinen Erfolg.

3. Einer Zulassung zur Einlegung der Revision bedarf es nicht, wenn ein wesentlicher Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 FGO gerügt wird. Die Revision ist in diesem Fall nur zulässig, wenn in der Revisionsbegründung einer der in § 116 Abs. 1 FGO abschließend aufgezählten Revisionsgründe schlüssig vorgetragen wird, d. h., wenn die zur Begründung des behaupteten Verfahrensverstoßes angeführten Tatsachen einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO ergeben (BFH-Beschluß vom 21. August 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.

Die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen sind nicht geeignet, einen Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO schlüssig darzutun.

a) Das Urteil vom 30. August 1988 ist nicht deshalb mangelhaft i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, weil das FG versehentlich über den Hauptantrag des Klägers nicht entschieden hat. Die Vorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO erfaßt Mängel der rechtlichen Begründung der vom FG im angefochtenen Urteil getroffenen Entscheidung. Im Streitfall rügt der Kläger jedoch, daß das FG im Urteil vom 30. August 1988 eine Entscheidung über seinen Hauptantrag unterlassen habe. Das (versehentliche) Übergehen eines Sachantrags ist nicht mit der Verfahrensrüge nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, sondern nur mit dem Antrag nach § 109 FGO zu korrigieren (Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, a. a. O., Rz. 9117).

Da die Revision gegen das Urteil vom 30. August 1988 schon deshalb unzulässig ist, weil der behauptete Mangel nicht schlüssig gerügt ist, kann offenbleiben, ob sie auch deshalb zu verwerfen ist, weil die Frist zur Einlegung der Revision versäumt wurde (vgl. hierzu §§ 120 Abs. 1, 155 FGO i. V. m. § 517 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 13. Januar 1989 4 CB 24/88, Buchholz 310, § 120 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - Nr. 6).

b) Der Kläger hat auch in bezug auf das Ergänzungsurteil einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig gerügt. Der Kläger ist der Meinung, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Urteilsergänzung nach § 109 FGO seien dann nicht gegeben, wenn das FG im Ersturteil den Hauptantrag übersehen und nur über den Hilfsantrag entschieden habe. Ein Ergänzungsurteil dürfe nur dann ergehen, wenn die Entscheidung über den nicht erledigten Teil der Klage unabhängig von der Entscheidung im Ersturteil getroffen werden könne. Der Senat kann offenlassen, ob er dieser Auffassung zustimmen könnte. Auch wenn dem Kläger darin zu folgen sein sollte, daß die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Erlaß eines Ergänzungsurteils nicht vorgelegen haben, ist in dem Verstoß gegen § 109 FGO nicht zugleich ein Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO zu sehen. Daß das FG seine im Ergänzungsurteil getroffene Entscheidung nicht begründet habe, behauptet auch der Kläger nicht. Er meint aber, diese Vorschrift sei entsprechend anzuwenden, wenn ein Ergänzungsurteil zu Unrecht ergangen sei. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Die Vorschrift des § 116 Abs. 1 FGO enthält eine abschließende Aufzählung der Verfahrensfehler, die eine zulassungsfreie Revision ermöglichen; mit dem Ausnahmecharakter dieser Vorschrift ist eine entsprechende Anwendung auf andere Fallgestaltungen unvereinbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417758

BFH/NV 1992, 670

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