Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Vorstandsmitglieds einer AG für Umsatzsteuer

 

Leitsatz (NV)

Eine Haftung des Vorstandsmitglieds einer AG für deren Umsatzsteuerschulden (§§ 69, 34 AO 1977) ist jedenfalls rechtlich zweifelhaft, wenn der Aufsichtsrat die Wahrnehmung der steuerlichen Belange der AG einem Prokuristen übertragen hat, solange gegen dessen Zuverlässigkeit keine Bedenken bestehen.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 191, 69, 34

 

Tatbestand

Der Kläger war von Mai 1982 bis Ende Februar 1986 Vorstandsvorsitzender einer AG. Leiter des Ressorts Finanzen, Rechnungswesen und Steuern war ein Prokurist und Generalbevollmächtigter der AG. Anfang 1986 beantragte der Kläger beim zuständigen Amtsgericht die Eröffnung des Vergleichsverfahrens über das Vermögen der AG, das später in das Konkursverfahren übergeleitet wurde.

Die AG hatte bei dem Rücktritt des Klägers als Vorsitzender des Vorstandes Ende Februar 1986 u. a. Umsatzsteuerrückstände aus Vorauszahlungen für September und November 1983 mit insgesamt . . . DM und Januar 1985 mit . . . DM, zusammen . . . DM. Insoweit hatte die AG auch unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben.

Wegen dieser Rückstände hat das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom 20. Februar 1986 in Form der Einspruchsentscheidung vom 9. März 1988 in Höhe von . . . DM als Haftungsschuldner in Anspruch genommen (§§ 69, 34 AO 1977). Grundlage für die Ermittlung der (anteiligen) Umsatzsteuerhaftungssumme (Tilgungsquote) war die im Betriebsprüfungsbericht vom 30. März 1987 durchgeführte Berechnung, aus der sich bei einer auf die gesamten Zahlungsverpflichtungen (einschließlich Umsatzsteuer) erbrachten Tilgungsquote von 79 v. H. und einer auf die Steuerrückstände der AG erbrachten Tilgungsquote von 46 v. H. eine prozentuale Schlechterstellung des FA von 33 v. H., nach Vornahme eines Sicherheitsabschlags von 3,3 v. H. eine umsatzsteuerliche Haftungsquote von 29 v. H. und damit eine anteilige umsatzsteuerliche Haftungssumme von . . . DM (29 v. H. von insgesamt . . . DM ergab.

Mit der auf Aufhebung des Haftungsbescheids gerichteten Klage macht der Kläger geltend, ihn treffe an der unrichtigen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen und den Umsatzsteuerrückständen kein Verschulden (§ 69 AO 1977). Die Anmeldung und Abführung von Steuern - also auch der Umsatzsteuer - habe ausschließlich dem vom Aufsichtsrat der AG als Leiter des Ressorts Finanzen, Rechnungswesen und Steuern eingesetzten Prokuristen und gleichzeitig Generalbevollmächtigten der AG, also nicht ihm, dem Kläger, obgelegen. Veranlassung für eine besondere Überwachung dieses Prokuristen habe bei dessen allgemein anerkannter Sachkunde nach seinem - des Klägers - Amtsantritt im Mai 1982 zunächst überhaupt nicht bestanden. Als erstmals Mitte 1984 Unregelmäßigkeiten der Finanzabteilung in steuerlichem Zusammenhang bekanntgeworden seien, habe er dem Prokuristen und Generalbevollmächtigten einen zusätzlichen qualifizierten Mitarbeiter beigeordnet. Er habe erwarten können, daß die steuerlichen Angelegenheiten nunmehr ordnungsgemäß wahrgenommen und die Unregelmäßigkeiten abgestellt würden.

Das FG hat die begehrte PKH wegen fehlender Erfolgsaussichten (§ 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO) abgelehnt. Als Vorsitzender des Vorstandes der AG sei der Kläger auch für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten der AG verantwortlich gewesen.

Mit der Beschwerde hält der Kläger hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach daran fest, daß er sich auf die ordnungsgemäße Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten durch den Leiter der Finanzabteilung, dem diese übertragen gewesen seien, habe verlassen können. Dies gelte auch für die Zeit ab Mitte 1984 - dem erstmaligen Bekanntwerden von steuerlichen Unregelmäßigkeiten -, weil durch die Beiordnung eines zusätzlichen Mitarbeiters in der Finanzabteilung keine Fehlgriffe mehr zu erwarten gewesen seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat Erfolg.

Nach § 142 FGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht. Die hier gebotene summarische Prüfung (vgl. Beschluß des BFH vom 25. März 1986 III B 5-6/86, BFHE 146, 223, BStBl II 1986, 526) der Erfolgsaussichten des Klagebegehrens ergibt folgendes:

Hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach hält das FG das Klagebegehren im wesentlichen deshalb nicht für erfolgversprechend, weil der Kläger gehalten gewesen wäre, den für das Ressort Finanzen und Rechnungswesen zuständigen Prokuristen (und gleichzeitig Generalbevollmächtigten der AG) in der ordnungsmäßigen Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten der AG - also auch der Richtigkeit der abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen und Begleichung der Vorauszahlungen - zu überwachen. Das Verschulden des Klägers i. S. von § 69 AO 1977 bestehe darin, dies unterlassen zu haben, obwohl der Kläger dafür verantwortlich gewesen sei, daß die Verpflichtungen der AG auch gegenüber dem FA ordnungsgemäß erfüllt würden (Hinweis auf § 76 Abs. 1 AktG). Das FG beruft sich hierfür u. a. auf das Urteil des BFH vom 16. April 1985 VII R 132/80 (BFH/NV 1987, 273).

Der diesem Urteil zugrunde liegende Fall betraf die Haftung des alleinigen Geschäftsführers einer GmbH, der seinerseits die Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten einem Angestellten der GmbH übertragen hatte. Schon in diesem Punkt besteht ein wesentlicher Unterschied zu dem hier vorliegenden Fall. Denn der Kläger verkörperte nicht den Vorstand der AG, er war vielmehr, auch als dessen Vorsitzender, nur ein Mitglied desselben. Die Delegierung der steuerlichen Belange der AG auf den Prokuristen und Generalbevollmächtigten hatte auch nicht der Vorstand der AG vorgenommen, sondern - wie mehrfach unwidersprochen vorgetragen ist - der Aufsichtsrat der AG. Solche Entscheidungen des Aufsichtsrats erfolgen durch Beschlußfassung (§ 108 Abs. 1 AktG, vgl. hierzu Baumbach/Hueck, Aktiengesetz, 13. Aufl. Tz. 2 zu § 108 mit Hinweisen), über die schon kraft Gesetzes eine Niederschrift zu fertigen ist (§ 107 Abs. 2 AktG). War aber - wovon wegen Fehlens anderweitiger Anhaltspunkte auszugehen ist - die Kompetenzverteilung in schriftlicher Form erfolgt, so war sie jedenfalls solange verbindlich und damit hinsichtlich der steuerlichen Angelegenheiten verantwortungszuweisend, als Unregelmäßigkeiten in der Erklärung der Steuern oder der Erfüllung der Steuerschulden durch den Leiter der Finanzabteilung der AG nicht zu besorgen waren (Urteil des BFH vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776 unter Ziff. 2 Buchst. d und f).

Ein Grund für eine derartige Besorgnis bestand für den Kläger, jedenfalls nach dem bislang vorliegenden Sachverhalt, bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen für September und November 1983 noch nicht. Sowohl das FA wie das FG sind davon ausgegangen, daß Unregelmäßigkeiten steuerlicher Art erstmals ab Juli 1984 bekanntgeworden waren und Besprechungen hierüber mit der Finanzverwaltung ebenfalls erst ab Juli 1984 geführt wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sich der Kläger somit auf die ordnungsgemäße Wahrnehmung der steuerlichen Belange durch den für das Ressort Finanzen zuständigen Prokuristen verlassen und kann ihm jedenfalls kein Überwachungsverschulden (§ 69 AO 1977) angelastet werden. Daß der Kläger nach dem erstmaligen Bekanntwerden von steuerlichen Unregelmäßigkeiten in Juli 1984 verpflichtet gewesen wäre, auch die bereits lange Zeit vorher abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen für September und November 1983 im nachhinein zu überprüfen, ein Gesichtspunkt, dem das FG zuzuneigen scheint, hält der Senat für zu weitgehend.

Bei dieser Sachlage bietet die von dem Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung hinsichtlich der Haftung für die Umsatzsteuerrückstände 1983 dem Grunde nach hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auch hinsichtlich der Haftung für den Umsatzsteuerrückstand für Januar 1985 ist die Möglichkeit, daß sich der Kläger entlasten kann, nicht auszuschließen. Denn es ist bislang unstreitig, daß nach Aufdeckung der steuerlichen Unregelmäßigkeiten im Juli 1984 der Buchhaltung ein weiterer Mitarbeiter auch mit dem Ziel beigegeben wurde, diese Unregelmäßigkeiten abzustellen. Es ist daher bei der hier gebotenen summarischen Beurteilung zweifelhaft, ob dem Kläger hinsichtlich der unrichtigen Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung und der unzureichenden Umsatzsteuervorauszahlung für Januar 1985 trotz Beistellung dieses zusätzlichen Mitarbeiters noch ein auf grober Fahrlässigkeit (vgl. § 69 Satz 1 AO 1977) beruhendes Überwachungsverschulden angelastet werden kann (vgl. hierzu das Urteil des BFH vom 2. Juli 1987 VII R 162/84, BFH/NV 1988, 221 unter Ziff. II Nr. 1). Jedenfalls kann dem Klagebegehren auch insoweit eine gewisse Erfolgsaussicht zumindest deshalb nicht von vornherein abgesprochen werden, weil der Einsatz des weiteren Mitarbeiters gerade dazu dienen sollte, eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten zu gewährleisten, und nicht ersichtlich ist, daß der Kläger Anlaß hatte, an der Wirksamkeit dieser Maßnahme zu zweifeln. Mehr ist für die Bewilligung von PKH nicht erforderlich (vgl. Baumbach / Lauterbach / Albers /Hartmann, Zivilprozeßordnung, 42. Aufl., Anm. B Buchst. a zu § 114).

Dem Kläger ist nach alledem unter Aufhebung des Beschlusses des FG zur Durchführung des Klageverfahrens in vollem Umfang die begehrte PKH zu bewilligen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417117

BFH/NV 1991, 12

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