Rz. 8

Die Hinweispflicht i. S. d. § 89 Abs. 1 S. 1 AO entsteht von Amts wegen. Es ist nicht erforderlich, dass der Hilfsbedürftige zunächst Kontakt mit der Finanzbehörde aufnimmt. Erfasst werden von ihr nicht nur die verfahrensrechtlichen, sondern auch die materiell-rechtlichen Rechte und Pflichten des Beteiligten.[1]

 

Rz. 9

§ 89 Abs. 1 S. 1 AO ist eine Sollbestimmung. Die Finanzbehörde soll die Abgabe oder Berichtigung offensichtlich versehentlich oder aus Unkenntnis unterlassener bzw. unrichtig gestellter Erklärungen und Anträge anregen. Daraus folgt, dass die Finanzbehörde unter den in S. 1 genannten Voraussetzungen nur in atypischen Ausnahmefällen von einem Hinweis absehen darf. In allen anderen Fällen dürfte ihr Ermessen auf Null reduziert sein und regelmäßig eine Pflicht zur Anregung bestehen.[2] Denn im Fall der Offensichtlichkeit des Bürgerverhaltens kann es nach dem Normzweck nicht in die Wahl der Behörde gestellt sein, den missbilligten Erfolg eines Rechtsverlustes dennoch eintreten zu lassen. Ist ein Anlass i. S. d. § 89 Abs. 1 S. 1 AO gegeben, d. h. es liegt ein offensichtliches Versehen bzw. eine offensichtliche Unkenntnis aufseiten des Stpfl. vor, so hat die Finanzbehörde von Amts wegen hinweisend tätig zu werden.

 

Rz. 10

Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm vor, so besteht die Rechtsfolge nur in der Verpflichtung der Finanzbehörde zur Anregung der Korrektur oder Nachholung, nicht aber in der behördlichen Ersetzung der vom Beteiligten abzugebenden Erklärung. Zur Rechtswahrung ist weiterhin die Mitwirkung des Beteiligten erforderlich.

[1] Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 89 AO Rz. 24; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 3; Roser, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 89 AO Rz. 14; Nöcker, AO-StB 2010, 305; a. A. FG Düsseldorf v. 12.1.2006, 14 K 4361/05 Kg, EFG 2006, 506; Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 89 Rz. 8; Klein/Rätke, AO, 14. Aufl. 2016, § 89 Rz. 6.
[2] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 89 AO Rz. 2; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 89 AO Rz. 35; Koenig/Wünsch, AO, 3. Aufl. 2014, § 89 Rz. 12; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 89 AO Rz. 5.

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