Rz. 62

§ 153 Abs. 2 AO begründet in Ergänzung zu § 153 Abs. 1 AO eine selbstständige Anzeigepflicht (§ 153 AO Rz. 21), wenn die Voraussetzungen für eine gewährte Steuervergünstigung nachträglich weggefallen sind[1].

 

Rz. 63

Steuervergünstigungen i. d. S. sind alle Vorteile, die sich auf die Höhe des Steueranspruchs (s. Rz. 46) bzw. auf dessen Geltendmachung oder Einziehung durch die Finanzbehörde auswirken[2]. Der Begriff umfasst jede gegenüber dem Regelfall günstigere Gestaltung des Steuerrechtsverhältnisses, wie z. B. Befreiung, Ermäßigungen, Absehen von der Geltendmachung oder die Verschiebung der Geltendmachung. Hierzu gehören auch die "Steuerbefreiung" und die "Steuerermäßigung", die sich unmittelbar auf den Steueranspruch bzw. dessen Höhe beziehen.

 

Rz. 64

Steuervergünstigungen i. d. S. sind z. B.

  • die Herabsetzung von Vorauszahlungen (s. Rz. 278; ebenso § 153 Rz. 24, 64; Hübschmann, in HHSp, AO/FGO, § 153 AO Rz. 20 unter Verweis auf den Begriff des Steuervorteils in § 370 Abs. 4 S. 2 AO),
  • die zinslose Stundung der ErbSt[3],
  • die Steuervergütung (s. Rz. 107), sodass sich die Anzeigepflicht auch bei nachträglichem Wegfall des Vorsteuerabzugs[4] oder beim nachträglichen Wegfall des Kindergeldanspruchs (§ 68 Abs. 1 S. 1 EStG; s. Rz. 72a) ergibt.
 

Rz. 65

Anzeigepflichtiger ist nach § 153 Abs. 2 AO der Stpfl., dem die Steuervergünstigung gewährt wurde, bzw. entsprechend § 133 Abs. 1 S. 2 AO – auf den § 153 Abs. 2 AO durch die Formulierung ("ferner") verweist – der Gesamtrechtsnachfolger oder die nach §§ 34, 35 AO für den Stpfl. handelnden gesetzlichen Vertreter und Vermögensverwalter. Nicht anzeigepflichtig sind die Bevollmächtigten (s. Rz. 61).

 

Rz. 66

Die Anzeigepflicht bei unberechtigter Steuervergünstigung ist anders als die Korrekturpflicht für Steuererklärungen (s. Rz. 60) nicht von einem fehlerhaften Verhalten des Stpfl. abhängig. Entscheidend ist allein die tatsächliche Veränderung des Lebenssachverhalts, der Grundlage für die Entscheidung über die Steuervergünstigung war. Da die vorherige Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder sonstige Steuervergünstigung für den Stpfl. vorteilhaft war, ist er verpflichtet, von sich aus (spätere) tatsächliche Veränderung des Lebenssachverhalts mitzuteilen. Diese Veränderung muss allerdings für die Gewährung der Steuervergünstigung dem Grunde oder der Höhe nach erheblich sein (s. Rz. 60).

 

Rz. 67

Nach § 153 Abs. 2 AO besteht die Anzeigepflicht, wenn die Steuervergünstigungsvoraussetzungen nachträglich, d. h. nach Gewährung der Steuervergünstigung, weggefallen sind. Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit die Bekanntgabe des die Vergünstigung gewährenden Verwaltungsakts[5]. Zu diesem Zeitpunkt müssen die Voraussetzungen vorgelegen und die Sachverhaltsumstände sich erst danach verändert haben.

Die Anzeigepflicht bei unberechtigter Steuervergünstigung nach § 153 Abs. 2 AO besteht also nicht, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Vergünstigung von vornherein nicht gegeben waren, also keine Veränderung der Sachverhaltsumstände (s. Rz. 66) eingetreten ist[6]. Die Bezugnahme des § 153 Abs. 2 AO auf die Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 1 AO durch die Formulierung "ferner" zeigt, dass die Bestimmung als Ergänzung gedacht gewesen ist. Allerdings ergibt sich hier eine inhaltliche Gesetzeslücke. Die Korrekturpflicht nach § 153 Abs. 1 AO bezieht sich nur auf fehlerhafte Steuererklärungen (s. Rz. 62), die eine unzutreffende Steuerfestsetzung (Steuerverkürzung) bewirkt haben (s. Rz. 84), nicht aber auf sonstige Erklärungen, die zu Steuervergünstigungen außerhalb des Steuerfestsetzungsbereichs, also zu ungerechtfertigten Steuervorteilen i. S. v. § 370 Abs. 1 AO (s. Rz. 103), geführt haben.

Hat der Stpfl. durch vorsätzlich falsche Angabe einen Steuervorteil, z. B. eine Stundung, erlangt, so besteht ohnehin keine Pflicht zur Korrektur oder Anzeige nach § 153 Abs. 1, 2 AO (s. Rz. 60). Er hat eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO begangen (s. Rz. 60). Hat der Stpfl. fahrlässig oder unverschuldet falsche Angaben gemacht und dadurch einen Steuervorteil, z. B. eine Stundung, erlangt, so ergibt sich hier mangels Pflichtbegründung nach § 153 AO keine Anzeigepflicht. Zumindest ist im Hinblick auf die nicht eindeutige Gesetzesformulierung eine Ahndung des Unterlassens einer Anzeige ausgeschlossen.

[1] BGH v. 18.12.1985, 2 StR 461/85, wistra 1986, 219; s. Rz. 131.
[4] FG des Saarlandes v. 14.7.1992, 1 K 78/92, EFG 1992, 706.

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