1 Allgemeines

 

Rz. 1

Ziel des Besteuerungsverfahrens ist nach § 85 AO die gleichmäßige Festsetzung und Erhebung der Steuer. Hieraus folgt das Ermittlungsrecht der Finanzbehörde[1] und die Mitwirkungspflicht der Bürger[2]. Dem staatlichen Aufklärungsinteresse steht das Interesse an schutzwürdigen Vertrauenssphären des Bürgers oder verschiedener Institutionen gegenüber. Die hier notwendige Interessenabwägung ist dahingehend erfolgt, dass die in der AO auferlegten steuerlichen Mitwirkungspflichten durch §§ 101106 AO eingeschränkt werden. Diese Regelungen geben dem jeweiligen Normadressaten das Recht, die Erfüllung der Mitwirkungspflichten zu verweigern. Diese Mitwirkungsverweigerungsrechte sind Rechtfertigungsgründe für die Nichterfüllung steuerlicher Pflichten. Macht der Berechtigte von seinem Weigerungsrecht Gebrauch, so entfällt die Pflichtwidrigkeit der Nichterfüllung. Die geregelten Mitwirkungsverweigerungsrechte sind Ausnahmetatbestände. Im Übrigen hat das Aufklärungsinteresse des Staates Vorrang.

 

Rz. 2

§ 84 FGO bestimmt den Inhalt und Umfang des Zeugnisverweigerungsrechts für das Verfahren der Finanzgerichtsbarkeit unter Rückgriff auf §§ 101–103 AO. Durch die sinngemäße Anwendung dieser Regelungen soll erreicht werden, dass im Besteuerungs- und im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren insoweit die gleichen Erkenntnismöglichkeiten gegeben sind (s. Schallmoser, in HHSp, AO, § 84 FGO Rz. 4).

 

Rz. 3

Die FGO übernimmt aus der AO nur drei Gründe für die Zeugnisverweigerung:

 

Rz. 4

Die Regelung ist abschließend. §§ 383384 ZPO gelten nicht, da in § 82 FGO hierauf nicht Bezug genommen wird (s. BFH v. 21.12.1992, XI B 55/92, BStBl II 1993, 451; § 155 FGO Rz. 1).

Demgemäß haben die Beteiligten des Besteuerungsverfahrens (s. Rz. 1; §§ 78, 359 AO) oder die Person, die für diese Beteiligten nach den §§ 34, 35 AO auskunftspflichtig ist (s. Dumke, in Schwarz, AO, § 101 Rz. 2), grundsätzlich kein Recht, das Zeugnis zu verweigern[3].

Ebenso haben insbesondere Kreditinstitute kein Mitwirkungsverweigerungsrecht. Im Steuerrecht gibt es kein geschütztes Bankgeheimnis gegen Ermittlungen der Finanzbehörde im Einzelfall (s. BFH v. 27.9.2006, IV R 45/04, BStBl II 2007, 39; Schwarz, in Schwarz, AO, § 30a Rz. 14; Dumke, in Schwarz, AO, Vor §§ 101–106 Rz. 2b).

 

Rz. 5

Wegen des Rechts zur Verweigerung eines Gutachtens oder der Vorlage von Urkunden s. § 85 FGO i. V. m. § 104 AO (§ 85 FGO Rz. 4).

 

Rz. 6

Das Verfahren bei der Zeugnisverweigerung richtet sich nach § 82 FGO i. V. m. §§ 386–390 ZPO (s. BFH v. 27.3.1991, IV B 30/90, BFH/NV 1992, 391; BFH v. 2.6.2004, II R 7/02, BFH/NV 2004, 1535; vgl. § 82 FGO Rz. 76ff.).

2 Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen – § 101 AO

2.1 Grundlagen

 

Rz. 7

In § 101 AO wird den Angehörigen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt, um eine Interessenkollision infolge der familiären Bindung auszuschalten (vgl. BFH v. 31.10.1990, II R 180/87, BStBl II 1991, 204; s. Dumke, in Schwarz, AO, § 101 Rz. 1). Dieses Zeugnisverweigerungsrecht ist ein selbstständiges Recht des Angehörigen. Es steht nicht in der Disposition des Beteiligten. Der Angehörige kann auch dann das Zeugnis verweigern, wenn der Beteiligte eine Auskunft des Angehörigen als Beweismittel angeboten hat und wünscht. Umgekehrt ist auch der Verzicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht gegen den Willen des Beteiligten zulässig, eine Pflicht zur Zeugnisverweigerung besteht nicht.

 

Rz. 8

Die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts erfolgt durch ausdrückliche Erklärung gegenüber dem Gericht[1], die auch schon vor dem Termin zur Zeugenvernehmung oder mündlichen Verhandlung erklärt werden kann[2]. Die Ausübung braucht nicht begründet zu werden[3], sie ist der gerichtlichen Nachprüfung entzogen. Das Zeugnisverweigerungsrecht besteht auch dann, wenn sich die Mitwirkung für den Beteiligten ausschließlich positiv auswirken würde (Dumke, in Schwarz, AO, § 101 Rz. 1c m. w. N.).

Ein Zeuge ist trotz Ladung von seiner Pflicht, im Gericht zu erscheinen, befreit, wenn er seine Zeugnisverweigerung gemäß § 386 Abs. 1 ZPO vor dem Termin schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt hat[4]. Die Frage, ob tatsächlich ein Auskunftsverweigerungsrecht besteht, ist im Zwischenstreit über die Zeugnisverweigerung nach § 387 ZPO zu klären.

 

Rz. 9

Bei der Beweiswürdigung ist die Zeugnisverweigerung durch Angehörige i. d. R. neutral zu behandeln, da die Ausübung der gerichtlichen Nachprüfung (s. Rz. 8) entzogen ist (s. z. B. BFH v. 20.3.1997, XI B 135/95, BFH/NV 1997, 638; vgl. z. B. Dumke, in Schwarz, AO, § 101 Rz. 5 m. w. N.).

[2] S. z. B. BFH v. 10.10.2007, IV B 130, IV B 131/06, BFH/NV 2008, 233.

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