Entscheidungsstichwort (Thema)

Begrenzung der Auszahlung von Kindergeld auf die letzten sechs Monate vor Antragstellung - Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG - Zugehörigkeit der Regelung zum Erhebungsverfahren - verbindliche Auskunft - Fürsorgepflicht der Familienkasse

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Regelung über die Auszahlungsbeschränkung von Kindergeld in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG ist dem Erhebungsverfahren zuzuordnen. Streitigkeiten über das Vorliegen der Voraussetzungen sind mit Abrechnungsbescheid zu entscheiden (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO).
  2. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG, insbesondere im Hinblick auf einen Verstoß gegen das Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums (Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG) bestehen nicht.
  3. § 70 Abs. 1 Satz 3 EStG findet auch in den Fällen des Berechtigtenwechsels Anwendung.
  4. Zur Abgrenzung von Neu- und Änderungsanträgen im Rahmen des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG (mit Hinweis auf FG München, Urteil vom 18.09.2008, 10 K 4398/07).
  5. Zum Umfang der Fürsorgepflicht der Familienkasse im Hinblick auf die Regelung in § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG
 

Normenkette

AO 1977 § 218 Abs. 2 S. 1, § 37 Abs. 2, § 89 Abs. 1-2; BGB § 839; EStG § 31 Sätze 1, 4, § 32 Abs. 1, 3, 6, § 52 Abs. 50 S. 1, §§ 62, 63 Abs. 1 S. 1, § 64 Abs. 1, § 67 S. 1, § 68 Abs. 1 S. 1, § 70 Abs. 1 Sätze 1-2, § 64 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 3aF; GG Art. 20 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Auszahlungsbeschränkung gemäß § 70 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für das für die Kinder S und E für November 2018 bis August 2020 festgesetzte Kindergeld auf den Zeitraum März bis August 2020.

Der Kläger ist leiblicher Vater der Kinder S, geboren am xx. xx. 2003, und E, geboren am xx. xx. 2004. Leibliche Mutter der Kinder ist die inzwischen vom Kläger geschiedene Frau M. Diese erhielt zunächst laufend Kindergeld für die beiden minderjährigen Töchter und ein weiteres Kind.

Mit Antrag vom 3. September 2020, eingegangen bei der Familienkasse am 15. September 2020, beantragte der Kläger, ihm Kindergeld für die beiden Töchter S und E zu bewilligen. In seinem Antrag teilte er mit, dass er seit November 2018 von seiner Ehefrau dauernd getrennt lebe. Kindergeld habe bisher die Kindesmutter beantragt und bezogen. Auf die Rückfrage der Familienkasse erklärte der Kläger, dass die Töchter seit ihrer Geburt im Haushalt des Klägers leben würden.

Mit Bescheid vom (…) bewilligte die Familienkasse dem Kläger zunächst antragsgemäß Kindergeld für die Töchter S und E für den Zeitraum September 2020 bis Februar 2021 bzw. Dezember 2022, da die Kinder in seinen Haushalt aufgenommen seien.

Sodann bat die Familienkasse den Kläger hinsichtlich seines Antrags auf rückwirkende Gewährung von Kindergeld für den Zeitraum November 2018 bis August 2020 um Sachverhaltsaufklärung, da nach Auskunft der Rechtsanwältin der Kindesmutter das Kindergeld für diesen Zeitraum auf sein Konto gezahlt worden sei. Die Familienkasse bat daher um die Bestätigung der Weiterleitung des Kindergeldes an ihn. Der Kläger erklärte hierauf mit Schreiben vom 5. Februar 2021, dass er infolge der Insolvenz seiner Ex-Ehefrau ein Konto bei der K-Bank für sie eröffnet habe. Er sei zwar Namensgeber zur Kontoeröffnung gewesen, habe jedoch keine Verfügungsgewalt über dieses Konto gehabt. Über dieses Konto, auf das auch die Kindergeldzahlungen gegangen seien, habe ausschließlich seine Ex-Ehefrau verfügt. Er erkläre daher an Eides-Statt, dass ausnahmslos seine Ex-Ehefrau über das Kindergeld verfügt und nicht einen Euro an ihn weitergeleitet habe.

Die Familienkasse bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom (…) Kindergeld für die Töchter S und E für den Zeitraum von November 2018 bis einschließlich August 2020, zahlte jedoch nur das für den Zeitraum März 2020 bis August 2020 in Höhe von 2.448,00 € festgesetzte Kindergeld aus, da aufgrund gesetzlicher Änderung Anträge, die nach dem 18. Juli 2019 eingegangen seien, unabhängig vom festgesetzten Zeitraum, rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten 6 Kalendermonate vor dem Eingang des Antrags bei der Familienkasse führten.

Gegen diese Auszahlungsbeschränkung erhob der Kläger am (…) Einspruch. Zur Begründung führte er aus, dass mit Bescheid vom 12. Februar 2021 das für den Zeitraum November 2018 bis August 2020 überzahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 8.948,00 € von seiner Ex-Ehefrau zurückgefordert worden sei. Die Rückforderung beruhe darauf, dass sich die beiden Kinder im besagten Zeitraum in seinem Haushalt aufgehalten hätten und die Kindesmutter insoweit zu Unrecht Kindergeld bezogen habe. In den mit der Familienkasse geführten Telefonaten habe diese regelmäßig erklärt, dass er das rückständige Kindergeld in voller Höhe erhalten würde, sobald seine geschiedene Ehefrau den Betrag an die Familienkasse zurückgezahlt habe. Möglicherweise habe die Familienkasse auch angedeutet, dass sich die geschiedenen Eheleute untereinander verständigen k...

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