Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen, Wirksamkeit und Anfechtung einer anlässlich einer steuerlichen Außenprüfung getroffenen tatsächlichen Verständigung - Die Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen bei einem Friseur erfordert nicht immer die Berücksichtigung weiteren Wareneinsatzes

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Eine tatsächliche Verständigung über eine Rechtsfrage ist grundsätzlich unwirksam. Ist eine Rechtsfrage - wie die (Hinzu)Schätzungsbefugnis im Rahmen des § 162 AO - jedoch so mit einer Tatsachenfeststellung verquickt, dass eine Verständigung der einen ohne die andere nicht möglich erscheint, ist eine (mittelbare) Verständigung auch über die Rechtsfrage zulässig.
  2. Die tatsächliche Verständigung ist eine einvernehmliche Festlegung auf den maßgeblichen Besteuerungssachverhalt, die die Beteiligten bindet und nicht einseitig widerrufbar ist.
  3. Die Anfechtungsvorschriften der §§ 119, 123 BGB sind auf eine tatsächliche Verständigung im Steuerverfahren grundsätzlich anwendbar.
 

Normenkette

AO §§ 158, 160 Abs. 1 S. 1, § 162 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 88; BGB §§ 119, 119 Abs. 1, § 123 Abs. 1 Alt. 1, § 142 Abs. 1, § 242; EStG 2009 §§ 15, 4 Abs. 1, § 5

 

Streitjahr(e)

2013

 

Tatbestand

Streitig ist die Berechtigung des Beklagten, aufgrund einer tatsächlichen Verständigung anlässlich einer Außenprüfung zu Ungunsten der Klägerin geänderte Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und Umsatzsteuer für das Jahr 2013 zu erlassen.

Die Klägerin ist Friseurmeisterin und betreibt in P in Rahmen eines Einzelunternehmens den Salon „[…]”. Aus dieser Tätigkeit erzielt sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Im Betrieb der Klägerin waren im Streitjahr neben der Klägerin zwei weitere Friseurinnen beschäftigt. Die Klägerin ermittelte ihren Gewinn im Streitjahr durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1 i. V. m. § 5 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG).

Am 26. Juli 2014 reichte die Klägerin eine nicht zustimmungsbedürftige Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr 2013 beim Beklagten ein, die gemäß § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) mit dem Tag des Eingangs beim Finanzamt als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung galt. Die hiernach erklärten steuerpflichtigen Lieferungen und sonstigen Leistungen zum Regelsteuersatz von 19 % beliefen sich auf […] € zzgl. […] € unentgeltliche Wertabgaben. Die festgesetzte Umsatzsteuer betrug nach Berücksichtigung abziehbarer Vorsteuern […] €. Ferner erklärte die Klägerin im Rahmen einer gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG in Höhe von […] €. Der Beklagte erließ daraufhin am 8. August 2014 einen antragsgemäßen Bescheid für 2013 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen.

In der Zeit vom 6. Januar bis 6. April 2016 führte der Beklagte eine allgemeine Außenprüfung bei der Klägerin durch. Im Rahmen der Außenprüfung vertrat die Betriebsprüferin die Auffassung, dass die Kasse im Streitzeitraum nicht ordnungsgemäß geführt worden sei, da erhebliche Kassenmängel vorliegen würden. Insbesondere im Zeitraum xx.xx.2012 bis xx.xx.2014 sei die Kassenführung als nicht ordnungsgemäß anzusehen, da Organisationsunterlagen (Bedienungsanleitung der Kasse, Protokolle der Programmierung) nicht vorgelegt werden konnten. Die Tagessummenbons seien zwar vollständig vorgelegt worden, wiesen jedoch den sog. Schluss-Storno (Storno abgeschlossener Geschäftsvorfälle) nicht aus. Eine Auslesung der Kasse für den Zeitraum xx. Juli 2010 (Ersteinsatz) bis zum xx. Mai 2014 (letzter Einsatz) weise für das Zeitfenster 11:00 Uhr bis 11:59 Uhr negative Umsätze aus. Unterlagen zu Testbuchungen vor dem Ersteinsatz der Kasse seien in diesem Zusammenhang nicht vorgelegt worden. Ferner habe die Klägerin die Kasse nicht entsprechend den Anforderungen des BMF-Schreibens vom 26. November 2010 aufgerüstet. Darüber hinaus führte die Betriebsprüferin eine Nachkalkulation für das Wirtschaftsjahr 2014 durch aus der sich Differenzen zu den erklärten Beträgen ergaben.

Über diese (vorläufigen) Prüfungsfeststellungen wurden die damaligen steuerlichen Berater der Klägerin, die Steuerkanzlei A.+B., mit Schreiben vom 8. Februar 2016 unterrichtet. In diesem Schreiben teilte die Betriebsprüferin zudem mit, dass beabsichtigt sei, den bisher erklärten Erlösen einen Unsicherheitszuschlag hinzuzurechnen. Ferner führte sie aus, dass die Prüfung aus Sicht der Außenprüfung abgeschlossen werden könne, und bat zwecks Vereinbarung eines Termins zur Durchführung der Schlussbesprechung um Rückruf. Ausweislich eines Vermerks über eine am 21. März 2016 durchgeführte Besprechung, an welcher die steuerlichen Berater Frau A. und Herr B. sowie die Betriebsprüferin teilnahmen, wurde die vorgenommene Kalkulation unter Einarbeitung der Einwände der Klägerseite erläutert. Die Besprechungsergebnisse sollten durch die Steuerberater mit der Klägerin besprochen werden. Es sei ferner beabsichtigt, eine einvernehmliche Einigung im Wege ...

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