Rn. 415
Stand: EL 171 – ET: 02/2024
Umsatzprozesse sind mehrstufig, das Realisationsprinzip gibt darüber Auskunft, auf welcher Stufe dieses Prozesses der Gewinn verwirklicht ist (BFH vom 29.22.1973, IV R 181/71, BStBl II 1974, 202).
Als Realisationszeitpunkt (theoretisch) in Betracht kämen entlang des Umsatzprozesses (mit Ausnahme von Bargeschäften) die folgenden Zeitpunkte:
- Zeitpunkt des Vertragsschlusses: Durch die bloße schuldrechtliche Bindung tritt noch für keine Partei eine sichere Vermögensmehrung/-minderung oder bloße Vermögensumschichtung ein (zB BFH vom 16.09.1970, I R 184/67, BStBl II 1971, 85; BFH vom 02.03.1990, III R 70/87, BStBl II 1990, 733). Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ist die Erfüllung nicht gesichert, es steht nicht hinreichend sicher fest, ob der zur Lieferung/Leistung Verpflichtete seine vertraglich geschuldete Leistung überhaupt erbringen kann und wird. Hiervon ist allerdings der Anspruch auf die Gegenleistung abhängig. Der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses scheidet damit als Realisationszeitpunkt aus (Leffson, Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 237ff (7. Aufl 1987)). Gewinnrealisation bereits bei Vertragsschluss ist als deutlich zu unvorsichtig nicht mit den Vorsichtsprinzip vereinbar und verfrüht.
Zeitpunkt der Lieferung/Leistung: Den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung sehen Rspr und hM im Schrifttum im Allgemeinen als gegeben an, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldete Erfüllungshandlung erbracht hat, dh seine Verpflichtung "wirtschaftlich erfüllt" hat (BFH vom 14.12.1982, VIII R 53/81, BStBl II 1983, 303; BFH vom 27.02.1986, IV R 52/83, BStBl II 1986, 552; BFH vom 29.04.1987, I R 192/82, BStBl II 1987, 797; BFH vom 12.05.1993, XI R 1/93, BStBl II 1993, 786; BFH vom 10.09.1998, IV R 80/96, BStBl II 1999, 21; BFH vom 18.2.2002, I R 17/02, BStBl II 2002, 126; BFH vom 02.03.2004, III B 114/03, BFH/NV 2004, 1109; BFH vom 03.08.2005, I R 94/03, BStBl II 2006, 20; BFH vom 29.11.2007, IV R 62/05, BStBl II 2008, 557; BFH vom 20.03.2013, X R 15/11, BFH/NV 2013, 1548; BFH vom 14.05.2014, VIII R 25/11, BStBl II 2014, 968, so dass der Anspruch auf die Gegenleistung (Zahlung) – von den mit jeder Forderung verbundenen Risiken abgesehen – "so gut wie sicher" ist (BFH vom 11.12.1985, I B 49/85, BFH/NV 1986, 595; BFH vom 26.04.1989, I R 147/84, BStBl II 1991, 213; BFH vom 12.05.1993, XI R 1/93, BStBl II 1993, 786; BFH vom 10.09.1998, IV R 80/96, BStBl II 1999, 21; BFH vom 23.03.2011, X R 42/08, BStBl II 2012, 188; BFH vom 31.08.2011, X R 19/10, BStBl II 2012, 190; Beisse in Ruppe, Gewinnrealisierung im Steuerrecht, 21 (1981); Woerner, BB 1988, 773). Das Risiko des Leistenden reduziert sich darauf, dass der Leistungsempfänger sich im Einzelfall als zahlungsunfähig erweist oder Gewährleistungs- oder Produkthaftungsansprüche geltend macht.
Mit erbrachter Lieferung/Leistung ist der Schwebezustand des zugrunde liegenden Geschäfts beendet und der Gewinn aus dieser Leistungsbeziehung gemäß § 252 Abs 1 Nr 4 HGB realisiert (zB BFH vom 12.05.1993, XI R 1/93, BStBl II 1993, 786; BFH vom 03.08.2005, I R 94/03, BStBl II 2006, 20; BFH vom 29.11.2007, IV R 62/05, BStBl II 2008, 557; Leffson, Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung, 265ff (7. Aufl 1987); Schuster Ubg 2013, 214; Marx StuB 2016, 327; Stork/Büssow in Beck'scher Bilanzkommentar, § 252 HGB Rz 58 (13. Aufl 2022)).
- Zeitpunkt der Rechnungsstellung: Der Rechnungsstellungszeitpunkt ist für den Zeitpunkt der Gewinnrealisation irrelevant (BFH vom 12.05.1993, BStBl II 1993, 786; BFH vom 14.04.2022, IV R 32/19, BStBl II 2022, 832), insbesondere verzögert er die Realisation nicht (so aber zT die kaufmännische Praxis bei Rechnungstellung erst nach der Bewirkung der geschuldeten Sachleistung). Eine fehlende Rechnungserteilung hindert die Entstehung des Anspruchs auf die Gegenleistung und damit die Gewinnrealisation nicht, wenn die Sachleistung bereits erfüllt ist.
Zeitpunkt des Zahlungseingangs: Weitergehend wird zT neben der Erfüllung der Sachleistungsverpflichtung kumulativ der Zahlungseingang, dh auch die Erbringung der Gegenleistung des Vertragspartners für die Gewinnrealisation verlangt, da dies in besonderem Maße dem Vorsichtsprinzip entspräche (Schneider, Realisationsprinzip und Einkommensbegriff, in Baetge/Moxter/Schneider, Bilanzfragen, FS Leffson, 116 (1976)), womit eine abschließende Sicherheit gefordert und zunächst (unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten) faktisch ein Zahlungsausfallrisiko von 100 % angenommen wird. Diese Sichtweise ist als übervorsichtig ebenfalls nicht mit dem Vorsichtsprinzip in Einklang zu bringen. Mit erbrachter Lieferung/Leistung ist die Forderung auf die Gegenleistung entstanden, das mit dem Umsatzprozess verbundene Risiko beschränkt sich fortan im Wesentlichen darauf, dass der Vertragspartner die Gegenleistung ganz oder teilweise nicht erfüllt.
Die fehlende Fälligkeit des Anspruchs bleibt ohne Auswirkung auf die Gewinnrealisation (BFH vom 15.04.1970, I R 107/68, BStBl II 1970, 517; BFH vom 19...
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