Rn. 84

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Die Qualifizierung von Gutachten als wissenschaftlich setzt voraus, dass sie auf der Grundlage von wissenschaftlichen Disziplinen erstellt werden (BFH BStBl III 1957, 106). Es werden aber nicht nur solche als wissenschaftlich bewertet, die sich mit abstrakten Fragen beschäftigen, sondern auch solche, die konkrete praktische Streitfälle erledigen, zB medizinische Gutachten über schwere Krankheitsfälle, zu sanitären Maßnahmen, juristische Gutachten und Entscheidungen über schwierige Streitfragen (vgl BFH BStBl III 1965, 263; BStBl II 1992, 826; 1993, 235; BFH/NV 1993, 360; 1994, 89; 1994, 864).

Allerdings dürfte insb bei juristischen Gutachten zweifelhaft sein, inwieweit sie dem hohen Anspruch an Wissenschaftlichkeit (Ursachenerforschung!) genügen und nicht einfach nur Anwendung gesicherter (Rspr-)Grundsätze auf einen Einzelfall darstellen. Nicht jeder erfindet und begründet – wie einst Nipperdey – das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als "sonstiges Recht" iSv § 823 BGB – ein Bsp für angewandte Wissenschaft im juristischen Bereich.

 

Rn. 84a

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An der erforderlichen wissenschaftlichen Methodik fehlt es, wenn – ggf mit Hilfe der auf wissenschaftlicher Grundlage erworbenen Kenntnisse – zB nur Fragen der ökonomischen Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit nach wirtschaftlichen Erfahrungswerten begutachtet werden (BFH BStBl II 1993, 235 zum Dispacheur) oder wenn Gutachten lediglich auf Marktkenntnissen oder auf gewerblichen bzw handwerklichen Erfahrungen beruhen (BFH BStBl III 1954, 147).

Derartige Gutachten stehen nicht in dem notwendigen unmittelbaren Zusammenhang mit wissenschaftlichen Disziplinen und werden ebenso wenig erst durch sie ermöglicht:

  • BFH BStBl III 1961, 505 zum Schadensregulierer;
  • BFH BStBl II 1992, 826; 1994, 89 betreffend Markt- und Meinungsforscher;
  • BFH BStBl II 1993, 235 zum Dispacheur;
  • BFH BStBl III 1965, 593 zum Havariesachverständigen;
  • BFH BFH/NV 1998, 456 zur Gutachtertätigkeit eines Betriebswirts zu Betriebsunterbrechungsschäden für Versicherungsunternehmen;
  • BFH BStBl II 1971, 749 zum Auktionator/Schätzer von Kunst- und Einrichtungsgegenständen;
  • BFH BFH/NV 1998, 1206 zum Gutachter für Grundstückswerte und Marktmiete;
  • FG Münster EFG 1976, 145 zum Briefmarkensachverständigen;
  • FG Köln EFG 1982, 212 zum Sachverständigen für Obst und Gemüse;
  • FG He EFG 1990, 520 rkr zur Markt- und Produktionsforschung;
  • FG He EFG 1994, 751 rkr zur Personalbeurteilung mittels psychologischer Tests durch wissenschaftlich nicht vorgebildeten StPfl.

Nur im Ergebnis als freiberuflich anerkannt wurde die Gutachtertätigkeit eines als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Gebäude, Brandschädenregulierungen und Schätzungen industrieller Anlagen tätigen Architekten ohne Hochschulexamen, aber mit siebensemestrigem Studium (BFH BStBl III 1954, 147; 1957, 106; 1959, 267). S im Übrigen FG Köln v 12.02.1986, I K 468/84 nv, wonach ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für die Bewertung von Hausrat Gewerbetreibender ist, wenn er kein abgeschlossenes Hochschulstudium besitzt. Letzteres soll eine Vermutung dafür begründen, dass die gutachterliche Tätigkeit eine wissenschaftliche ist. Allerdings muss nach dem Sinn einer solchen "Vermutung" gefragt werden. Vermutungen ersetzen keine Ermittlungen, auf die es als Grundlage der jeweiligen Entscheidung allein ankommt.

 

Rn. 85

Stand: EL 156 – ET: 02/2022

Konsequenterweise genügt es für eine wissenschaftliche Tätigkeit nicht, dass die wissenschaftliche Ausbildung Zugangsvoraussetzung für die Ausübung der freien Berufe ist (BFH BStBl III 1957, 129; BStBl II 1977, 31; 1982, 267 betreffend Diplom-Informatiker; BFH BFH/NV 1993, 235; 2000, 1460 betreffend RA; BFH BStBl II 1992, 826; 1993, 235 zum Marktforscher), es müssen vielmehr weitere qualifizierende Tätigkeitsmerkmale hinzukommen (BFH BStBl II 1973, 183; 1987, 156 zum Probenehmer; BFH BStBl II 1977, 31; 1982, 118 zur Abgrenzung von pharmakologischer Forschung von praktischer ärztlicher Tätigkeit; BFH BFH/NV 1986, 274; 1986, 520 zur Erprobung von Medikamenten in der Arztpraxis; BFH BStBl II 1985, 293; 1985, 655 zu Blutgruppengutachtern; BFH BFH/NV 1987, 367 zu serologischen Vaterschaftsuntersuchungen; BFH BStBl II 2005, 362 zum Restaurator).

Auch die bloße Tatsache einer laufenden Begutachtung reicht nicht aus, um sie als wissenschaftlich zu beurteilen (BFH BStBl II 1992, 826; BFH/NV 1993, 360).

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