Ergänzender Hinweis: Nr. 22 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 22) sowie Nr. 267 Abs. 1 RiStBV

Schrifttum:

Bach, Die LGT-Falle: Sitzt der gesetzliche Richter wirklich in Bochum?, PStR 2009, 70; Heerspink, Die Ermittlungen zur Liechtenstein-Affäre – Fehlende Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft, Beweisverwertungsverbote und Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige?, AO-StB 2009, 25; Liebsch/Reifelsberger, Die Grenzen des Evokationsrechts, wistra 1993, 325; Rau, Auswirkungen des neuen Selbstanzeigerechts auf die AStBV, ZWH 2012, 396; Rittmann, Evokations- und materielles Prüfungsrecht der Staatsanwaltschaft, wistra 1984, 52; Römer, "Bochum gegen Liechtenstein" oder: Zur örtlichen Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer, StraFo 2009, 194; Scheu, Evokations- und materielles Prüfungsrecht der Staatsanwaltschaft, wistra 1983, 136; Wenzler, Zur Zuständigkeit des Hauptzollamts nach § 23 Abs. 3 AO, AO-StB 2008, 222; Weyand, Das Evokationsrecht und die Informationsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft – Theorie und Praxis, wistra 1994, 87. Vgl. auch das Schrifttum vor Rz. 163.

a) Voraussetzungen

 

Rz. 133

[Autor/Stand] Nach § 386 Abs. 4 Satz 2 AO kann die StA die Strafsache jederzeit an sich ziehen, ohne dass die FinB widersprechen kann, sog. Evokationsrecht[2] (vgl. auch die Übersicht Rz. 51 unter II.B.2.). Die Übernahme nach dieser Vorschrift setzt – ebenso wie Abs. 4 Satz 1 – die selbständige Ermittlungskompetenz der FinB i.S.d. § 386 Abs. 2 AO voraus[3]. Eine "Übernahme" im engeren Sinn scheidet aus, sofern der StA von vornherein die alleinige Ermittlungszuständigkeit zukommt, also in Fällen der sachlichen oder prozessualen Tateinheit der Steuerstraftat mit Allgemeindelikten (s. Rz. 89 ff.)[4]. Die Übernahme des Verfahrens durch die StA ist dann keine Ausübung des Evokationsrechts, sondern es handelt sich um die Regelung der funktionellen und sachlichen Zuständigkeit.

 

Rz. 134

[Autor/Stand] Die Entscheidung über die Übernahme steht im pflichtgemäßen Ermessen der StA. Sie wird sich von denselben Überlegungen leiten lassen wie die FinB bei der Frage der Abgabe der Strafsache an die StA nach § 386 Abs. 4 Satz 1 AO (s. Rz. 119). Da der Gesetzgeber keine bestimmten Voraussetzungen für das Ansichziehen genannt hat, braucht die StA hierbei auch keine Gründe anzugeben[6].

 

Rz. 135

[Autor/Stand] Die Befugnis der StA, die Ermittlungen jederzeit an sich ziehen zu können, begründet keine Sachaufsicht der StA über die Ermittlungen der FinB; keinesfalls darf das Evokationsrecht zu einem Überwachungsinstrument umgestaltet werden[8]. Dem widerspricht auch nicht die bei einigen StA bestehende Praxis, dass sämtliche Strafbefehlsanträge der FinB der StA zur Aufnahme in ein Js-Register zugeleitet werden müssen[9]. Denn es findet keine inhaltliche Prüfung statt. Die Strafbefehle werden i.d.R. nur weitergeleitet. Lediglich in Einzelfällen werden derartige Verfahren auch intern als originäre Verfahren erfasst. Auf jeden Fall ermessensfehlerhaft wäre eine generelle Übernahme sämtlicher ihr zur Kenntnis gelangten Steuerstrafsachen[10] (s. Rz. 146).

 

Rz. 136

[Autor/Stand] Wegen der grundsätzlichen Ermittlungsbefugnis der FinB gem. § 386 Abs. 2 AO macht die StA von ihrem Recht nur in sachlich besonders begründeten, jedoch kasuistisch nicht erfassbaren Fällen Gebrauch. Als Anlässe für eine Übernahme kommen insb. in Betracht (vgl. auch Nr. 267 Abs. 1 RiStBV):

  • Umfang und Bedeutung der Steuerstraftat,
  • Zusammenhang der Steuerstraftat mit einer anderen Straftat (vgl. § 3 StPO),
  • Verdacht der Beteiligung eines Amtsträgers,
  • wenn die StA gegen den Täter bereits in anderer Sache ermittelt und die Einbeziehung der Steuerstraftat in die Anklage zweckmäßig scheint,
  • wenn besondere Ermittlungsmaßnahmen erforderlich sind (z.B. Durchsuchung an mehreren Orten),
  • wenn die Tat (z.B. wegen der Straferwartung) nicht mehr im Strafbefehlswege verfolgt werden kann (s. § 400 Rz. 41 f.).

Wegen der erweiterten Befugnisse der FinB im Strafbefehlsverfahren (vgl. § 407 Abs. 2 Satz 2 StPO) wird der letztgenannte Übernahmegrund aber nicht mehr die bisherige Bedeutung haben. Andererseits kann die Evokation gerade in Anbetracht dessen für die StA von Interesse sein, so z.B., wenn sie die beantragte Strafe im Strafbefehl für zu gering hält oder eine höhere Freiheitsstrafe als ein Jahr für angemessen hält.

 

Rz. 137

[Autor/Stand] In den sog. Liechtenstein-Fällen (s. auch Rz. 175) ist außerordentlich str., ob die zentral für Deutschland ermittelnde StA Bochum – als Schwerpunktabteilung i.S.v. § 143 Abs. 4 GVG zur Bekämpfung u.a. von Wirtschaftskriminalität – in Ausübung ihres Evokationsrechts gem. § 386 Abs. 4 Satz 2 AO die örtlich zuständige Ermittlungsbehörde nicht nur für NRW, sondern bundesweit zur Aufarbeitung der Strafverfahren gegen die Bankkunden der liechtensteinischen Bank ist.

 

Rz. 138

[Autor/Stand] Zu einem örtlichen Zuständigkeitsstreit infolge der Ausübung des Evokationsrechts einer auswärtigen StA s. auch nachst. Beispiel.

 

Beispiel 8

Während eines laufenden Ermittlungsverfahrens d...

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