Rz. 108

Der Tatbestand des § 17 EStG fordert eine "Veräußerung" der Anteile. Der Begriff der Veräußerung ist im Gesetz nicht definiert. Sprachlich enthält der Begriff, dass ein "Entäußern" erfasst werden soll, auf die Anteile bezogen also ein sich Entäußern der Anteile. Steuerrechtlich bedeutet ein solches Entäußern die Weggabe der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über die Anteile; der Veräußerer muss sich also seiner Herrschaftsbefugnis über die Anteile begeben.

 

Rz. 108a

Im Gegensatz zu dem Begriff des "Entäußerns" enthält der Begriff des "Veräußerns" das Element, dass die wirtschaftliche Herrschaftsmacht nicht einfach aufgegeben, sondern auf einen anderen übertragen wird. "Veräußerung" i. S. d. § 17 EStG ist also die Übertragung der wirtschaftlichen Herrschaftsbefugnis, was i. d. R. durch Rechtsgeschäft erfolgt. Die Rspr. des BFH verwendet regelmäßig die Formulierung, dass Veräußerung ein Rechtsgeschäft sei, das auf die Übertragung des (rechtlichen und/oder wirtschaftlichen) Eigentums an den Anteilen gerichtet sei.[1]  Diese Formulierung ist so zu verstehen, dass das Rechtsgeschäft selbst die Änderung in der Herrschaftsbefugnis bewirkt, also Verfügungsgeschäft ist. Ein lediglich (schuldrechtliches) Verpflichtungsgeschäft ist keine Veräußerung i. d. S.[2]

 

Rz. 109

Der Begriff der "Veräußerung" bei § 17 EStG bedeutet also die dingliche Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums, i. d. R. durch Rechtsgeschäft. Die Veräußerung ist abgeschlossen in dem Zeitpunkt, in dem das rechtliche oder wirtschaftliche Eigentum auf den Erwerber übergegangen ist. Dies ist der für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 17 EStG maßgebliche Zeitpunkt. Solange die Übertragung des rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Eigentums (noch) nicht eingetreten ist, ist der Gewinn oder Verlust i. S. d § 17 EStG noch nicht verwirklicht. Eine Eigentumsübertragung unter aufschiebender Bedingung führt also erst im Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung zur Gewinnrealisierung.[3]

 

Rz. 110

Nach diesem Zeitpunkt der Veräußerung eintretende Vorgänge sind neue Sachverhalte, die selbstständig zu beurteilen sind, auch wenn sie unmittelbar und im sachlichen Zusammenhang mit der Veräußerung stehen. Hat der Erwerber das rechtliche bzw. wirtschaftliche Eigentum erworben, ist eine Rückübertragung ein neuer Vorgang und damit seinerseits eine Veräußerung, auch wenn sie zur Rückabwicklung des ursprünglichen Kaufgeschäfts erfolgt.[4] Auf den Übertragungszeitpunkt zurück wirkt nur ein Vorgang, der ein Ereignis mit Rückwirkung i. S. d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO darstellt (Rz. 185).

 

Rz. 111

Es ist grundsätzlich gleichgültig, welches schuldrechtliche Rechtsgeschäft dieser Übertragung zugrunde liegt. Es wird i. d. R. ein Kaufvertrag sein, doch sind auch andere schuldrechtliche Rechtsgeschäfte denkbar, z. B. Rückübertragung aufgrund von Anfechtung oder Rücktritt hinsichtlich des Erwerbsgeschäfts. Daher ist die Entscheidung des FG Köln[5] nicht zutreffend, wo ein Unterschied zwischen "Rückgabe" (wegen einer Täuschung durch den Veräußerer bei Erwerb) und "Rückveräußerung" gemacht wird. Mit dieser Unterscheidung stellt das FG Köln auf das schuldrechtliche Geschäft ab, während maßgebend nur das dingliche Übertragungsgeschäft ist.[6]

 

Rz. 112

Da es auf den Zeitpunkt der "Übertragung" ankommt, ist nicht entscheidend, wann das schuldrechtliche Geschäft abgeschlossen worden ist, sofern die Übertragung der Anteile nicht ebenfalls erfolgt ("deferred sale"). Ebenfalls nicht entscheidend ist es, wenn der Verkäufer ein bindendes Verkaufsangebot oder der Käufer ein bindendes Kaufangebot abgibt. Damit ist auch die Einräumung einer Kauf- oder Verkaufsoption, die erst später ausgeübt werden kann, nicht maßgebend, soweit durch die Option nicht bereits das wirtschaftliche Eigentum übergeht (Rz. 119).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge