Entscheidungsstichwort (Thema)

Entsteht Streit über Vorliegen, Wirksamkeit oder Bestand der Klagerücknahme, entscheidet darüber das mit der Sache befasste Gericht in dem fortgesetzten Klageverfahren durch Urteil

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Entsteht Streit über Vorliegen, Wirksamkeit oder Bestand der Klagerücknahme, entscheidet darüber das mit der Sache befasste Gericht.

2. Besteht der Streit bereits vor dem Erlass des Einstellungsbeschlusses, ist in dem Klageverfahren immer durch Urteil zu entscheiden.

3. Das Gericht hat in dem (dann fortzusetzenden) Urteilsverfahren entweder in der Sache zu entscheiden oder aber auszusprechen, dass die Klage zurückgenommen ist.

4. Bei diesem Fortsetzungsantrag, der im Rahmen des bisherigen Klageverfahrens erhoben wird, handelt es sich nicht um einen Feststellungsantrag, sondern um einen Antrag zur Fortsetzung der Anfechtungsklage.

5. Prozesserklärungen (wie Klagerücknahmen) sind wie sonstige Willenserklärungen auslegungsfähig; Ziel der Auslegung ist es, den wirklichen Willen des Erklärenden zu erforschen.

 

Normenkette

FGO § 72 Abs. 2 Sätze 2-3, § 41; BGB § 133

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Klage zurückgenommen ist.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klage wirksam zurückgenommen ist.

I.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die im Dezember 1997 gegründet wurde und seit Januar 1999 nach einem Gesellschafterwechsel aus den beiden Gesellschaftern […] B und S besteht und unter ihrem heutigen Namen firmiert.

Nachdem die Klägerin trotz Aufforderungen die Steuererklärungen für die Streitjahre 2000 und 2001 nicht eingereicht hatte, schätzte der Beklagte – das Finanzamt (FA) – die Besteuerungsgrundlagen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Das FA stellte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Klägerin für 2000 und 2001 gesondert und einheitlich jeweils mit 0 DM fest (Bescheide vom 14. November 2003); die Umsatzsteuer wurde für die Jahre 2000 und 2001 jeweils mit 2.351,94 EUR festgesetzt (Bescheide vom 26. November 2003); außerdem setzte das FA in diesen Bescheiden Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer für 2000 und für 2001 in Höhe von jeweils 102,26 EUR fest.

Mit Bescheiden vom 11. November 2004 hob das FA den Vorbehalt der Nachprüfung bei den Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre 2000 und 2001 auf. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 30. Juni 2005). Das FA habe keinen Anlass von seinen Schätzungen abzuweichen, da die Klägerin auch im Einspruchsverfahren die Steuererklärungen nicht vorgelegt habe.

Dagegen erhob die Klägerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage. Außerdem beantragte die Klägerin im März 2006 die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Feststellungs- und Umsatzsteuerbescheide. Dieses Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen (Az.) 13 V 1218/06 registriert.

Im Juni 2006 reichte die Klägerin nach mehreren Fristverlängerungsantragen zur Begründung ihrer Klage die Steuererklärungen (Feststellungs-, Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung) für 2000 und 2001 beim FA ein. Die Klägerin erklärte für das Jahr 2000 einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 19.410 DM und eine festzusetzende Umsatzsteuer in Höhe von 1.334,95 DM und für das Jahr 2001 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.537 DM und eine festzusetzende Umsatzsteuer in Höhe von 1.998,88 DM.

Mit Schreiben vom 20. Juni 2006, das am selben Tag dem Finanzgericht (FG) per Telefax übermittelt wurde, erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wörtlich:

„[…] wegen

Gesonderter und einheitlicher Feststellung von Grundlagen für die Einkommensbesteuerung und Umsatzsteuer 2000 und 2001 und Aussetzung der Vollziehung

Az.: 13 K 2970/05

Az.: 13 V 1218/06

Heute hat Herr S die oben genannten Steuererklärungen beim Finanzamt F […] abgegeben. Dadurch ist eine Entscheidung des Finanzgerichts in dieser Sache nicht mehr erforderlich.

Ich nehme deshalb die Klagen zurück.

Mit freundlichen Grüßen”.

Am 21. Juni 2006 ging beim FG per Telefax ein Schreiben vom selben Tag ein, in dem die Klägerin persönlich erklärte, dass nur der Antrag auf AdV mit dem Az. 13 V 1218/06 zurückgenommen wird, die Klage mit dem Az. 13 K 2970/05 jedoch bestehen bleiben soll.

Mit Beschluss vom 5. Juli 2006 hat der Berichterstatter das Verfahren Az. 13 V 1218/06 nach Rücknahme des Antrags eingestellt.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass eine Rücknahme der Klage nicht erfolgt ist. Aus den Schriftsätzen der Klägerin und ihres Prozessbevollmächtigten würde sich ergeben, dass eine Änderung der angefochtenen Bescheide unter Zugrundelegung der Steuererklärungen gewollt gewesen sei. Dies würde sich auch aus den Telefonaten des S mit dem vormals zuständigen Berichterstatter des Senats ergeben.

Das FA ist der Auffassung, dass nach Rücknahme der Klage eine Änderung der Steuerbescheide nicht mehr möglich ist.

Mit Anordnung vom 6. November 2006 h...

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