rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Umsatzbesteuerung einer Verzichtsleistung als sonstige Leistung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine sonstige Leistung gegen Entgelt „Verzichtsleistung”) liegt nicht vor, wenn der Erbringer einer entgeltlich vereinbarten Dienstleistung die Leistung im Interesse bzw. zu Gunsten des Leistungsempfängers unterlässt bzw. vorzeitig beendet und von diesem hierfür einen Geldbetrag erhält; das folgt aus dem Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer (gegen BFH-Rechtsprechung).

2. Der Vorteil, den die zahlende von der anderen, auf die Vertragserfüllung Verzicht leistenden Partei erhält, besteht im Wesentlichen in der Befreiung von den Pflichten aus dem ursprünglichen Rechtsverhältnis bzw. von der Bindung an den ursprünglich abgeschlossenen Vertrag. Die Entlassung aus der Vertragsbindung als solche kann indes keine sonstige Leistung sein.

3. Es fehlt an einem für die Umsatzsteuerbarkeit erforderlichen Leistungsaustausch, wenn der anlässlich einer vorzeitigen Vertragsbeendigung vereinbarte Vergleichsbetrag kein Entgelt, sondern eine Entschädigung darstellt, die auch ohne Abschluss des Vergleichs aufgrund Gesetzes geschuldet wäre.

 

Normenkette

UStG § 3 Abs. 9 Sätze 1-2, § 1 Abs. 1 Nr. 1; EWGRL 388/77 Art. 2 Nr. 1, Art. 9 Abs. 2 Buchst. e; BGB § 326 Abs. 2 S. 2, § 615 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.01.2014; Aktenzeichen V R 22/13)

BFH (Urteil vom 16.01.2014; Aktenzeichen V R 22/13)

 

Tenor

1. Der Umsatzsteuerbescheid für 2002 vom 17. November 2011 und die hierzu erlassene Einspruchsentscheidung vom 13. April 2012 werden aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin, eine GmbH, ist seit August 2008 Tochtergesellschaft der B-Holding GmbH, die als Arbeitsgemeinschaft gem. § 219 Sozialgesetzbuch V im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für ihre Gesellschafter, insbesondere Betriebskrankenkassen (BKK), IT-Dienstleistungen erbringt. Zu diesem Zweck betreibt die Klägerin ein Service-Zentrum und bietet den BKK Hard- und Softwarelösungen an, insbesondere Rechner und DV-Netzbetrieb sowie Softwareanwenderberatung.

Die Klägerin erbrachte auf der Grundlage einer in 1998 abgeschlossenen Verwaltungsvereinbarung (folgend: IT-Dienstleistungsvertrag) gegenüber ihrem Gesellschafter und Kunden, der B-BKK, Dienstleistungen der elektronischen Datenverarbeitung, insbesondere Netzwerkdienstleistungen und die sog. ISKV-Basisdienstleistung. Die Leistungen wurden nach § 5 IT-Dienstleistungsvertrag auf Selbstkostenbasis abgerechnet; die Gesamtvergütung betrug bis zum 31. Dezember 2001 ohne Netzkosten jährlich … DM. Der IT-Dienstleistungsvertrag wurde nach seinem § 9 ab dem 1. Januar 1999 zunächst für die Dauer von drei Jahren geschlossen. Er konnte unter Wahrung einer Kündigungsfrist von neun Monaten zum Jahresende, erstmals zum 31. Dezember 2001 gekündigt werden. Erfolgte keine Kündigung, verlängerte er sich um jeweils ein Jahr, wobei die Vergütung neu festzulegen war.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2002 kündigte die B-BKK den IT-Dienstleistungsvertrag zum Ablauf des 31. Dezember 2003. Gleichzeitig erklärte sie, dass sie bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2002 keine Dienstleistungen, Nutzungen von Hard- und Software und sonstige Tätigkeiten oder Aufwendungen der Klägerin in Anspruch nehmen werde. Sie gehe davon aus, dass aufgrund der Abrechnung auf Selbstkostenbasis nach § 5 des IT-Dienstleistungsvertrags wegen der wegfallenden Inanspruchnahme nach dem 31. Dezember 2002 keine abzurechnenden Kosten im Jahr 2003 entstehen werden, und bitte daher um die Erstellung einer Schlussrechnung unter Berücksichtigung aller durch die Nichtinanspruchnahme der Klägerin in 2003 ersparten Aufwendungen.

Hintergrund der Kündigung war die im September 2002 beschlossene Fusion der B-BKK und der V-BKK zur D-BKK zum 1. Januar 2003, das damit verbundene Ausscheiden der B-BKK als Gesellschafter der Klägerin und die in diesem Zusammenhang getroffene Entscheidung, dass die D-BKK künftig nur noch das bisher von der V-BKK genutzte Rechenzentrum des Konkurrenzunternehmens der Klägerin, der I-GmbH, nutzen werde.

Die Klägerin machte daraufhin gegenüber der B-BKK Vergütung, Aufwendungs- und Schadensersatz in Höhe von ca. … EUR geltend. Ihr sei durch die Entscheidung der D-BKK, die ISKV-Basisdienstleistung bei der I-GmbH zu beziehen, ein erheblicher Schaden entstanden, der vor allem daraus resultiere, dass die Klägerin bereits erhebliche Investitionen für die B-BKK getätigt habe. Sie habe im Mai 2002 aufgrund der begrenzten Rechnerressourcen eine neue Rechnergeneration (Solaris Technologie) einführen müssen. Dies sei auch mit der B-BKK besprochen und im guten Glauben durchgeführt worden, dass m...

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