rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Inländischer Kindergeldanspruch des Vaters von in Portugal bei der Mutter lebenden Kindern vor und nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Für den Fall der Anwendbarkeit der EU-rechtlichen Prioritätsregeln für das Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen mehrerer Mitgliedstaaten kann der inländische Kindergeldanspruch nicht wegen eines ausländischen Kindergeldanspruchs gem. § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG versagt werden.

2. Bezieht der Vater von in Portugal bei der Mutter lebenden Kindern sog. Arbeitslosengeld II, welches nicht als Geldleistung aufgrund einer Erwerbstätigkeit i. S. d. Art. 11 Abs. 2 VO (EG) Nr. 883/2004 anzusehen ist, so dass sich die Zuständigkeit Deutschlands allein aufgrund des inländischen Wohnsitzes begründet, besteht gem. Art. 68 Abs. 1 Buchst. a VO (EG) Nr. 883/2004 kein Anspruch auf deutsches Kindergeld, wenn die Kindesmutter in Portugal eine Beschäftigung ausübt. Priorität erlangen danach die durch eine Beschäftigung ausgelösten Ansprüche in Portugal.

3. Der sich ausschließlich auf den inländischen Wohnsitz begründen könnende Kindergeldanspruch des erwerblosen Kindesvaters schließt gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 VO (EG) Nr. 883/2004 auch die Zahlung eines sog. Differenzkindergeldes aus.

4. Ein Anspruch auf Differenzkindergeld gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) Nr. 883/2004 besteht jedoch nach Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit durch den Kindesvater aufgrund der nunmehr auch aufgrund der Erwerbstätigkeit begründeten Zuständigkeit Deutschlands. Dieser Anspruch wird nicht aufgrund § 64 Abs. 2 EStG ausgeschlossen.

5. Auf die bei doppelter Kindergeldberechtigung geltende Rangfolgenregelung des § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG kann sich nur berufen, wer selbst nach § 62 EStG kindergeldberechtigt ist. Die fehlende Kindergeldberechtigung der in Portugal mit ihren Kindern in einem Haushalt lebenden Kindsmutter lässt sich durch die Vorschrift des Art. 60 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr. 987/2009 weder fingieren noch ersetzen. Diese sog. Familienbetrachtungs-Vorschrift bezweckt nicht den Ausschluss bestehender Ansprüche.

 

Normenkette

EStG § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 64 Abs. 2 S. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 3; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 3 Buchst. a, e; EGV 883/2004 Art. 11 Abs. 2; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 2 S. 1; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 2 S. 2; EGV 883/2004 Art. 68 Abs. 2 S. 3; EGV 883/2004 Art. 1 Buchst. 1; EGV 987/2009 Art. 60 Abs. 1 S. 2; EWGV 1408/71; EWGV 574/72

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 25.09.2014; Aktenzeichen III R 36/12)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27. April 2011 und der Einspruchsentscheidung vom 06. Mai 2011 verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger und der Beklagten je zur Hälfte auferlegt.

Beschluss:

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger Kindergeld für seine in Portugal lebenden Kinder aus erster Ehe zusteht.

Der Kläger ist portugiesischer Staatsangehöriger. Aus der ersten, in Portugal geführten und mittlerweile geschiedenen Ehe des Klägers stammen zwei Kinder, nämlich die am 05. April 1993 geborene Tochter B. und der am 26. Juni 1996 geborene Sohn C.; beide Kinder leben bei der Kindesmutter in Portugal. Die Kindesmutter hat selbst weder jemals in Deutschland gelebt noch hier gearbeitet; sie ist in Portugal als leitende Fachkraft erwerbstätig und erhält in Portugal für jedes der beiden Kinder einen Familienzuschlag in Höhe von 22,59 EUR.

Seit Dezember 2006 lebt der Kläger – mittlerweile mit seiner zweiten Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern – in Deutschland. In den Monaten Januar und Februar 2007 war der Kläger in Deutschland unselbständig erwerbstätig; anschließend erhielt er Geldleistungen wegen Arbeitslosigkeit nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II vom Jobcenter in F. (so genanntes „Arbeitslosengeld II”). Ab dem 15. Mai 2010 nahm die Ehefrau des Klägers eine Erwerbstätigkeit auf; das Jobcenter forderte die gegenüber der Familie des Klägers für Mai 2010 erbrachten Leistungen daraufhin teilweise zurück und lehnte für die Zeit ab Juni 2010 weitere Leistungen nach SGB II ab. Vom 29. April bis zum 26. September 2011 war der Kläger arbeitslos gemeldet, bezog jedoch auch weiterhin keine Leistungen nach dem SGB II. Seit dem 15. September 2011 geht der Kläger in F. einer sozialversicherungspflichtigen unselbständigen Tätigkeit nach.

Am 07. April 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Kindergeld für seine vier Kinder. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03. Februar 2011 in Bezug auf die in Portugal lebenden Kinder B. und C. ab und führte aus, dass nach § 64 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für jedes Kind nur einer Person Kindergeld gezahlt werden könne...

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