Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Der Kläger begehrt Erstattung der Kosten für die Anschaffung eines Türklingel - Signalaufnehmers mit Zusatzblitzlampe (Klingelleuchte).

Der Kläger und seine Ehefrau leiden an einer an Taubheit grenzenden Innenohrschwerhörigkeit. In der Wohnung der Eheleute hat der Kläger eine Klingelleuchte installieren lassen; das Gerät überträgt das akustische Türklingelsignal in ein optisches Signal. Die Beklagte, bei der der Kläger krankenversichert ist, lehnte die beantragte Übernahme der Kosten in Höhe von ca. 250,-- DM ab.

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassene Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, die Klingelleuchte sei kein Hilfsmittel i.S. des § 182b der Reichsversicherungsordnung (RVO). Zwar erleichtere sie die Kontaktaufnahme von außen wesentlich. Sie diene aber nicht der alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse. Ohne Einsatz des Geräts sei ein Gehörloser nicht in seiner Wohnung isoliert. Jederzeit ohne Schwierigkeiten von der Außenwelt erreichbar zu sein, gehöre nicht zu den elementaren Grundbedürfnissen des Menschen. Vor allem aber sei der Gehörlose nicht für notwendige Verrichtungen des täglichen Lebens auf die Klingelleuchte angewiesen; er sei durch seine Behinderung nicht gehindert, aktiv Verbindung mit der Außenwelt aufzunehmen, wann immer er es wünsche. Eine Ausnahmesituation sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger habe keine besonderen Umstände vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen könnten, der Einbau der Klingelleuchte sei wegen des Gehörverlustes unumgänglich gewesen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und macht geltend, die Bedeutung der Klingelleuchte für hochgradig Schwerhörige und Taube bestehe nicht nur in der Kommunikationshilfe; sie schaffe die Möglichkeit, die Isolierung zu überwinden und wirke der Entwicklung weiterer Verhaltensstörungen entgegen. Zur alltäglichen Lebensbetätigung im Rahmen der allgemeinen Grundbedürfnisse gehöre nicht nur die elementare Körperpflege oder die Nahrungsaufnahme, sondern auch die Vergrößerung des Freiheitsraumes des Behinderten - so auch die spontane verbale Kommunikation mit seiner Umwelt -. Deshalb hätten schon viele Krankenkassen die Kosten einer Klingelleuchte übernommen. Der Kläger müsse ohne die Anlage weitgehend auf Besuche durch andere Menschen, Gäste, Postzusteller, Installateure, Ärzte, verzichten oder könnte sie nur nach Vereinbarung einer genauen Uhrzeit empfangen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland - Pfalz vom 6. Februar 1986, das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 13. Juni 1985 sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Anschaffung eines Türklingel-Signalaufnehmers mit Zusatzblitzlampe zu tragen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der bisherigen Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der geltend gemachte Anspruch besteht.

Der Kläger begehrt mit seinem Antrag sinngemäß die Erstattung der Kosten, die ihm durch die Anschaffung der Klingelleuchte entstanden sind. Obwohl er keinen bestimmten Betrag genannt hat, richtet sich die Klage auf die Erstattung der Kosten für die konkrete von ihm getätigte Anschaffung.

Dieser Anspruch kann begründet sein. Zwar wird das Recht der sozialen Krankenversicherung vom Sachleistungsprinzip beherrscht, das auch für den hier in Betracht kommenden Anspruch auf Gewährung von Hilfsmitteln gilt. Die Rechtsprechung hat aber einen auf Kostener-satz gerichteten Anspruch zugelassen, wenn die Krankenkasse den Antrag des Versicherten auf Gewährung einer Sachleistung zu Unrecht abgelehnt und ihn dadurch zur Behandlung auf eigene Kosten gezwungen hat. Der Ablehnung ist der Fall gleichzustellen, in dem der Versicherte zwar nicht versucht hat, eine Sachleistung zu erlangen, von vornherein aber festgestanden hat, daß ihm die Leistung ver-weigert werden würde (BSG SozR 2200 § 182 RVO Nr. 86). Es steht fest, daß die Beklagte dem Kläger die Gewährung einer Klingel-leuchte verweigert hätte. Dies folgt aus ihren Bescheiden, ihrem Klagabweisungsantrag und ihrem Vorbringen im gerichtlichen Verfahren bis in die Revisionsinstanz. Nach ihrer Meinung ist eine Klingelleuchte kein Hilfsmittel im Sinn der gesetzlichen Krankenversicherung, so daß ein Anspruch des Klägers auf Gewährung eines solchen Gerätes auszuscheiden hat. Die Beklagte beruft sich für ihre Ablehnung auf den Hilfsmittelkatalog, in dem die Klingelleuchte ausdrücklich als eine Hilfe bezeichnet wird, für die die gesetzliche Krankenversicherung nicht zuständig ist (Ziffer 1.5.1 des Katalogs in ErsK 1983, 116, 119, 146; vgl. auch ErsK 1986, 321).

Die Verweigerung der Beklagten kann unrechtmäßig sein, der Kläger kann einen Anspruch auf Ausstattung mit dem streitigen Gerät ge-habt haben. In Betracht kommt ein Anspruch nach § 182b RVO. Die Bestimmung regelt den Anspruch des Versicherten auf Ausstattung mit orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die erforderlich sind, um einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine körperliche Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen sind.

Die streitige Anlage kann ein Hilfsmittel in diesem Sinne sein. Sie ist geeignet, eine an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit aus-zugleichen. Mit der Anlage wird die je nach dem Grad der Schwerhörigkeit ausgefallene körperliche Funktion des Aufnehmens akustischer Informationen ersetzt. Ihrer Eignung für den Ausgleich der Behinderung steht nicht entgegen , daß sie das akustische Signal in ein opti-sches umformt, so daß die Information den Behinderten statt über das geschädigte Ohr über die Augen erreicht (vgl. BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 26 - Schreibtelefon -). Unzutreffend ist deshalb die Begründung des LSG Berlin, das die Eigenschaft einer Lichtsignalanla-ge als Hilfsmittel für Taube abgelehnt hat, weil die Anlage nicht auf die Funktionsstörung erleichternd einwirke und keinen dem Gehör ver-gleichbaren Ersatz zu erbringen vermöge (LSG Berlin SozArb 1980, 76). Der Hilfsmitteleigenschaft steht ferner nicht entgegen, daß die Klingelleuchte nicht unmittelbar am Körper ausgleichend wirkt (vgl. BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 17 - Blattwendegerät -). Entschei-dend ist vielmehr der enge Zusammenhang der durch diese Anlage ausgeglichenen Beeinträchtigung bei der Aufnahme akustischer Klin-gelsignale mit der Behinderung (vgl. BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 10 - WC - Automatik -); die Funktion der Klingelleuchte und die hier bestehende Behinderung gehören dicht zusammen (vgl. BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 25 - Kopfschreiber -). Zwar kann die Anlage den Funktionsausfall nicht vollkommen ausgleichen, sondern nur zu einem Teil; dadurch wird aber die Hilfsmitteleigenschaft nicht ausgeschlossen (BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 17).

Von Einrichtungen, die der behindertengerechten Ausstattung der Wohnung dienen (vgl. dazu BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 23 -Trep-penlift -; Urteil vom 23. Oktober 1984 - 8 RK 43/83 - (KVRS A 2240/21 - Lichtschutz-Pergola), unterscheidet sich die Klingelleuchte entge-gen der im Hilfsmittelkatalog vertretenen Auffassung schon durch den besonderen Zusammenhang mit der Behinderung eines schwerhöri-gen Versicherten. Die Klingelleuchte mag sogar mit dem Gebäude fest verbunden sein; dies wäre aber ohne Bedeutung (BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 23). Wie Einrichtungen zur behindertengerechten Ausstattung der Wohnung, wirkt die Klingelleuchte allerdings nur in einem bestimmten begrenzten Raum. Ihre Eignung als Hilfsmittel i.S. des § 182b RVO folgt aber aus ihrer besonderen Zweckbestimmung. Der Zweck der Klingelleuchte wird durch den Ausgleich der Behinderung geprägt, denn diese Anlage ist zum Ausgleich der Behinderung eines Schwerhörigen in jeder Wohnung geeignet - unabhängig von ihrer Lage und sonstigen Ausstattung -. Um ein Mittel der Wohnungsfür-sorge im Rahmen der Eingliederungshilfe (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 6 a des Bundessozialhilfegesetzes) handelt es sich dagegen nur dann, wenn das Mittel nur in der konkreten Wohnung wegen deren besonderer Beschaffenheit erforderlich ist, nicht aber, wenn es typischerweise und erfahrungsgemäß auch in anderen Wohnungen bzw. Wohngebäu-den eines solchen Hilfsmittels bedarf (BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 29 - Treppenraupe -).

Zutreffend hat das LSG hervorgehoben, daß das Aufgabengebiet der Krankenversicherung nur in Bereich der Krankenpflege liegt und die Krankenkassen nicht zuständig sind für Maßnahmen, die bei den Folgen der Behinderung auf beruflichem, wirtschaftlichem oder, privatem Gebiet ansetzen. Daraus ergeben sich besondere Schwierigkeiten für die Abgrenzung zwischen den von den Krankenkassen aufzubrin-genden und den außerhalb ihrer Leistungspflicht stehenden Hilfsmitteln. Die Leistungspflicht der Krankenkassen ist gegeben, wenn das Mittel für die Befriedigung lebensnotwendiger Grundbedürfnisse erforderlich ist. Dies hat die Rechtsprechung der Bestimmung des § 182 Abs. 2 RVO entnommen (BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 17; 261, 30). Nach § 182 Abs. 2 RVO darf die Krankenpflege, zu der die Ausstattung mit Hilfsmitteln gehört, das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Bei der Klingelleuchte kann diese Voraussetzung erfüllt sein.

Das LSG ist der Ansicht, der Gehörlose sei nicht für notwendige Verrichtungen des täglichen Lebens auf die Klingelleuchte angewiesen; er sei durch sein Leiden nicht gehindert, aktiv Verbindung zur Außenwelt aufzunehmen, wann immer er es wünsche. Damit wird aber die Notwendigkeit der Anlage zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse nicht ausgeschlossen. Zu diesen Bedürfnissen gehört auch die passive Erreichbarkeit durch Menschen aus dem Bereich der Außenwelt. Das LSG hat dies nach seiner Überzeugung, aber ohne nähere Begründung und im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt. Allerdings ist der Gehörlose ohne die Klingelleuchte nicht völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Er kann nicht nur jederzeit aktiv mit anderen Menschen Verbindung aufnehmen, sondern ist auch (Passiv) für sie erreichbar - jedenfalls für solche Besucher, die sich vorher zu einer bestimmten Uhrzeit angemeldet haben -. Schwierigkeiten ergeben sich aber beim spontanen Besuch, sowie dann, wenn der Besucher seine Ankunftszeit nicht näher bestimmen kann. So wird etwa der Arzt, der zu einem Hausbesuch kommen soll, häufig nicht schon bei der Bestellung sagen können, wann er bei der Wohnung des einzelnen Patienten eintrifft. Zu den elementaren Grundbedürfnissen des Menschen wird man zwar entgegen der Meinung des Klägers nicht die Möglichkeit der Entge-gennahme von Paketen an der Wohnungstür rechnen können - alleinstehende Berufstätige müssen sich, wenn kein Nachbar helfen kann, ihre Pakete bei der Postanstalt abholen -, wohl aber die Möglichkeit, Waren angeliefert zu bekommen (z.B. Heizöl, Kartoffeln), Handwer-ker für die Durchführung von Reparaturen in der Wohnung oder etwa den Schornsteinfeger zu empfangen. Auch die Annahme von Tele-grammen gehört in diesen Bereich. Hinzu kommt die Öffnung für spontane Besuche insbesondere aus der Nachbarschaft. Bei der Unfähigkeit eines Gehörlosen, solche Besucher zu empfangen, handelt es sich auch nicht nur um Folgen der Behinderung auf privatem Gebiet.

Allerdings ist ein Hilfsmittel, das die krankhafte Funktionseinbuße in nur unwesentlichem Umfang auszugleichen vermag, nicht notwendig i.S. § 182 Abs. 2 RVO (BSG SozR 2200 § 182b RVO Nr. 25 - Kopfschreiber -). Die Klingelleuchte kann indessen die Gehörlosigkeit in einem wesentlichen Umfang ausgleichen. Dabei ist zu beachten, daß die Möglichkeit, den lebenswichtigen Kontakt mit anderen Menschen zu pflegen, für Gehörlose stark eingeschränkt ist. Gespräche können sie nur mit ebenfalls Gehörlosen führen. Ihnen droht die Gefahr der Vereinsamung. Deshalb ist für einen Gehörlosen jeder ihm noch mögliche Kontakt mit anderen Menschen besonders wichtig. Dies gilt für die Entgegennahme von Telegrammen, die bei vielen gesunden Menschen heute meist durch den Empfang von Telefongesprächen mit eiligen Informationen oder Fragen ersetzt wird, ebenso wie für den Besuch des Nachbarn, der um eine kleine Hilfe bittet. Die Notwendig-keit wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Gehörlose manchen Besuch mit nur ungefähr bekannter oder zu vermutender Ankunftszeit an der Tür oder davor erwarten könnte. Ein derartiges Verhalten kann vom Versicherten nicht verlangt werden und ist in der Regel unzumutbar. Bei unangemeldeten Besuchen würde es ohnehin nichts nützen. Da die Türklingel in Deutschland üblich ist und zu jeder abgeschlossenen Wohnung gehört, muß dem Gehörlosen der Anspruch auf einen Ersatz für dieses Gerät zugestanden werden.

Aus diesen Gründen kann die Klingelleuchte für einen gehörlosen Behinderten notwendig sein. Das LSG hat aber die Unfähigkeit des Klägers, akustische Klingelzeichen mit Hilfe eines Hörgeräts aufzunehmen, nicht festgestellt, sondern lediglich im Tatbestand des Urteils erwähnt, diese Unfähigkeit bestehe nach den Angaben des Klägers. Entsprechend der Rechtsauffassung des Senats ist es erforderlich, insoweit noch Ermittlungen anzustellen. Wenn der Kläger (auch mit Hörgerät) kein akustisches Klingelsignal aufnehmen kann, wird weiter zu prüfen sein, ob ein Türklingel-Signalaufnehmer mit Zusatzblitzlampe notwendig war oder der Ausgleich schon durch ein damals auf dem Markt angebotenes einfachereres Gerät hätte erreicht werden können. Ein Hilfsmittel ist nur dann, im krankenversicherungsrechtlichen Sinn notwendig, wenn mit ihm "gerade dieses Maß an Krankenhilfe zwangsläufig, unentbehrlich oder unvermeidlich ist" (Krausskopf/-Schroeder - Printzen, Soziale Krankenversicherung, § 182 RVO Anm. 3.3).

Das LSG wird über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518116

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