Entscheidungsstichwort (Thema)

Lichtschutzpergola kein Hilfsmittel iS der Krankenversicherung. behindertengerechte Ausstattung der Wohnung. Zuständigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Begriff "Hilfsmittel" iS des § 182b RVO (Lichtschutz-Pergola):

Zu den anderen Hilfsmitteln iS des § 182b RVO gehört nicht die behindertengerechte Ausstattung und Erhaltung der Wohnung.

 

Orientierungssatz

1. Der Versicherte ist berechtigt, sich die Sachleistung selbst zu beschaffen und vom Versicherungsträger Kostenerstattung zu verlangen, wenn der Versicherungsträger die Sachleistung rechtswidrig verweigert hat (vergleiche BSG vom 14.12.1982 8 RK 23/81 = SozR 2200 § 182 Nr 86).

2. Eine Lichtschutzpergola, die wegen einer Stoffwechselerkrankung vor Sonnen- und Lichteinwirkung schützen soll, ist kein von den Trägern der sozialen Krankenversicherung zu gewährendes Heil- oder Hilfsmittel.

3. Die behindertengerechte Ausstattung und Erhaltung der Wohnung ist kein sonstiges Hilfsmittel, so daß nicht die Träger der Krankenversicherung, sondern allein die Sozialhilfeträger zuständig sind.

 

Normenkette

RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 1974-08-07, Buchst. c Fassung: 1974-08-07, § 182b Fassung: 1974-08-07; SGB 1 § 29 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1980-07-09, Nr. 3 Fassung: 1980-07-09; BSHG § 40 Abs. 1 Nr. 6a

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.09.1983; Aktenzeichen L 4 Kr 84/82)

SG Landshut (Entscheidung vom 25.05.1982; Aktenzeichen S 9 Kr 75/81)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für eine Gartenlaube (Lichtschutz-Pergola).

Die Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Ihr am 1. April 1981 geborener Sohn F. (F.) leidet an einer Stoffwechselkrankheit, bei der es unter Einwirkung von Sonnen- und Tageslicht zu Schwellungen und Blasenbildungen an der Haut mit nachfolgender narbiger Abheilung sowie zu einem massiven Zerfall der roten Blutkörperchen kommt, wodurch Bluttransfusionen erforderlich werden. Diese Krankheitserscheinungen können verhindert oder stark abgeschwächt werden, wenn F. vor Lichteinwirkungen geschützt wird.

Die Klägerin beantragte im August 1981 bei der Beklagten ua die Übernahme der Kosten für einen "Laubengang aus Holz", der im Anschluß an ihr Wohnhaus errichtet werden sollte, um F. einen Aufenthalt im Freien zu ermöglichen. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit ihrem Bescheid vom 7. September 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 1981 ab. Das Sozialgericht Landshut (SG) hat die Beklagte mit seinem Urteil vom 25. Mai 1982 verurteilt, die Kosten für eine Kantholzpergola zu übernehmen.

Die Klägerin hat einen Laubengang in der Größe von etwa 7 x 10 m herstellen lassen sowie Klettergewächse eingepflanzt.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. September 1983), weil die "Gartenlaube" kein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Es handele sich nämlich um eine den krankheitsbedingten Bedürfnissen des F. angepaßte Ausstattung der Wohnung, die nicht zu den medizinischen Leistungen der Krankenhilfe gehören. Im übrigen sei die Laube auch ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, der als solcher von jeher als Hilfsmittel der Krankenversicherung ausgeschlossen sei. Da es sich bei der "Gartenlaube" nicht um eine medizinische Maßnahme der Krankenhilfe handele, komme auch die Gewährung als weitere Leistung der Krankenpflege außerhalb des Leistungskataloges der §§ 182 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht in Betracht. Deshalb könne auch nicht beanstandet werden, daß es die Beklagte in Ausübung ihres Ermessens abgelehnt habe, die Kosten als Mehrleistung zur Verhütung von Erkrankungen zu gewähren.

Mit ihrer - von dem LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 182 Abs 1 und 2, 182b Satz 1 RVO iVm §§ 507 Abs 4 und 205 RVO sowie der Vorschrift des § 54 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die streitige Lichtschutzpergola sei ein Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung, das dem Ausgleich der Behinderung selbst bezwecke bzw unmittelbar gegen die Behinderung gerichtet sei. Die ausschließlich aus dringenden medizinischen Gründen erforderliche Einrichtung könne nicht mit der Anpassung einer Wohnung an die Verhältnisse eines Behinderten verglichen werden. Sie diene ausschließlich der Bekämpfung der Erkrankung des Kindes. Die Pergola sei auch kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, sondern eine aus medizinischen Gründen für den Sohn der Klägerin unerläßliche Schutzeinrichtung. Jedenfalls sei sie eine weitere Leistung der Krankenpflege außerhalb des Leistungskataloges der §§ 182 ff RVO. Die Beklagte habe mit ihrer Weigerung insoweit von ihrem Ermessen in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. September 1983 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 25. Mai 1982 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die streitige Pergola sei nicht geeignet, einen irgendwie gearteten Erfolg der Heilbehandlung in medizinischer Hinsicht zu sichern. Die unmittelbare Ausgleichsfunktion hinsichtlich des bestehenden Funktionsdefizits könne durch den Aufenthalt im Freien nicht erzielt werden, weil das vorliegende Krankheitsbild unverändert bestehen bleibe. Es handele sich daher um einen behindertengerecht gestalteten Gebrauchsgegenstand, der dadurch nicht zum Hilfsmittel der Krankenversicherung werde.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat das der Klage stattgebende Urteil des SG zu Recht aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin Kosten zu erstatten.

Der Erstattungsanspruch scheitert allerdings nicht schon daran, daß die Klägerin die Laube selbst hat herstellen lassen. Sie hatte nämlich zunächst bei der Beklagten einen Antrag gestellt, der auf die Gewährung einer Sachleistung gerichtet war und die Laube erst auf eigene Kosten herstellen lassen, nachdem die Beklagte ihren Sachleistungsantrag abgelehnt hatte. Der Versicherte ist in solchen Fällen berechtigt, sich die Sachleistung selbst zu beschaffen und vom Versicherungsträger Kostenerstattung zu verlangen, wenn der Versicherungsträger die Sachleistung rechtswidrig verweigert hatte. Die Voraussetzungen des Sachleistungsanspruchs sind daher im Verfahren über den Erstattungsanspruch zu prüfen (SozR 2200 § 182 Nr 86).

Das LSG hat einen Sachleistungsanspruch der Klägerin zutreffend verneint. Sie hat zwar als Mitglied der beklagten Ersatzkasse für ihren Sohn (F.) Anspruch auf Krankenhilfe (§§ 182 Abs 1, 205 Abs 1 und 2, 507 Abs 4 RVO), insbesondere also auch auf Heil- und Hilfsmittel (§§ 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b und c, 182b RVO). Das im Folgenden als "Laube" bezeichnete Bauwerk (eine aus Vierkanthölzern hergestellte Pergola, die mit Kletterpflanzen bewachsen werden soll und eine Grundfläche von 7 x 1O m hat) ist jedoch kein von den Trägern der sozialen Krankenversicherung zu gewährendes Heil- oder Hilfsmittel. Sie soll allerdings dazu dienen, F. den Aufenthalt und die Bewegung im Freien zu ermöglichen, weil er an einer Stoffwechselerkrankung leidet, die es erfordert, ihn vor Sonnen- und Lichteinwirkung zu schützen. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die Laube ausreichend und zweckmäßig ist und das Maß des Notwendigen nicht übersteigt (§ 182 Abs 2 RVO), dh ob sie von ihrer Beschaffenheit her geeignet ist, die Krankheit des F. günstig zu beeinflussen oder Folgen auszugleichen, oder ob solche Ziele der Krankenhilfe mit anderen Mitteln besser oder wirtschaftlicher zu erreichen wären. Auch wenn der Aufenthalt im Freien und die Bewegungsmöglichkeit an frischer Luft zu den lebensnotwendigen Grundbedürfnissen des F. zählen, was die Rechtsprechung als Voraussetzung für die Gewährung sonstiger Hilfsmittel nach § 182b RVO fordert (vgl zuletzt die zur Veröffentlichung bestimmten Urteile des erkennenden Senats vom 22. Mai 1984 - 8 RK 27/83 = Treppenraupe und 8 RK 45/83 = Schreibtelefon mwN), begründet das den streitigen Anspruch allein nicht.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der sich auch der erkennende Senat angeschlossen hat (SozR 2200 § 182b Nrn 10 und 23; Urteil vom 22. Mai 1984 - 8 RK 27/83 -), ist die behindertengerechte Ausstattung und Erhaltung der Wohnung kein sonstiges Hilfsmittel, so daß nicht die Träger der Krankenversicherung, sondern allein die Sozialhilfeträger zuständig sind. Denn in § 29 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) sind in Abs 1 Nr 1 Buchst d als medizinische Leistungen zur Eingliederung Behinderter ausdrücklich neben "anderen Hilfsmitteln" Leistungen zur allgemeinen sozialen Eingliederung genannt (§ 29 Abs 1 Nr 3 SGB I), wozu nach § 40 Abs 1 Nr 6a des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) Hilfen bei der Beschaffung und Erhaltung einer Wohnung zählen, die den besonderen Bedürfnissen des Behinderten entspricht. Die Hilfsmittel sind also andere Leistungen als die außerdem vorgesehenen Hilfen. Ebenso wie die Wohnung selbst kein "Hilfsmittel" der gesetzlichen Krankenversicherung ist, ist es auch nicht deren Anpassung an die krankheitsbedingten Bedürfnisse des Versicherten. Die hier in Frage stehende Laube ist mit dem Wohngrundstück der Klägerin fest verbunden, sie steht F. nur dort zur Verfügung, sie kann nicht an beliebigen anderen Orten benutzt werden, so wie das bei anderen als Hilfsmittel anerkannten Gegenständen der Fall ist (Badhelfer, Krankenlifter, handbetriebener oder elektrischer Krankenfahrstuhl, WC-Automatik, Treppenraupe; dagegen nicht bei einem Treppenlift - SozR 2200 § 182b Nr 23). Daß sie sich außerhalb des eigentlichen Wohngebäudes befindet, macht dabei keinen entscheidenden Unterschied. Sie soll - ebenso wie Umbauten oder Anpassungen der eigentlichen Wohnung - durch eine Umgestaltung des Grundstücks dazu dienen, den Lebensbereich zu erweitern und F. die - wenigstens teilweise - Benutzung des Gartens ermöglichen.

Ob die Laube ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist und die Beklagte, wie das LSG meint, auch deshalb nicht leistungspflichtig ist, braucht nicht entschieden zu werden.

Die Ablehnung der Beklagten ist auch nicht rechtswidrig, weil die Beklagte die streitige Gartenlaube nicht als Mehrleistung (§ 187 Abs 1 RVO) oder als ergänzende Leistung (§ 193 Abs 1 RVO) gewährt hat. Die Versicherungsbedingungen enthalten insoweit keine Leistungen, die ihrer Art nach auf die Gartenlaube angewendet werden könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660311

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