Leitsatz (amtlich)

1. Der Antrag auf Erstattung von Zöllen nach Art. 2 Abs. 2 Erstattungs/Erlaß-VO ist auch zulässig, wenn der Zollbescheid bereits bestandskräftig geworden ist.

2. Die Entscheidung des HZA über einen Antrag nach Art. 2 Erstattungs/Erlaß-VO ist mit dem Einspruch angreifbar.

3. Das Vorverfahren ist auch dann i. S. des § 44 Abs. 1 FGO erfolglos geblieben, wenn das FA (HZA) im Vorverfahren die materiell-rechtliche Frage, die Gegenstand des Klageverfahrens ist, nicht geprüft hat.

 

Normenkette

EWGV 1430/79 über die Erstattung oder den Erlaß von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben Art. 2; AO 1977 § 348; FGO § 44 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) beantragte im Rahmen eines zugelassenen Sammelzollverfahrens mit Einzelanmeldung vom 15. Juli 1980 bei einem Hauptzollamt die Abfertigung zum freien Verkehr für ein Oszilloskop einschließlich Speichergerät. Die Zollstelle entsprach dem Antrag und gab die Waren am 16. Juli 1980 frei. In der zugehörigen Sammelzollanmeldung vom 7. August 1980 berechnete die Klägerin selbst die Eingangsabgaben. Sie ging vom Zollsatz der Tarifnr. 90.28 des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) in Höhe von 12,3 % aus und berechnete demgemäß 1 984,51 DM Zoll.

Mit Schreiben vom 10. September 1980 beantragte die Klägerin die Erstattung des Zolls mit der Begründung, die Ware sei versehentlich verzollt worden; als Anlage überreiche sie ein Formular zur Erlangung der Zollfreiheit für ein wissenschaftliches Gerät Diesen Antrag lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) mit Bescheid vom 27. Januar 1981 mit dem Hinweis ab, die Überprüfung habe ergeben, daß die Voraussetzungen für die Gewährung der Zollfreiheit nicht erfüllt seien. Die Klägerin erhob darauf mit Schreiben vom 30. Januar 1981 „Widerspruch” und machte geltend, das fragliche Gerät habe doch wissenschaftlichen Charakter. Das HZA wertete dieses Schreiben als Einspruch und wies diesen mit Entscheidung vom 8. September 1982 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es erneut aus, die fragliche Ware erfülle die Voraussetzungen für die Zollfreiheit als wissenschaftliches Gerät nicht.

Die Klägerin beantragte vor dem Finanzgericht (FG), den Ablehnungsbescheid vom 27. Januar 1981 und die Einspruchsentscheidung vom 8. September 1982 aufzuheben sowie das HZA für verpflichtet zu erklären, ihr 903,60 DM zu erstatten. Zur Begründung führte sie aus, das eingeführte Gerät falle unter die Tarifnr. 84.53 GZT mit einem Zollsatz von 6,2 %. Das HZA wandte sich gegen diesen Antrag mit der Begründung, die Tarifauffassung der Klägerin sei unzutreffend.

Das FG wies die Klage ab.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

1. Das FG hat die Klage zu Recht als zulässig angesehen, ohne dies allerdings weiter zu begründen. Die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO sind erfüllt.

a) Die Klägerin begehrt die Erstattung von Zoll, der bei der Abfertigung des Oszilloskopes zum freien Verkehr erhoben worden ist, mit der Begründung, die Ware sei falsch in den GZT eingeordnet worden. Sie wendet sich damit materiell gegen den entsprechenden Zollbescheid vom 7. August 1980. Die streitbefangene Ware wurde im Rahmen eines zugelassenen Sammelzollverfahrens zum freien Verkehr abgefertigt (vgl. § 12 Abs. 2 Satz 2 des Zollgesetzes alter Fassung – ZG a. F. –). In der Sammelzollanmeldung hatte die Klägerin den Zoll selbst berechnet. In einem solchen Fall fanden nach § 36 Abs. 4 ZG a. F. die §§ 167 Satz 1, 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) Anwendung. Danach ist eine Festsetzung durch das HZA nur erforderlich, wenn die Festsetzung zu einer abweichenden Steuer führt; die Steueranmeldung steht einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Da das HZA den Zoll nicht abweichend von der Anmeldung festgesetzt hat, ist also die Sammelzollanmeldung vom 7. August 1980 eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO 1977).

b) Die Klägerin hat jedoch den Zollbescheid vom 7. August 1980 nicht angefochten. Sie hat mit ihrem Erstattungsantrag vom 10. September 1980 vielmehr von ihrem Recht nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben – Erstattungs/Erlaß-VO – (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – L 175/1 vom 12. Juli 1979, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung – VSF – Z 0250) Gebrauch gemacht, die Erstattung von Zöllen wegen des Nichtbestehens einer Zollschuld oder der Berechnung höherer als der gesetzlich geschuldeten Zölle (Art. 2 Abs. 1 Erstattungs/Erlaß-VO) zu beantragen. Sie hat damit den Antrag nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1798/75 (VO Nr. 1798/75) des Rates vom 10. Juli 1975 über die von den Zöllen des GZT befreite Einfuhr von Gegenständen erzieherischen wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters (Kulturgut-VO, ABlEG L 184/1 vom 15. Juli 1975) verbunden, ihr für die streitbefangene Ware die Zollfreiheit für Gegenstände wissenschaftlichen Charakters zu gewähren. Das Recht der Klägerin, nach den genannten Vorschriften Erstattung der Zölle zu fordern, ergibt sich aus der Erstattungs/Erlaß-VO; diese zählt zum Gemeinschaftsrecht das Vorrang vor nationalem Recht hat, insbesondere vor den Vorschriften der AO 1977. Dieses Recht kann nach Art. 2 Abs. 2 Erstattungs/Erlaß-VO unabhängig von der Bestandskraft des zugrundeliegenden Steuerbescheides innerhalb von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der Abgaben ausgeübt werden (vgl. auch Müller, Erstattung und Erlaß von Eingangs- und Ausfuhrausgaben nach neuem Gemeinschaftsrecht, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern – ZfZ – 1979, 290, 291; Christiansen, Erlaß, Erstattung und Nacherhebung von Eingangs- und Ausfuhrabgaben, ZfZ 1980, 354, 355; Friedrich, die EWG-Verordnungen über Nacherhebung und Erlaß bzw. Erstattung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben, Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters – RIW/AWD – 1982, 35, 40; Bail/Schädel/Hutter, Zollrecht, Stand: Juni 1984, Abschn. F IX 1, Erstattungs/Erlaß-VO Art. 2 Anm. 3). Diese Frist ist im vorliegenden Falle zweifellos eingehalten worden.

c) Die Klägerin hat gegen die Ablehnung der beantragten Erstattung nach Art. 2 Erstattungs/Erlaß-VO „Widerspruch” eingelegt. Das HZA hat dann zu Recht einen Einspruch im Sinne des § 348 AO 1977 gesehen. Dieser und nicht etwa die Beschwerde war auch der für diesen Fall vorgesehene Rechtsbehelf.

Die Entscheidung der Verwaltung über einen Antrag nach Art. 2 Erstattungs/Erlaß-VO ist in § 348 Abs. 1 AO 1977 nicht ausdrücklich als ein mit dem Einspruch angreifbarer Verwaltungsakt genannt. Insoweit liegt aber eine planwidrige Gesetzeslücke vor. Der Gesetzgeber der AO 1977 konnte den genannten Verwaltungsakt noch nicht berücksichtigen, weil die Erstattungs/Erlaß-VO damals noch nicht bestand. Hätte er die – dogmatisch in das nationale deutsche Recht nur schwer einzuordnende – Rechtsfigur des Erstattungsbescheides nach der Erstattungs/Erlaß-VO gekannt, so hätte er diesen Verwaltungsakt ebenso wie den Steuerbescheid in die Aufzählung des § 348 Abs. 1 AO 1977 mitaufgenommen. Denn Inhalt dieser Entscheidung ist allein die Frage der Rechtmäßigkeit des zugrundeliegenden Steuerbescheides; sie hat zwar nicht formell, aber materiell die Richtigkeit dieses Steuerbescheides zum Gegenstand. Die grundsätzliche Unterscheidung des §§ 348, 349 AO 1977 – Beschwerde in erster Linie für Ermessensentscheidungen der Verwaltung, Einspruch für reine Rechtsangelegenheiten (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 348 AO 1977 Anm. 5) – spricht dafür, Verwaltungsakte im Sinne des Art. 2 Erstattungs/Erlaß-VO wie Steuerbescheide zu behandeln. Sie sind daher in entsprechender Anwendung des § 348 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 mit dem Einspruch angreifbar.

d) Das mit der Einspruchsentscheidung vom 8. September 1982 auf den Einspruch der Klägerin vom 30. Januar 1981 abgeschlossene Verfahren ist als erfolglos gebliebenes Vorverfahren im Sinne des § 44 Abs. 1 FGO anzusehen. Auch die Frage, ob der durch den ursprünglichen Bescheid vom 7. August 1980 angeforderte Zollbetrag die gesetzlich zu erhebenden Abgaben wegen irrtümlich falscher Tarifierung überstieg, war im Rahmen der Entscheidung nach Art. 2 Abs. 2 Erstattungs/Erlaß-VO zu prüfen (vgl. Art. 2 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der VO). Aus der Tatsache, daß die Klägerin zunächst nur die Prüfung im Hinblick auf die Gewährung einer Zollfreiheit beantragt hatte und das HZA auch nur diese Frage im Verfahren über den Antrag und den Einspruch der Klägerin geprüft hat, kann nicht der Schluß gezogen werden, insoweit sei ein Rechtsbehelf nicht eingelegt worden bzw. nicht erfolglos geblieben. Das HZA hatte im Einspruchsverfahren die Sache invollem Umfang erneut zu prüfen (§ 367 Abs. 2 AO 1977). Die Klägerin hatte also den gegebenen Rechtsbehelf eingelegt Dieser war erfolglos geblieben. Damit ist die Voraussetzung des § 44 Abs. 1 FGO erfüllt, gleichgültig, in welchem Umfang die Verwaltung im Rahmen des Vorverfahrens den Bescheid tatsächlich materiell-rechtlich geprüft hat. Die gegenteilige Auffassung würde zu einer erheblichen praktischen Komplizierung führen und stünde auch mit dem Grundsatz der Prozeßökonomie nicht in Einklang. Sie widerspräche daher Sinn und Zweck des § 44 Abs. 1 FGO.

2. Ohne Rechtsirrtum hat das FG entschieden, daß der buchmäßig erfaßte Betrag die gesetzlich zu erhebenden Abgaben nicht überstiegen hat, die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 Erstattungs/Erlaß-VO also nicht vorlagen. Wird ausgeführt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510564

BFHE 1985, 212

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