Leitsatz (amtlich)

Wird zunächst das Erbbaurecht an einem Grundstück erworben, sodann auf diesem Erbbaurecht ein Wohngebäude nach den Grundsätzen des sozialen Wohnungsbaus errichtet und erst mehr als fünf Jahre nach Bezugsfertigkeit des Gebäudes das Eigentum an dem mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstück selbst erworben, so kann der Grundstückserwerb wegen des großen zeitlichen Abstandes zum Erbbaurechtserwerb nicht mehr mit diesem zusammen als einheitlicher Vorgang angesehen und unter analoger Anwendung der Vorschriften des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau in der Fassung vom 12. November 1958 (GVBl 1958, 330) von der Grunderwerbsteuer befreit werden.

 

Normenkette

GrEStG § 1; GrESWG Bayern Art. 1 Nrn. 3a, 3b, 4c

 

Tatbestand

Der Kläger und seine Ehefrau hatten am 26. April 1955 von dem Architekten A das Erbbaurecht an dem der Stadt S gehörenden Grunstück Fl. Nr. 4950/1 erworben. Die zur Übertragung des Erbbaurechts erforderliche Genehmigung hatte der Stadtrat am 26. April 1955 Erteilt. Zugunsten der Erbbauberechtigten bestand ein Vorkaufsrecht bezüglich des Grundstücks. Als Gegenleistung war lediglich vereinbart worden, daß "der Erwerber sich verpflichtet zur anteiligen Abgeltung der sämtlichen vom Veräußerer bereits aufgewendeten Vorbereitungskosten einschl. der Kosten der Errichtung des bisherigen Gesamterbbaurechts, Vermarkungs- und Vermessungskosten und der übrigen Erschließungskosten" an den Veräußerer einen Betrag von 3 000 DM sofort in bar zu bezahlen. Eine weitere Gegenleistung für die Übertragung des Erbbaurechts war nicht zu erbringen. Ein Teil der Fläche war anschließend von dem Kläger und seiner Ehefrau nach den Bestimmungen des sozialen Wohnungsbaus bebaut worden.

Das beklagte FA hatte aufgrund dieses Vorgangs mit Bescheid vom 21. März 1958 unter Berücksichtigung der nach dem Gesetz über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau (GrESWG) von der Grunderwerbsteuer auszunehmenden Fläche eine Grunderwerbsteuer in Höhe von 772,55 DM festgesetzt. Diese Festsetzung beruhte auf einem vom Kläger in der Verpflichtungserklärung vom 29. August 1955 angegebenen Stichtagswert von 5 DM pro qm. Für die nicht nach dem Gesetz über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau befreite Fläche ergab sich dadurch ein Gesamtwert von 11 037 DM. Der Grunderwerbsteuerbescheid wurde nicht angefochten.

Ebenfalls am 26. April 1955 hatte die Stadt S dem Kläger und dessen Ehefrau zu gleichen Teilen an dem mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstück zusätzlich zu dem im Erbbaurechtsvertrag vereinbarten Vorkaufsrecht ein veräußerliches und vererbliches Ankaufsrecht dahingehend eingeräumt, daß der Kläger und seine Ehefrau berechtigt sein sollten, das bezeichnete Grundstück spätestens innerhalb von 10 Jahren jederzeit zu einem qm-Preis von 5 DM zu Eigentum zu erwerben. Dieser Vertrag war dem FA nicht mitgeteilt worden. Grunderwerbsteuerrechtliche Folgerungen wurden daher nicht gezogen.

Am 6. August 1963 verkaufte die Stadt S das mit dem oben genannten Erbbaurecht belastete Grundstück (11 969 qm) "in Erfüllung des den Ehegatten ... eingeräumten Ankaufsrechts" an den Kläger und dessen Ehefrau als Miteigentümer je zur Hälfte. Der Kaufpreis betrug 5 DM pro qm, insgesamt somit (11 969x 5 =) 59 845 DM. Das FA unterwarf diesen Vorgang gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG einer Grunderwerbsteuer in Höhe von 4 250 DM, die es auf den Einspruch des Klägers auf 4 217,25 DM herabsetzte.

Die Klage hatte teilweisen Erfolg. Das FG setzte die Grunderwerbsteuer auf 2 108,60 DM herab. Da der Kläger nicht das gesamte Grundstück, sondern nur einen halben Miteigentumsanteil erworben habe, könne von ihm nicht die volle, sondern nur die halbe sich aus dem Vertrag vom 6. August 1963 ergebende Grunderwerbsteuer gefordert werden. Im übrigen bestätigte das FG die Rechtsauffassung des FA. Insbesondere verneinte es, daß der Erwerb des Erbbaurechts, der Erwerb des Ankaufsrechts und der Erwerb des Grundstücks als ein einheitlicher Vorgang anzusehen seien.

Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidungen und den angefochtenen Steuerbescheid aufzuheben und die Grunderwerbsteuer auf 0 festzusetzen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Er hebt hervor, daß das FA dem Grunderwerbsteuerbescheid vom 21. März 1958 als Besteuerungsgrundlage und damit als Steuertatbestand den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums am Baugrundstück durch ihn, den Kläger, und seine Ehefrau zugrunde gelegt habe. Dies deshalb, weil der Erwerb des Erbbaurechts mit dem Erwerb des Ankaufsrechts am belasteten Grundstück verbunden gewesen sei. Das FA habe sich in diesem Sinne am 9. Oktober 1963 ihm gegenüber schriftlich geäußert. Daraus folge, daß sich die Versteuerung des Erwerbsvorgangs vom 26. April 1955 nicht auf den Erwerb des Erbbaurechts beschränkt, sondern die Übertragung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht am Bodeneigentum mit eingeschlossen habe. Das FG habe diesen Vorgang zu Unrecht nicht unter dem Gesichtspunkt der materiellen Rechtskraft des Grunderwerbsteuerbescheids vom 21. März 1958 ermittelt und geprüft. Der angefochtene Grunderwerbsteuerbescheid beraube den Grunderwerbsteuerbescheid vom 21. März 1958, ohne ihn formell aufzuheben, seiner materiellen Rechtskraftwirkung, indem er den Rechts- und Erwerbsvorgang vom 26. April 1955 gesetzwidrig ein zweites Mal versteuere. Daß hier eine doppelte Versteuerung vorliege, ergebe sich eindeutig daraus, daß ein und derselbe Kaufpreis (59 845 DM) sowohl der Besteuerung des Erwerbs des Erbbaurechts als auch der Besteuerung des Erwerbs des Grundstücks zugrunde gelegt worden sei. Die Annahme eines "einheitlichen Vorgangs" setze nicht einen rechtlichen Zusammenhang voraus. Einen solchen könne es zwischen einem Erbbaurechtserwerb und einem nachfolgenden Grunderwerb nicht geben. Ausreichend sei vielmehr der wirtschaftliche Zusammenhang, der hier vorliege. Schließlich sei der Steueranspruch verjährt, denn der Grundstücksverkauf sei bereits mit dem Erwerb des Ankaufsrechts, d. h. im Jahre 1955, "beschlossene Sache" gewesen. Ein etwaiger Steueranspruch sei mithin bereits damals entstanden und deshalb im Jahre 1963 gemäß § 148 AO verjährt.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Der mit notarieller Urkunde vom 6. August 1963 abgeschlossene Kaufvertrag über das Grundstück Flur-Nr. 4950/1 ist ein gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegender Erwerbsvorgang. Der Besteuerung steht nicht entgegen, daß der Kläger bereits im Jahre 1955, zusammen mit seiner Ehefrau, das Erbbaurecht an dem Grundstück erworben hatte und auch dieser Rechtsvorgang der Besteuerung unterworfen worden war. Bei dem Erwerb des Erbbaurechts einerseits und dem Erwerb des Eigentums an dem mit dem Erbbaurecht belasteten Grundstück andererseits handelt es sich grundsätzlich um zwei verschiedene Erwerbsvorgänge, die jeweils gesondert grunderwerbsteuerrechtlich zu beurteilen sind.

Die der Besteuerung des obengenannten Rechtsvorgangs zugrunde liegende Gegenleistung (§ 10 Abs. 1 GrEStG) besteht aus den Beträgen, die der Kläger an die Stadt S als Kaufpreis entrichtet hat, zuzüglich der vom Kläger übernommenen anteiligen Vermögensabgabe.

Die Vorschrift des § 1 Abs. 5 Satz 3 GrEStG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Steuer nicht in voller Höhe erhoben wird, ist nicht anwendbar. Durch diese Vorschrift soll eine mehrfache Besteuerung bei der Aufeinanderfolge von Haupttatbestand und Ersatztatbestand und umgekehrt verhindert werden. Eine solche Mehrfachbesteuerung kann jedoch im Verhältnis des Erbbaurechtserwerbs zum Grundstückserwerb bei zutreffender rechtlicher Beurteilung der Sachverhalte durch das FA nicht auftreten, da die Gegenleistung für den Grundstückserwerb nicht den Betrag mitumfaßt, der anläßlich des Erbbaurechtserwerbs zu besteuern war. Zwar ist der Grundstückskaufpreis nicht nur Gegenleistung für die Übereignung des Grundstücks, sondern auch Gegenleistung für den mit dem Grundstück untrennbar verbundenen Erbbauzinsanspruch (§ 9 Abs. 2 Satz 2 der Erbbaurechtsverordnung). Die Erbbauzinsverpflichtung mußte aber bei der Besteuerung des Erbbaurechtserwerbs unberücksichtigt bleiben, denn bei Übertragung eines bereits mit einer Erbbauzinsverpflichtung belasteteten Erbbaurechts gehört der Erbbauzins nicht zur Besteuerungsgrundlage. Er stellt sich vielmehr als eine auf dem Grundstück ruhende dauernde Last im Sinne von § 11 Abs. 2 Nr. 2 GrEStG dar (vgl. Urteil des Senats vom 19. November 1968 II R 16/68, BFHE 94, 160, BStBl II 1969, 90).

Wenn das FA bei der Besteuerung des Erbbaurechtserwerbs von anderen rechtlichen Grundsätzen ausgegangen und dadurch zu einer unzutreffenden - heute allerdings unanfechtbaren - Steuerfestsetzung gelangt war, so hat dies auf die Frage der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 5 GrEStG auf die Besteuerung des Grundstückserwerbs keinen Einfluß. Denn die Anwendbarkeit dieser Vorschrift hängt nicht davon ab, ob der Erbbaurechtserwerb zutreffend oder unzutreffend besteuert worden ist. Dem Kläger stand es frei, eine von ihm für unrichtig gehaltene Besteuerung des Erbbaurechtserwerbs mit den gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfen anzugreifen.

Unbeschadet der grundsätzlich bestehenden Selbständigkeit der beiden Erwerbsvorgänge (Erbbaurecht einerseits, Grundstück andererseits) hat der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des RFH (Urteil vom 3. Juni 1930 II A 321/30, RStBl 1930, 454, Steuer und Wirtschaft 1930 Nr. 1087) die Vorschriften über die Grunderwerbsteuerfreiheit wegen begünstigten Wohnungsbaues unter bestimmten Voraussetzungen sowohl beim Erbbaurechts- als auch beim Grundstückserwerb für anwendbar gehalten, wenn zunächst ein Erbbaugrundstück erworben, hierauf ein steuerbegünstigtes Wohngebäude errichtet und sodann das Eigentum an dem Grundstück selbst erworben wurde (vgl. Urteile des BFH vom 10. Januar 1962 II 18 und 19/60, HFR 1962, 135, und vom 29. August 1962 II 260/60 U. BFHE 76, 35, BStBl III 1963, 14). Ob dies auch im vorliegenden Fall gilt, mag dahinstehen. Denn schon aus Gründen des zeitlichen Geschehensablaufs können die Vorschriften des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 12. November 1958 (Gesetz- und Verordnungsblatt 1958 S. 330) auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden.

Eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes kommt nicht in Betracht, da keiner der dort genannten Befreiungstatbestände erfüllt ist. Auch die analoge Anwendung dieser Vorschriften könnte eine Grunderwerbsteuerbefreiung nicht rechtfertigen. Denn im Wege der Analogie könnte eine Grunderwerbsteuerbefreiung allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn entsprechend Art. 1 Nr. 3 a, 3b und 4c GrESWG das Eigentum am Grundstück spätestens binnen fünf Jahren nach der Bezugsfertigkeit der Gebäude auf den Kläger und dessen Ehefrau übergegangen wäre. Dies ist nicht der Fall.

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der Erwerb des ihm am 26. April 1955 von der Stadt S. eingeräumten Ankaufsrechts bereits als grunderwerbsteuerpflichtiger Vorgang hätte angesehen werden müssen und daß demgemäß eine Steuerfestsetzung im Jahre 1963 wegen Verjährung des Anspruchs unzulässig sei. Denn selbst wenn die Einräumung des Ankaufsrechts ein grunderwerbsteuerpflichtiger Vorgang nach § 1 Abs. 2 GrEStG wäre, der wegen Verjährung nicht mehr zur Steuer herangezogen werden könnte, würde gleichwohl aufgrund des Kaufvertrags vom 6. August 1963 gemäß § 1 Abs. 5 GrEStG in voller Höhe Grunderwerbsteuer festzusetzen sein, da aufgrund der Einräumung des Ankaufsrechts eine Steuerfestsetzung bis dahin tatsächlich nicht vorgenommen worden ist und wegen Verjährung auch nicht mehr vorgenommen werden könnte (vgl. Urteil des BFH vom 19. Juli 1972 II 204/65, BFHE 107, 55, BStBl II 1972, 914).

Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es ohne Bedeutung, ob das FA im Schreiben vom 9. Oktober 1963 den Vorgang der Erbbaurechtsbestellung als Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums am Grundstück angesehen hat; diese Auffassung wurde vom FA in der Einspruchsentscheidung als unzutreffend erkannt und auch tatsächlich nicht der Besteuerung zugrunde gelegt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71005

BStBl II 1974, 661

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