Leitsatz (amtlich)

1. Zur Abgrenzung der Forschung und Entwicklung von der Produktion, wenn das neue Produkt an die Kunden verkauft wird und in deren Betrieb getestet werden soll.

2. Zum Erlaß des Investitionszulagen-Rückforderungsanspruchs wegen sachlicher Unbilligkeit.

 

Normenkette

InvZulG 1973 §§ 4, 5 Abs. 5; AO § 131

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) produziert Erzeugnisse für die Eisen- und Stahlindustrie. Seit Anfang der ..er Jahre befaßt sich die Klägerin mit einem neuen Herstellungsverfahren. Es handelt sich um eine neue Verfahrenstechnik im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

In den Jahren ... bis ... entwickelte die Klägerin zu diesem Zweck die Maschine X (nebst dazugehörigen Vorrichtungen). Auf die jeweiligen Teilherstellungskosten erhielt sie Forschungszulagen gemäß § 2 des Investitionszulagengesetzes 1969 (InvZulG 1969), § 4 InvZulG 1973.

Bei einer Betriebsprüfung stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) fest, daß die Maschine bereits in der Produktion eingesetzt war. So wurden von ... bis einschließlich ... Produkte Xa (künftig als Produkte bezeichnet) im Gesamtwert von ... DM hergestellt und an die Kunden verkauft. Das FA forderte deshalb mit Bescheiden vom 16. Juli 1975 die gewährten Investitionszulagen wieder zurück.

Mit der Sprungklage trug die Klägerin vor: Die X-Anlage könne noch nicht als im Fertigungsprozeß eingesetzt gelten; sie diene vielmehr noch der Erforschung des neuen Verfahrens. Das müsse so lange gelten, bis eine rentable Nutzung möglich sei. Das sei erst der Fall, wenn die durchschnittlichen Garantieleistungen - wie beim herkömmlichen Verfahren - auf ... bis ... v. H. des Verkaufswerts gesunken seien. Zur Zeit liege die Ausfallquote wesentlich höher und ein Ansteigen sei zu befürchten. Die hergestellten Produkte könnten bei ihr nicht im Labor getestet werden. Die ...-Werke dienten ihr deshalb als Versuchsanlage. Dort würden die Produkte unter den Bedingungen der Praxis getestet. Die Erprobung in den ...-Werken gehöre deshalb mit zur Forschung und Entwicklung. Die Vertragserfüllung gegenüber ihren Kunden sei bei ihr zur Zeit noch nicht das vorrangige Ziel.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) begründete seine Entscheidung wie folgt: Es sei der Klägerin zuzugeben, daß die Entwicklung des neuen Verfahrens noch nicht als abgeschlossen gelten könne. Dafür spräche die hohe Ausfallquote. Andererseits begünstige das Gesetz nur Wirtschaftsgüter, die "ausschließlich" der Forschung oder Entwicklung dienten. Hier liege zumindest eine gemischte Nutzung vor. Die Klägerin erfülle ihre normalen Lieferpflichten, weil sie ihren Kunden gegenüber nicht darauf hinweise, daß die Produkte in dem neuen, noch mit Risiken behafteten Verfahren hergestellt seien. Das Gesetz verlange eine klare Abgrenzbarkeit. Diese sei nicht möglich, wenn man die Produktion in die Forschung mit einbeziehe.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie macht geltend: Bei ihr sei die Herstellung und Lieferung der Produkte ein notwendiger Teil der Forschung und Entwicklung. Sie könne auf die Erprobung der Produkte bei ihren Kunden nicht verzichten. Die Erprobung sei der letzte Teil der Forschung. Sie könne ihren Kunden im Einzelfall nicht sagen, welches Produkt nach dem neuen Verfahren hergestellt sei. Denn die Kunden würden die Annahme solcher Produkte wegen des damit verbundenen Risikos des Betriebsausfalls und der Betriebssicherheit ablehnen.

Hilfsweise macht die Klägerin geltend, daß bei ihr eine branchenbedingte Besonderheit vorliege, die vom Gesetzgeber nicht bedacht worden sei. Der Ausschluß der Forschungszulage in Fällen der vorliegenden Art sei eine unbillige Härte für solche Betriebe, die wegen der Eigenart ihrer Erzeugnisse die Erprobung nicht im eigenen Betrieb durchführen könnten. Solchen Fällen eines "Überhangs" des gesetzlichen Tatbestands habe die Rechtsprechung im Wege des Erlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen Rechnung getragen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Februar 1969 II R 29/66, BFHE 95, 287, BStBl II 1969, 400; vom 9. Februar 1972 II R 99/70, BFHE 105, 172, BStBl II 1972, 503, und vom 25. Juli 1972 VIII R 59/68, BFHE 106, 486, BStBl II 1972, 918).

Die Klägerin beantragt, die Rückforderungsbescheide des FA vom 16. Juli 1975 und das Urteil des FG vom 29. Januar 1976 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Forschungszulagen können nach § 2 InvZulG 1969, § 4 InvZulG 1973 nur gewährt werden, wenn die Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung im Betrieb des Steuerpflichtigen ausschließlich der Forschung oder Entwicklung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u Satz 4 EStG dienen. Der Dreijahreszeitraum beginnt erst in dem Zeitpunkt, in dem das Wirtschaftsgut im Forschungs- oder Entwicklungsbereich tatsächlich eingesetzt ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. April 1977 III R 154/73, BFHE 123, 89, BStBl II 1977, 790). Das war hier im ... 19.. der Fall. Die Bindungsfrist würde also bis zum ... 19.. laufen. Das FG hat demgegenüber darauf abgestellt, wann die Teilherstellungskosten entstanden sind. Darauf kann es jedoch nicht ankommen. Denn eine erst teilweise hergestellte Maschine kann noch nicht der Forschung oder Entwicklung dienen. Das angefochtene Urteil erweist sich im Ergebnis aber trotzdem als richtig. Denn für die Beurteilung, ob die Klägerin mit der X-Anlage ausschließlich Forschung oder Entwicklung betrieben hat, reicht der Zeitraum vor ... bis ... aus. Es kommt deshalb nicht darauf an, was die Klägerin anschließend bis 19.. mit der Maschine gemacht hat.

2. Eine Forschungszulage kommt nur in Betracht, wenn das Wirtschaftsgut "ausschließlich" der Forschung oder Entwicklung dient. Das hat das FG mit Recht verneint. Denn die Klägerin hat seit 19.. auf der X-Anlage Produkte produziert und diese im normalen Geschäftsgang verkauft. Daß dieser Verkauf gleichzeitig dazu diente, die Produkte im Betrieb ihrer Kunden zu testen, um ihr Herstellungsverfahren zu verbessern, kann dabei keine Rolle spielen. Der Senat verkennt nicht die Schwierigkeiten, die sich für die Klägerin daraus ergeben, daß sie die Produkte nicht im eigenen Betrieb erproben kann. Das Tatbestandsmerkmal "ausschließlich" hat jedoch einen eindeutigen Sinn. Die Vergünstigung soll nur für solche Wirtschaftsgüter gewährt werden, die ausschließlich in der Forschung oder Entwicklung eingesetzt werden, und die nicht auch noch für andere betriebliche Zwecke mit verwendet werden. Das FG hat auch zu Recht auf die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich bei einer anderen Entscheidung für die Abgrenzung zwischen Forschung und Produktion ergeben. Denn nach welchen Gesichtspunkten sollte bestimmt werden, ab welchem Zeitpunkt im Betrieb der Klägerin die Entwicklung der Produkte beendet ist und ab wann die Produktion beginnt. Das Erreichen einer normalen Ausschußquote von ... bis ... v. H., wie beim herkömmlichen Verfahren, hält auch der erkennende Senat für kein brauchbares Abgrenzungsmerkmal. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß hier zumindest eine gemischte Nutzung vorliegt, so daß die Maschine X nicht mehr "ausschließlich" der Forschung oder Entwicklung dient.

3. Der Anspruch auf Investitionszulagen kann auch nicht auf den Gesichtspunkt der sachlichen Unbilligkeit gestützt werden (§ 131 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung - AO -). Der Senat hat in seinem Urteil vom 2. Dezember 1977 III R 36/77 (BFHE 124, 128, BStBl II 1978, 272) entschieden, daß eine Investitionszulage nicht aus Billigkeitsgründen gewährt werden kann. Zwar handelt es sich im vorliegenden Fall formal nicht um die Gewährung einer Investitionszulage, sondern um deren Rückforderung (§ 3 Abs. 5 InvZulG 1969, § 5 Abs. 5 InvZulG 1973). Bei der Rückforderung von Investitionszulagen erkennt die Rechtsprechung einen Erlaß auch aus sachlichen Billigkeitsgründen an (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juni 1975 VIII R 50/72, BFHE 116, 103, BStBl II 1975, 789). Es handelte sich jedoch um einen Fall, bei dem sich der Steuerpflichtige gegenüber dem Rückforderungsanspruch des FA auf Treu und Glauben berief. Im vorliegenden Fall ist die Klägerin der Meinung, daß ihr eine Investitionszulage über den Wortlaut des Gesetzes hinaus zustehe, weil eine andere Entscheidung sachlich unbillig wäre. Ein solcher Anspruch kann nicht auf § 131 Abs. 1 Satz 1 AO gestützt werden.

Die Klägerin kann sich auch nicht auf die von ihr zitierten BFH-Urteile berufen. Sie verkennt, daß es dort um die Besteuerung ging, während es hier um die Gewährung staatlicher Zulagen geht. So kann eine sachliche Unbilligkeit bei der Besteuerung darin liegen, daß der Besteuerungstatbestand zwar erfüllt ist, das gewonnene Ergebnis aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Im vorliegenden Fall handelt es sich aber nicht um den "Überhang" eines gesetzlichen Tatbestandes, sondern um das Gegenteil davon, daß nämlich der Gesetzestatbestand (§ 2 InvZulG 1969, § 4 InvZulG 1973) nach der Vorstellung der Klägerin zu eng gefaßt worden ist. Über den Wortlaut des Gesetzes hinaus können aber Investitionszulagen nicht gewährt werden, auch wenn eine andere Entscheidung unbillig wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72863

BStBl II 1978, 657

BFHE 1979, 481

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