Leitsatz (amtlich)

1. Eine Unbilligkeit in der Sache selbst kann nicht allein deshalb verneint werden, weil der Besteuerungstatbestand erfüllt ist (BFH 95, 113). Vielmehr ist mit dem Blick auf den Einzelfall zu prüfen, ob die Besteuerung nicht nur unter den gesetzlichen Tatbestand, sondern auch unter die Wertungen des Gesetzgebers fällt oder diesen zuwiderläuft (BFH 96, 283). Das gilt auch, wenn eine etwaige Unbilligkeit eine bestimmte Gruppe von gleichgelagerten Fällen trifft.

2. Beim Grundstückserwerb zur Rettung eines Grundpfandrechtes (§ 9 GrEStG 1940) kann die Einziehung der Nachsteuer (§ 9 Abs. 2 GrEStG) unbillig sein, wenn infolge der zwingenden (BFH 86, 598; 101, 438) mittelbaren (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG) Bezugnahme des § 9 Abs. 2 Satz 1 GrEStG auf den Einheitswert (§ 12 Abs. 1 GrEStG) die Nachsteuer entsteht, obwohl der Grundpfandgläubiger bei der Weiterveräußerung des Grundstücks einen Verlust an seinen ausgefallenen Rechten nicht abdecken konnte.

 

Normenkette

AO § 131 Abs. 1 S. 1; GrEStG 1940 § 9 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger blieb bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks mit einem Gebot von 62 000 DM Meistbietender. Das Grundstück hatte einen Einheitswert von 9 400 DM; im Zwangsversteigerungsverfahren war sein Verkehrswert auf 67 306,90 DM festgesetzt worden. Dem Kläger stand an dem Grundstück zur Sicherung von Kaufpreisforderungen, zuletzt in Höhe von 52 976 DM, eine Hypothek über 30 000 DM zu, der mindestens ein weiteres Recht vorging. Von dieser Hypothek wurden durch das Meistgebot 7 604 DM gedeckt.

Das beklagte Finanzamt hatte zunächst 4 380,40 DM Grunderwerbsteuer festgesetzt, nach Einspruch diesen Bescheid aber im Hinblick auf § 9 Abs. 1 GrEStG unter Bezugnahme auf § 94 AO zurückgenommen. Ebenso hat es einen erneuten, auf § 9 Abs. 2 GrEStG gestützten Steuerbescheid zurückgenommen, weil der Weiterverkauf nicht zustandegekommen sei. Hernach hat der Kläger das Grundstück, auf das er zwischenzeitlich 4 632,59 DM Reparaturkosten aufgewandt hatte, nebst einer für 6 309 DM hinzuerworbenen Parzelle um 100 000 DM verkauft. Das Finanzamt hat wiederum gemäß § 9 Abs. 2 GrEStG 4 380,40 DM Grunderwerbsteuer festgesetzt, die Steuer aber noch vor der Einspruchentscheidung auf 4 340 DM ermäßigt.

Zwischenzeitlich hatte das Finanzamt den Antrag des Klägers, ihm die Steuer wegen sachlicher Unbilligkeit und aus persönlichen (der Kläger ist Schwerkriegsbeschädigter und Heimatvertriebener) und wirtschaftlichen Gründen zu erlassen, abgelehnt. Die OFD hat seine Beschwerde zurückgewiesen.

Der Kläger hat sowohl gegen den Grunderwerbsteuerbescheid als auch gegen die Ablehnung eines Billigkeitserlasses Klage erhoben, in dem zweitgenannten Punkte zuletzt mit dem Antrag, ihm die Steuer bis auf einen Teilbetrag von 1 000 DM zu erlassen. Das Finanzgericht hat die miteinander verbundenen Anträge in einem einheitlichen Verfahren behandelt und die Klage abgewiesen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

I.

Gerügt ist mit der Revision des Klägers die Verletzung des § 9 Abs. 2 GrEStG und des § 131 AO.

In der Sache handelt es sich um zwei verschiedene Gegenstände der Revision, wie auch zwei verschiedene, wenn auch in einer Klage zusammen verfolgte (§ 43 FGO) Klagebegehren (§ 40 Abs. 1, § 44 FGO) - zum einen bezüglich des Steuerbescheids, zum anderen bezüglich eines Erlasses aus Billigkeitsgründen - vorlagen. In beiden Beziehungen ist das angefochtene Urteil, nachdem Art. 9 des Finanzanpassungsgesetzes vom 30. August 1971 (BGBl I 1971, 1426) die Revisibilität (§ 118 Abs. 1 FGO) des Grunderwerbsteuerrechts wiederhergestellt hat (§ 160 Abs. 2 FGO), im vollen Umfang des geltenden Rechts nachzuprüfen (Urteil des BFH II R 104/70 vom 22. Oktober 1971, BFH 103, 541).

II.

Die Revision des Klägers ist, soweit sie die Abweisung der Klage gegen den Steuerbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung (§ 44 Abs. 2 FGO) angreift, unbegründet.

Das Meistgebot des Klägers unterlag der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG 1940). Besteuerungsgrundlage ist (zumindest) das Meistgebot (§ 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 GrEStG), Die auf das Meistgebot von 62 000 DM entfallende Steuer von 7 v. H. ist in der Einspruchsentscheidung mit 4 340 DM richtig berechnet.

Die auf das Meistgebot gelegte Steuer war gemäß § 9 Abs. 1 GrEStG zunächst nicht zu erheben. Die Steuerschuld ist jedoch entstanden, nachdem der Kläger das Grundstück innerhalb von fünf Jahren seit dem Meistgebot zu einem Entgelt weiterveräußert hatte, das die Gegenleistung übersteigt, die beim Erwerbsvorgang anzusetzen gewesen wäre (§ 9 Abs. 2 Satz 1 GrEStG). Dabei ist zwar zu berücksichtigen, daß der Kläger auf das ersteigerte Grundstück 4 632,59 DM aufgewandt hat (§ 9 Abs. 2 Satz 3 GrEStG), und daß sich der Weiterverkaufspreis von insgesamt 100 000 DM außer auf das ersteigerte Grundstück noch auf ein weiteres Grundstück bezog, das der Kläger für 6 309 DM erworben hatte. Auch wenn diese beiden Beträge in den Vergleich einbezogen werden, übersteigt der Weiterverkaufspreis den auf dem Meistgebot aufbauenden Vergleichsbetrag derart, daß die Steuer aus der Hälfte des Mehrerlöses gedeckt werden kann (§ 9 Abs. 2 Satz 4 GrEStG). Das Ergebnis wird auch dann nicht anders, wenn einer Unklarheit der tatsächlichen Feststellungen des FG Rechnung getragen und anstelle des Meistgebots von 62 000 DM entsprechend der ersten Berechnung des Finanzamts ein Erwerbsaufwand von 62 758,66 DM angesetzt wird.

Demgegenüber ist der Kläger der Ansicht, bei dem Vergleich zwischen Erwerbswert und Wiederveräußerungspreis seien gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1, § 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG auch seine ausgefallenen Rechte zu berücksichtigen (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 GrEStG); die Begrenzung dieser Zurechnung durch den Einheitswert des Grundstücks (§ 12 Abs. 1 Satz 2 GrEStG) sei sinnwidrig und entspreche nicht mehr den heutigen Verhältnissen. Indessen führt die Kette der Bezugnahmen von § 9 Abs. 1 Satz 1 GrEStG über § 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG auf § 12 GrEStG eindeutig dazu, daß ausgefallene Rechte bei der Berechnung der Gegenleistung (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG) nur insoweit berücksichtigt werden dürfen, als sie innerhalb des Einheitswerts oder eines nach den Grundsätzen der Einheitsbewertung errechneten Wertes des Grundstücks liegen (§ 12 GrEStG). Die Folge dieser Kette von Bezugnahmen ist nicht verfassungswidrig; sie belastet alle Menschen gleich (Art. 3 Abs. 1 GG). Eine vom klaren Wortlaut abweichende "sinnvolle" Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG muß schon daran scheitern, daß die Bezugnahme dieser Vorschrift auf den Einheitswert (§ 12) nur im Bereiche des § 9 Abs. 2 GrEStG zu Lasten des Steuerpflichtigen wirkt, in ihrem eigentlichen Anwendungsbereiche, nämlich bei der Berechnung der geschuldeten Steuer, dagegen zu dessen Gunsten. Kraft seiner Bindung an das Gesetz ist das Gericht nicht befugt, die ausdrückliche Bezugnahme des § 9 Abs. 2 Satz 1 GrEStG durch eine andere Vorschrift zu ersetzen, die weder im Wortlaut des Gesetzes noch in dessen Sinnzusammenhang eine begrifflich abgrenzbare Stütze fände.

Der Standpunkt des BFH zu diesen Fragen ist in dem Urteil II 25/65 vom 1. Februar 1971 (BFH 101, 438, BStBl II 1971, 343) ausführlich dargelegt (vgl. auch Urteil des BFH II 250/60 vom 20. Juli 1966, BFH 86, 598, BStBl III 1966, 601); auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird Bezug genommen.

III.

Die Revision des Klägers ist, soweit sie die Ablehnung eines Billigkeitserlasses (§ 131 AO) angreift, begründet. Das FG hat die für die Beurteilung einer sachlichen Unbilligkeit in den Fällen des § 9 Abs. 2 GrEStG 1940 einschlägige Aussage des § 131 AO verkannt. Sein Urteil war daher, soweit es das auf § 131 AO gegründete Begehren des Klägers abgewiesen hat, aufzuheben. In ersetzender Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO) war der Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs neu zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO).

Der angefochtene Verwaltungsakt in der Fassung der Beschwerdeentscheidung verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 40 Abs. 2 FGO), weil er die gesetzlichen Grenzen der der Finanzverwaltung durch § 131 AO eingeräumten Befugnisse zu dessen Lasten verkannt hat. Er war daher aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die - vom FG gebilligte - Beschwerdeentscheidung verneint eine zum Erlaß oder Teilerlaß der Steuer führende unbillige Härte (§ 131 Abs. 1 AO) in der Sache selbst allein mit der Begründung, daß sie eine unzulässige Korrektur des Gesetzes bedeuten würde. Diese Begründung läßt außer acht, daß ein jeder Steuererlaß aus Gründen sachlicher Unbilligkeit das Gesetz in einem gewissen Sinne "korrigiert" (vgl. z. B. Urteil des BFH VI 194/60 U vom 24. Februar 1961, BFH 72, 521, BStBl III 1961, 190). Der Standpunkt der OFD würde also - entgegen einer ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BFH 68, 27, BStBl III 1959, 11; IV 51/59 vom 13. Oktober 1960, HFR 1961, 82; I 100/60 S vom 1. August 1961, BFH 74, 144, BStBl III 1962, 55; I 321/62 vom 14. Oktober 1964, HFR 1965, 129; II 112/65 vom 19. November 1968, BFH 94, 156 [159], BStBl II 1969, 92) - zunächst darauf hinauslaufen, daß eine unbillige Härte im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 AO allenfalls in solchen Umständen gefunden werden könnte, die in der Person des jeweiligen Steuerpflichtigen liegen. Auch in diesen Fällen enthält jedoch der Erlaß der Steuer gemäß § 131 AO in einem gewissen Sinne eine "Korrektur" des Steuergesetzes, weil eine Steuer nicht erhoben wird, obwohl der Tatbestand erfüllt ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft.

§ 131 Abs. 1 Satz 1 AO geht demnach davon aus, daß der Steueranspruch (zumindest nach dem Standpunkt der zuständigen Finanzbehörde) von Rechts wegen entstanden ist oder entstanden sein kann; die Steuer kann gleichwohl erlassen (oder erstattet) werden, wenn ihre Einziehung (oder Einbehaltung) nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine solche Unbilligkeit kann nicht allein deshalb verneint werden, weil der gesetzliche Besteuerungstatbestand erfüllt ist (Urteil des BFH II 137/64 vom 14. Januar 1969, BFH 95, 113 [117]). § 131 AO ist, soweit er die Unbilligkeit in der Sache selbst betrifft, gerade dazu bestimmt, ungewollten Überhängen der gesetzlichen Tatbestände abzuhelfen (Urteil des BFH II R 29/66 vom 5. Februar 1969, BFH 95, 287 [288], BStBl II 1969, 400), wenn diese durch Auslegung nicht bereinigt werden können (vgl. Urteil des BFH II 112/65 vom 19. November 1968, BFH 94, 156 [159], BStBl II 1969, 92). Es ist also jeweils mit dem Blick auf den Einzelfall und die Gestaltung des auf diesen anzuwendenden Besteuerungstatbestandes (vgl. Urteil des BFH II 151/64 vom 7. Mai 1968, BFH 93, 14 [15 f.], BStBl II 1968, 663) zu prüfen, ob die unter den Tatbestand des Gesetzes fallende Besteuerung dieses Einzelfalles nicht nur unter den gesetzlichen Tatbestand, sondern auch unter die Wertungen des Gesetzgebers fällt oder umgekehrt diesen derart zuwiderläuft, daß die Erhebung der Steuer als unbillig erscheinen muß (Urteil des BFH II R 123/68 vom 25. März 1969, BFH 96, 283 [284], BStBl II 1969, 602).

Diese Voraussetzung eines Steuererlasses kann, wie § 131 Abs. 2 AO zeigt, nicht nur unter den besonderen Umständen eines Einzelfalles erfüllt sein, sondern auch "für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen", die also einer abstrakten gesetzlichen Regelung zugänglich wären. Da § 131 Abs. 2 AO keine materielle Vorschrift ist, folgt die (etwaige) Befugnis zum Erlaß auch in diesen Fällen aus § 131 Abs. 1 AO. Dem einzelnen Steuerpflichtigen, der sich auf § 131 Abs. 1 Satz 1 AO beruft, kann demnach nicht entgegengehalten werden, daß Richtlinien gemäß § 131 Abs. 2 AO nicht ergangen seien, obwohl solche wegen gleichgelagerter Fälle möglich gewesen wären.

Die Voraussetzung einer Unbilligkeit in der Sache selbst, daß ein durch den Wortlaut des Gesetzes in seinem Sinnzusammenhang erzwungenes Ergebnis den Zielsetzungen des Gesetzes nicht entspricht, ist erfüllt, wenn die mittelbare Bezugnahme des § 9 Abs. 2 GrEStG auf die Grundsätze der Einheitsbewertung (§ 12 GrEStG) zu einem Nachversteuerungsfall führt, der dem Zweck des § 9 Abs. 1 GrEStG zuwiderläuft. Die dort begünstigte "Rettung" des Werts des Grundpfandrechts ist am klarsten verwirklicht, wenn der - nicht an sich schon erwerbswillige (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG) - Grundpfandgläubiger, dessen Recht im Versteigerungstermin nicht ausgeboten wurde, das Grundstück zu einem Preis veräußern kann, der seinen Ausfall deckt; erzielt er keinen höheren Preis (und erreicht er auch sonst keine Deckung seines Ausfalls), ist nach dem Zweck des § 9 GrEStG eine Nachversteuerung nicht angebracht. § 9 Abs. 2 Satz 4 GrEStG läßt darüber hinaus erkennen, daß das Gesetz auch dem Risiko des Meistgebots und einem etwaigen Zinsverlust des Erwerbers Rechnung tragen will.

Zwar ist der BFH in dem Urteil II 25/65 vom 1. Februar 1971 (BFH 101, 438, BStBl II 1971, 343) zu dem Ergebnis gekommen, daß die dem Kläger nachteilige Auslegung des § 9 Abs. 2 GrEStG 1940 eindeutig (BFH 101, 439 f.) und unausweichlich (BFH 101, 441 ff.) ist und nicht am Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) scheitert (BFH 101, 443 ff.). Er hat aber keinen Zweifel daran gelassen, daß diese - interpretationsrechtlich erzwungene (BFH 101, 442) - Auslegung nicht mehr die Funktion erfüllen kann, welche der Gesetzgeber § 9 Abs. 2 GrEStG ursprünglich zugedacht hatte (BFH 101, 445), und daß die Bezugnahme auf die Einheitswerte (§ 9 Abs. 2 Satz 1, § 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2, § 12 Abs. 1 GrEStG 1940) schon unabhängig von § 3a Abs. 1 BewDV zu Diskrepanzen einerseits zwischen dem Wortlaut und Wortsinn und andererseits dem Zweck des Gesetzes (§ 9 Abs. 2 GrEStG 1940) führt.

Dieser geht dahin, eine Nachversteuerung des zunächst befreiten Rettungserwerbs (§ 9 Abs. 1 und 3 GrEStG) eintreten zu lassen, wenn der frühere Grundpfandgläubiger (§ 9 Abs. 5 GrEStG) das zur Rettung seines Rechts erworbene Grundstück innerhalb von fünf Jahren zu einem Preis verkauft, der ihm nicht nur den Wert seiner objektiv gedeckten (bei der Versteigerung ausgefallenen oder nur durch das Meistgebot dieses Gläubigers abgedeckten) Grundpfandrechte, sondern darüber hinaus noch einen Mehrerlös einbringt (vgl. die amtliche Begründung zu § 9 GrEStG 1940, RStBl 1940, 387 [403]); die nachzuerhebende Steuer darf aber die Hälfte des Mehrerlöses nicht übersteigen (§ 9 Abs. 2 Satz 4 GrEStG). Der Grundpfandgläubiger kann zwar den Nacherhebungsfall vermeiden, wenn er sein Grundpfandrecht voll ausbietet (BFH 101, 450). Er verliert dann aber - über § 114a des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) hinaus - die persönliche Forderung. Nur selten kann er im Versteigerungstermin zuverlässig beurteilen, ob sich die zunächst uneinbringlich erscheinende Forderung nicht doch noch realisieren läßt, und ob er gut daran tut, diese Chance preiszugeben in der Erwartung, das Grundstück vielleicht zu einem höheren Preise weiterveräußern zu können. Dieser Zwangslage trägt § 9 Abs. 1 GrEStG Rechnung. Er erwartet nicht, daß der Gläubiger sein Recht ausbietet, sondern rechnet ihm in Nr. 1 Satz 1 sogar den nicht ausgebotenen Teil bis zur Grenze des in § 12 definierten Grundstückswerts zu (§ 11 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 GrEStG).

Wenn und soweit der Gläubiger trotz eines das Meistgebot übersteigenden Weiterveräußerungspreises einen Verlust an seinen (scheinbar) gesicherten Rechten erlitten hat, widerspricht demnach die Erhebung einer wortlautgemäß entstandenen (§ 3 Abs. 1 StAnpG) Nachsteuer dem Sinn des Gesetzes (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 3 GrEStG). Das gleiche gilt, soweit die Steuer nicht aus der Hälfte eines unter diesem Gesichtspunkt errechneten Mehrerlöses gedeckt werden kann.

Der zweitgenannte Gesichtspunkt kann hier durchgreifen, nach dem bislang erkennbaren Sachverhalt aber nicht der erste. Dabei ist als möglich zu unterstellen, daß der Gegenwert der Reparaturkosten von 4 632,59 DM bei der Weiterveräußerung noch vorhanden war (§ 9 Abs. 2 Satz 3 GrEStG), daß der "wahre Wert" des Grundstücks im Zeitpunkt der Versteigerung dem Weiterveräußerungspreis abzüglich dieser Reparaturkosten entsprach, und daß der Wert des bei der Weiterveräußerung mitverkauften Grundstücks mit dem Einkaufspreis übereinstimmt. Dies vorausgesetzt ergäbe sich

als Weiterverkaufspreis für

das ersteigerte Grundstück

(vgl. Urteil des BFH II 150/64

vom 20. Februar 1968,

BFH 91, 494 [496]) aus dem

Gesamtpreis von 100 000,-DM

abzüglich des Werts des

zugekauften Grundstücks 6 309,-DM

ein Betrag von 93 691,-DM,

Übertrag: 93 691,-DM

und daraus abzüglich des Werts

der Reparaturkosten von 4 632,59 DM

ein objektiver Wert des

Grundstücks im Zeitpunkt

des Meistgebots von 89 058,41 DM.

Die Hypothek des Klägers

wäre durch diesen Betrag

voll gedeckt gewesen.

Da nach der Feststellung

des FG die vorrangigen

Rechte 52 976 DM,

und die Hypothek des

Klägers 30 000 DM

zusammen 82 976 DM 82 976,-DM

betrugen, hätte der Kläger also 6 082,41 DM

mehr erlöst, als er - unter den vorerwähnten Unterstellungen - teils als Aufwendungen für den Erwerb in der Zwangsversteigerung erbracht, teils als Verlust an seinen hypothekarisch gesicherten Forderungen erlitten hätte.

Demzufolge ist nicht auszuschließen, daß es nach Maßgabe der von den Finanzbehörden erst noch zu erhebenden Tatsachen - darunter außer den eingangs unterstellten noch die Frage, ob aus der Hypothek des Klägers noch durch diese gesicherte Zinsen angelaufen waren (vgl. Urteil des BFH II 164/64 vom 14. Februar 1967, BFH 88, 96 [99], BStBl III 1967, 296) - in der Sache selbst eine unbillige Härte darstellt, von dem Kläger eine Steuer nachzufordern, welche höher als die in dieser Weise errechnete Hälfte des Mehrerlöses (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 4 GrEStG) - bei den vorerwähnten Unterstellungen also von 3 041 DM - ist.

Demgegenüber kann der weitere (den Mehrerlös übersteigende) Verlust, den der Kläger durch den Ausfall nicht hypothekarisch gesicherter Forderungen erlitten hat, nicht als Härte in der Sache selbst (sondern allenfalls als persönliche Härte) gewürdigt werden. Denn § 9 Abs. 1 GrEStG schützt den Hypothekengläubiger (§ 9 Abs. 5 Satz 1 GrEStG) nicht wegen jeder Forderung gegen den Vollstreckungsschuldner, sondern nur wegen der durch die Hypothek (§ 9 Abs. 4 GrEStG, §§ 1113 ff. BGB) gesicherten (Urteil des BFH II 105/65 vom 21. November 1967, BFH 91, 187 [189]). Ob und inwieweit etwa eine persönliche (wirtschaftliche) Unbilligkeit verbleiben könnte, haben unbeschadet der §§ 40, 102 FGO die zuständigen Finanzverwaltungsbehörden zu beurteilen.

Andererseits könnte selbst der Gesichtspunkt einer Unbilligkeit in der Sache selbst durch gegenwirkende Umstände aufgehoben werden, so z. B. wenn der Kläger zwischenzeitlich wegen aller Forderungen gegen den damaligen Vollstreckungsschuldner befriedigt worden wäre. Der festgestellte Sachverhalt läßt aber nicht ersehen, daß nach dem Versteigerungstermin noch Zahlungen an den Kläger geleistet worden wären, welche gemäß §§ 366, 367 BGB auf den verbliebenen - weder gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 ZVG noch gemäß § 114a ZVG erloschenen - Teil der ehemals hypothekarisch gesicherten Forderung zu verrechnen gewesen wären. Daher kann dahingestellt bleiben, wie es unter dem Gesichtspunkt einer Unbilligkeit in der Sache selbst zu beurteilen wäre, wenn nur die ehemals durch die Hypothek gedeckten, nicht aber die ungesicherten Forderungen getilgt worden wären.

Aus dem zuvor erwähnten Grunde war unter Aufhebung des die Abweisung der Klage aus § 131 AO aussprechenden Entscheidungssatzes des angefochtenen Urteils (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO) der angefochtene Verwaltungsakt nebst der diesen bestätigenden Beschwerdeentscheidung aufzuheben, da die Finanzverwaltung hinsichtlich der Unbilligkeit in der Sache selbst die Grenzen des § 131 AO verkannt und demzufolge rechtswidrig zu Lasten des Klägers von der ihr obliegenden Prüfung abgesehen hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Entgegen der Ansicht des Finanzamts konnte die Verwaltungsentscheidung nicht mit der Begründung aufrechterhalten werden, daß "sich die Gründe im streitigen Einzelfall jedenfalls vertreten" ließen. Denn die OFD ist auf Grund einer falschen Rechtsauffassung von vornherein nicht in die Prüfung eingetreten, ob die Erhebung der geschuldeten Steuer aus in der Sache selbst liegenden Gründen nach Lage des Falles unbillig wäre (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AO). Da die Sache im Sinne des § 101 Satz 1 FGO nicht spruchreif ist, war der Beklagte zu verpflichten, den Kläger nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen erneut zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413147

BStBl II 1972, 503

BFHE 1972, 172

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