Leitsatz (amtlich)

Wird einem Gesellschafter der Abzug eines aus seiner Beteiligung an einer Personengesellschaft herrührenden Verlustes nach § 10d EStG versagt, weil die Buchführung der Gesellschaft nicht ordnungsmäßig war, so ist für einen Steuererlaß wegen Unbilligkeit in der Sache nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO selbst dann kein Raum, wenn der Gesellschafter den Mangel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht zu vertreten hat und der Verlust dem Grunde und der Höhe nach unzweifelhaft ist.

 

Normenkette

AO § 131 Abs. 1 S. 2; EStG § 10d

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Steuerpflichtigen) waren seit Mitte 1957 Kommanditisten der V KG, Maschinenfabrik in A (KG). Sie erlitten aus ihrer Beteiligung in 1957 erhebliche Verluste von zusammen rd. 80 500 DM, die aber nicht auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung der KG ermittelt waren. Bei den Einkommensteuerveranlagungen 1960 und 1961 versagte das FA den Steuerpflichtigen den Verlustabzug nach § 10d EStG. Die Steuerpflichtigen beantragten, die auf der Nichtberücksichtigung des Verlustabzugs beruhende Einkommensteuer 1960 und 1961 nach § 131 AO aus Billigkeitsgründen zu erlassen.

Mit Verfügung vom 2. März 1965 lehnte das FA den Antrag ab. Die Beschwerde der Steuerpflichtigen wies die zuständige OFD mit Beschwerdeentscheidung vom 17. September 1965 als unbegründet zurück.

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage machen die Steuerpflichtigen geltend, das EStG gehe zwar von der Abschnittsbesteuerung aus, lasse aber Korrekturen im Sinne einer Durchschnittsbesteuerung zu. Hierzu gehöre der Verlustabzug nach § 10d EStG. Das für die Anwendung dieser Vorschrift erforderliche Merkmal, daß der Verlust auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt sein müsse, sei in erster Linie deshalb aufgestellt worden, weil nur unzweifelhafte Verluste abzugsfähig sein sollten. Sie, die Steuerpflichtigen, hätten aber den Verlust, dessen Abzug sie begehrten, unzweifelhaft erlitten. Sinn und Zweck des Gesetzes seien damit erfüllt. Wenn der Verlustabzug ihnen auch nicht aus Rechtsgründen zustehe, so sei doch ein Erlaß der Steuer aus Billigkeitsgründen geboten, weil anzunehmen sei, daß der Gesetzgeber - hätte er den Fall geregelt - sich im Sinne der Zulassung des Verlustabzugs entschieden hätte. Die Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung bei der KG hätten sie nicht zu vertreten.

Die Klage blieb erfolglos. Das FG führte, nachdem es die Zuläsigkeit der Klage bejaht hatte, im wesentlichen aus: Nicht nur persönliche, sondern auch sachliche Gründe könnten einen Billigkeitserlaß nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO rechtfertigen. Keiner dieser Gründe liege vor. Persönliche Billigkeitsgründe seien weder vorgetragen worden noch aus den Akten ersichtlich. Auch sachliche Billigkeitsgründe lägen nicht vor. Solche könnten gegeben sein, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden könne, daß dieser die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage, hätte er sie geregelt, im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden haben würde (Urteil des BFH V z 181/57 U vom 27. März 1958, BFH 66, 647, BStBl III 1958, 248). Ein Billigkeitserlaß komme nur in solchen Fällen in Betracht, die bei Erlaß des Gesetzes nicht hätten vorausgesehen werden können. Im Streitfall spreche nichts dafür, daß der Gesetzgeber nicht vorausgesehen und nicht in Kauf genommen hätte, daß § 10d EStG dann mit Härten für den Steuerpflichtigen verbunden sein könne, wenn diesen an der Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung kein Verschulden treffe. Es sei nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber überall dort, wo das Vorhandensein eines Verlustes auf andere Weise nachgewiesen werden könne, den Verlustabzug habe gewähren wollen. Die Vergünstigung sei an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, die von den Steuerpflichtigen erfüllt sein müßten. Im übrigen seien auch viele andere Fälle denkbar, in denen der Steuerpflichtige für die Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht verantwortlich gemacht werden könne. Es komme hinzu, daß die Steuerpflichtigen Mitunternehmer seien. Es gehöre zu ihrem Risiko, die sich aus ihrer Stellung als Mitunternehmer ergebenden Nachteile, auch wenn sie vom Komplementär allein verursacht seien, mitzutragen.

Mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Revision wiederholen die Steuerpflichtigen ihr bisheriges Vorbringen. Sie ergänzen, die Voraussetzung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung in § 10d EStG habe - wie letztlich jede Vorschrift - einen inneren gesetzgeberischen Grund. Sei dieser Grund nicht gegeben, dann werde eine leere Norm nur wegen ihrer formalen Schlüssigkeit angewendet, und zwar mit einem unbilligen Ergebnis und dies gegen den Willen des Gesetzgebers. Für solche Fälle sei die Variante der sachlichen Unbilligkeit geschaffen worden. In ihrem Fall lägen die Verluste der KG offen zutage. Als Kommanditisten hätten sie tatsächlich und rechtlich keinerlei Einfluß auf die Buchführung der KG gehabt. Dies mache ihre geringfügige Beteiligung deutlich. Die Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung könne daher den Steuerpflichtigen nicht zugerechnet werden. Ihr Fall sei mit dem vom FG angeführten Beispiel, daß ein Steuerpflichtiger die Buchführungsarbeiten einem Dritten übertragen habe, nicht vergleichbar. Es handle sich bei der KG auch um Manipulierung der Bestände zum Zwecke des Betrugs.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

Die Entscheidung der Vorinstanz, wonach die Verwaltungsbehörden, ohne einen Ermessensfehler zu begehen, zu dem Ergebnis kommen konnten, daß weder persönliche noch sachliche Gründe eine Billigkeitsmaßnahme nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO rechtfertigen, ist zutreffend.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die Entscheidung der Verwaltungsbehörden gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AO darüber, ob die Einziehung der Steuern nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre, von den Gerichten nach den für die Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu treffen ist (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes GmS - OGB 3/70 vom 19. Oktober 1971, BFH 105, 101, BStBl II 1972, 603).

Ein Steuererlaß aus persönlichen Gründen kann nur in Betracht kommen, wenn dem Steuerpflichtigen die Zahlung von Steuern nach seinen wirtschaftlichen und sonstigen persönlichen Verhältnissen nicht möglich ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), haben weder die Steuerpflichtigen solche Gründe vorgetragen noch ist den Akten zu entnehmen, daß solche Gründe vorliegen.

Ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen ist nach der neueren Rechtsprechung des BFH nur möglich, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestands über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist und der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Besteuerung aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (BFH-Urteile II R 99/70 vom 9. Februar 1972, BFH 105, 172, BStBl II 1972, 503; II R 123/68 vom 25. März 1969, BFH 96, 283, BStBl II 1969, 602).

Die Bestimmung des § 10d EStG bedeutet für die Steuerpflichtigen eine Vergünstigung, weil sie in Verlustfällen von dem Prinzip der Abschnittsbesteuerung abweicht und in beschränktem Umfang die Durchschnittsbesteuerung zuläßt. Bei der Schaffung dieser Regelung war der Gesetzgeber nicht gehindert, die Vergünstigung an bestimmte Voraussetzungen zu binden (BFH-Urteil VI 183/65 vom 5. Oktober 1966, nicht veröffentlicht) mit der Folge, daß sie nur von dem in Anspruch genommen werden kann, der diese Voraussetzungen erfüllt.

Durch die Anknüpfung des Verlustabzugs an die Voraussetzung, daß der Verlust auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt sein muß, hat der Gesetzgeber eine objektive Abgrenzung geschaffen. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, wann er die Vergünstigung gewähren will und wann nicht. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß er Steuerpflichtigen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, auch dann den Verlustabzug versagen wollte, wenn die Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht auf ihrem Verschulden beruht. Die Rechtsprechung zur Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, wonach diese allein nach ihrem objektiven Befund zu beurteilen ist, und es nicht darauf ankommt, daß bestimmte Voraussetzungen einer Steuervergünstigung durch die ordnungsgemäße Buchführung nachgewiesen werden, die Buchführung vielmehr nur einheitlich ordnungsmäßig oder nicht ordnungsmäßig sein kann, war dem Gesetzgeber bekannt. Wenn er gleichwohl Jahrzehnte an der Voraussetzung festhielt, daß der Verlust auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermittelt sein muß, so kann hieraus nichts anderes geschlossen werden, als daß er auch Härten, die durch eine solche Auslegung des genannten Tatbestandsmerkmals des § 10d EStG auftreten können, in Kauf genommen hat und nicht wollte, daß die generelle Regelung des Verlustabzugs durch Billigkeitsmaßnahmen außer Kraft gesetzt wird.

Für den Verlustabzug der Kommanditisten gelten keine Besonderheiten. Wer sich als Kommanditist bewußt darauf einläßt, daß Maßnahmen der Komplementäre zu steuerlichen Nachteilen für ihn führen, z. B. dadurch, daß wie im Streitfall Steuervergünstigungen, die an das Vorhandensein einer ordnunsmäßigen Buchführung geknüpft sind, wegen Fehlens einer solchen nicht gewährt werden können, nimmt dieses Risiko in Kauf und kann jedenfalls aus diesem Grunde nicht erwarten, daß der Nachteil durch Billigkeitsmaßnahmen der Verwaltung ausgeglichen wird. Wollte man hier einen anderen Standpunkt einnehmen, so würde dies dazu führen, daß der Kommanditist ganz allgemein auch in vielen anderen Fällen mit der Begründung, er habe an Maßnahmen, die seine Besteuerung aus der Beteiligung berühren, nicht mitwirken können, sich der gesetzlichen Besteuerung entziehen könnte. Ein solches Ergebnis wäre unzulässig, da hierdurch die Einkommensbesteuerung des Kommanditisten nach den Verhältnissen der Gesellschaft weitgehend ausgehöhlt würde.

Das Vorbringen der Steuerpflichtigen, § 10d EStG werde ihnen gegenüber nur nach seiner formellen Schlüssigkeit angewendet, ein Sinn stecke nicht dahinter, weil an dem Bestehen und der Verrechenbarkeit der Verluste bei ihnen keinerlei Zweifel bestehen könnten, greift gegenüber den vorstehenden Überlegungen nicht durch. Es kann auch hier nicht zweifelhaft sein, daß der Gesetzgeber solche Fälle bei der Schaffung der Voraussetzungen des § 10d EStG mitberücksichtigt hat und nicht wollte, daß bei ihnen der Verlustabzug angewendet wird.

Wenn aus der Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung der Gesellschaft gerade für die Gesellschafter, die diesen Mangel nicht zu vertreten haben, steuerliche und damit finanzielle Nachteile entstehen, so ist der Ausgleich für diesen Schaden auf der Ebene des Gesellschaftsrechts zu suchen. Es spricht nichts dafür, daß ihn der Gesetzgeber dem Steuergläubiger zumuten wollte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413313

BStBl II 1972, 918

BFHE 1972, 486

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