Leitsatz (amtlich)

Der Verlust bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, der bei Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen nach § 14a des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft (Berlinförderungsgesetz -BerlinFG-) in der Fassung vom 29. Oktober 1970 (BGBl I 1970, 1481, BStBl I 1970, 1016) entsteht, ist nach § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG auf Antrag des Arbeitnehmers für die Berechnung der Lohnsteuer vom Arbeitslohn abzuziehen und nach § 40 Abs. 2 EStG auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.

 

Normenkette

EStG § 40 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 53 Abs. 3, § 7b; BerlinFG § 14a

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat im Jahr 1972 als Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und u. a. als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit bezogen. Durch Vertrag vom 24. April 1972 hat er in Berlin (West) eine Eigentumswohnung erworben, die seit dem 1. Oktober 1972 bezugsfertig ist.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte den im Juni 1972 gestellten Antrag des Klägers, auf seiner Lohnsteuerkarte 1972 einen Freibetrag von insgesamt 70 807 DM (50 v. H. der von ihm zunächst ohne die nachträglichen Herstellungskosten mit 141 614 DM errechneten Anschaffungskosten) einzutragen, mit der Begründung ab, nach § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG sei nur die Eintragung eines Freibetrags für erhöhte Absetzungen nach den §§ 7 b, 54 EStG möglich, nicht aber für Sonderabschreibungen nach § 14a des Gesetzes zur Förderung der Berliner Wirtschaft (Berlinförderungsgesetz - BerlinFG-) in der Fassung vom 29. Oktober 1970 (BGBl I 1970, 1481, BStBl I 1970, 1016). Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger nur noch die Eintragung eines Freibetrags von 40 000 DM, da er wegen des darüber hinausgehenden Betrages die Herabsetzung der mit Rücksicht auf seine freiberufliche Tätigkeit zu entrichtenden Vorauszahlungen zur Einkommensteuer begehren könne.

Das FG entschied, das FA sei verpflichtet, in die Lohnsteuerkarte einen Freibetrag von 26 736,50 DM einzutragen, nämlich 10 v. H. der vom FG festgestellten Anschaffungs- und nachträglichen Herstellungskosten von 144 593 DM zuzüglich der vor Bezugsfertigkeit entrichteten Zinsen und Kreditnebenkosten in Höhe von 12 276,56 DM. Im übrigen wies das FG die Klage ab. Zur Begründung führte es u. a. aus: Da der Kläger eine Eigentumswohnung in Berlin (West) 1972 erworben habe, sei nach § 53 Abs. 3 EStG § 7b EStG in der Fassung des Einkommensteuergesetzes vom 15. August 1961 mit der Maßgabe anzuwenden, daß im Jahr der Fertigstellung bis zu 10 v. H. der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abgesetzt werden könnten.

Der Gewährung des Freibetrages stehe nicht entgegen, daß der Kläger in erster Linie die Eintragung eines Freibetrags für Verluste begehre, die ihm durch Inanspruchnahme der erhöhten AfA nach § 14a BerlinFG entstanden sind. Zwar seien erhöhte Absetzungen nach § 7b EStG nicht zulässig, wenn Sonderabsetzungen nach § 14a BerlinFG in Anspruch genommen werden (§ 14a Abs. 5 BerlinFG). Der Kläger müsse zwischen diesen Vergünstigungsvorschriften wählen. Durch den Antrag auf Eintragung eines Freibetrags in die Lohnsteuerkarte für Sonderabsetzungen nach § 14a BerlinFG habe der Kläger aber diese Sonderabschreibungen noch nicht in Anspruch genommen, da eine solche Eintragung nicht zulässig sei. Seine Klage sei insoweit unbegründet. Der eindeutige Wortlaut des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG lasse lediglich die Eintragung von Verlusten nach §§ 7 b, 54 EStG auf der Lohnsteuerkarte zu. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor, da sachliche Unterschiede zwischen dem Veranlagungsverfahren und dem Lohnsteuerverfahren bestünden, die es gerechtfertigt erscheinen ließen, einerseits bei veranlagten Steuerpflichtigen die Berücksichtigung der Vergünstigung nach § 14a Abs. 3 BerlinFG durch Herabsetzung der Vorauszahlungen zu gestatten und andererseits im Lohnsteuerabzugsverfahren die Eintragung eines Freibetrages zu versagen.

Mit der Revision rügt der Kläger einen Verstoß des FG gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG, Verletzung der für die Auslegung gesetzlicher Vorschriften allgemeingültigen Grundsätze sowie einen Verstoß gegen die Denkgesetze.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet.

Nach § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG 1971 ist auf Antrag des Arbeitnehmers für die Berechnung der Lohnsteuer vom Arbeitslohn der Verlust bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abzuziehen, der durch Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen nach den §§ 7 b, 54 EStG entsteht. Diese Vorschrift gestattet bei grundgesetzkonformer Auslegung auch den Abzug des Verlustes, der sich bei Inanspruchnahme der erhöhten Absetzungen nach § 14a BerlinFG ergibt.

Im Streitjahr 1972 konnten für Wohngebäude in Berlin (West) erhöhte Absetzungen nach zwei verschiedenen Vorschriften in Anspruch genommen werden, und zwar einmal nach § 53 Abs. 3 EStG 1971 in Verbindung mit § 7b EStG in der Fassung des Einkommensteuergesetzes vom 15. August 1961 (BGBl I 1961, 1253, BStBl I 1961, 509) und außerdem nach § 14a BerlinFG. Daneben ist auch die Anwendung der Vorschrift des § 7b EStG 1971 in Berlin (West) nicht ausgeschlossen. § 53 Abs. 3 EStG unterscheidet sich von § 7b EStG 1971 insbesondere dadurch, daß allgemein Wohngebäude, die zu mehr als 66 2/3 v. H. Wohnzwecken dienen, begünstigt sind, während § 7b EStG 1971 lediglich Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser und Eigentumswohnungen begünstigt. Außerdem sieht § 7b EStG 1971 für acht Jahre je 5 v. H. erhöhte Absetzungen vor, während nach § 53 Abs. 3 EStG für zwei Jahre 10 v. H. und für zehn Jahre je 3 v. H. abgesetzt werden können. § 14a BerlinFG sieht eine darüber hinausgehende Erweiterung der Vergünstigungen für Gebäude und Eigentumswohnungen, die mindestens drei Jahre nach ihrer Fertigstellung zu mehr als 80 v. H. Wohnzwecken dienen, vor, gleichgültig, ob es sich um steuerbegünstigten oder freifinanzierten Wohnungsbau handelt. Die erhöhten Absetzungen betragen bis zu 50 v. H. für drei Jahre. § 14a BerlinFG ist ersichtlich auch in der Textfassung dem § 7b EStG nachgebildet. Die Vorschrift greift über § 7b EStG - abgesehen von den angeführten Ausweitungen und der dreijährigen Bindung - lediglich insoweit hinaus, als auch erhöhte Absetzungen für Teilherstellungskosten zugelassen sind.

Der Senat hat mit dem FG keine Zweifel, daß die Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG, obwohl sie ausdrücklich nur die §§ 7b und 54 EStG erwähnt, auch § 53 Abs. 3 EStG 1971 in Verbindung mit § 7b EStG 1961 erfaßt. Nur diese über den engen Wortlaut hinausgreifende Auslegung wird dem Sinne einerseits der Vorschriften über erweiterte Absetzungsmöglichkeiten für Berlin (West) und andererseits dem Sinne der Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG gerecht, die erhöhten Absetzungen im Wohnbaubereich bereits durch Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte geltend machen zu können. Die gleichen Überlegungen führen dann aber auch dazu, daß die in demselben Sinne und mit derselben Zielrichtung wirkenden weiter ausgedehnten Wohnbauvergünstigungen in § 14a BerlinFG ebenfalls als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte berücksichtigt werden können. (Ob dies auch für die Ausdehnung auf Teilherstellungskosten gilt, braucht im vorliegenden Streitfall nicht entschieden zu werden.) Der innere Zusammenhang dieser Vorschrift mit den Vergünstigungen des § 7b EStG und ihr Charakter als Erweiterung dieser Vergünstigungen sind so offensichtlich, daß demgegenüber die Tatsache der Nichterwähnung des § 14a BerlinFG in § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG zurücktreten muß. Der Senat sieht sich zu dieser Auslegung berechtigt durch die Grundsätze, die das BVerfG zu einer verfassungskonformen Auslegung der Gesetze entwickelt hat (z. B. Beschluß vom 7. Mai 1953 1 BvL 104/52, BVerfGE 2, 266). Danach ist ein Gesetz nicht verfassungswidrig, wenn eine Auslegung möglich ist, die im Einklang mit dem Grundgesetz steht, und wenn das Gesetz bei dieser Auslegung sinnvoll bleibt.

Eine Auslegung des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG dahin, daß wegen der Vergünstigungen nach § 14a BerlinFG ein Freibetrag nicht auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden darf, wäre mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Eine solche Auslegung würde dahin führen, daß veranlagte Steuerpflichtige über eine Herabsetzung der Vorauszahlungen zur Einkommensteuer die Auswirkung der Vergünstigungen schon während des maßgeblichen Veranlagungszeitraums erreichen könnten, während lohnsteuerpflichtige Arbeitnehmer, bei denen eine Auswirkung nur durch die Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte möglich wäre, erst nach Ablauf des Jahres beim Lohnsteuer-Jahresausgleich oder einer Veranlagung zur Einkommensteuer die Vergünstigung erlangen könnten. Diese unterschiedliche Regelung kann nicht mit den Besonderheiten des Lohnsteuererhebungsverfahrens, das grundsätzlich die Berücksichtigung der Auswirkung anderer Einkunftsarten nicht zuläßt, begründet werden; denn mit der Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG enthält das Lohnsteuererhebungsverfahren bereits eine Durchbrechung dieses Grundsatzes für den Bereich der erhöhten Absetzungen für Wohngebäude. Aber auch die besonders zu beachtenden Anforderungen an die praktikable Ausgestaltung des Erhebungsverfahrens können eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. Es würde sich, wie der Streitfall zeigt, um eine Regelung handeln, die für Lohnsteuerpflichtige wesentliche steuerliche Nachteile mit sich bringen könnte. Zur Rechtfertigung einer solchen Regelung reichen aber, wie das BVerfG in seinem Beschluß vom 13. Dezember 1967 1 BvR 679/64 (BVerfGE 23, 1, BStBl II 1968, 70) ausgeführt hat, allgemeine verwaltungstechnische Erwägungen nicht aus. Der Senat vermag insbesondere dem Einwand des FA, daß bei Berücksichtigung des § 14a BerlinFG im Lohnsteuerverfahren mehr Anträge auf Eintragung von Freibeträgen zu erwarten seien, kein Gewicht beizumessen. Schon nach dem eigenen Vorbringen des FA würden Steuerpflichtige, die § 14a BerlinFG in Anspruch nehmen können, in aller Regel - ausgenommen lediglich bei Vergünstigungen für Teilherstellungskosten - zugleich auch die Voraussetzungen für § 53 Abs. 3 EStG in Verbindung mit § 7b EStG 1961 erfüllen. Die Zahl der Anträge würde sich also nicht nennenswert erhöhen. Darüber hinaus würde aber der Arbeitsaufwand bei den FÄ ebenfalls nicht wesentlich vermehrt. Es ist vielmehr dem Kläger zuzustimmen, der darauf hinweist, daß der Arbeitsaufwand für eine Prüfung der Voraussetzungen des § 14a BerlinFG keineswegs größer ist als derjenige für eine Prüfung der Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 EStG. Ernstliche Auswirkungen auf die praktikable Durchführung des Lohnsteuerabzugsverfahrens wären also bei einer Einbeziehung des § 14a BerlinFG in die Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG nicht zu befürchten. Damit aber wäre die Divergenz zwischen dem Veranlagungsverfahren und dem Lohnsteuerabzugsverfahren mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Dieser verfassungswidrige Zustand wird durch die vom Senat vorgenommene verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 6 EStG dahin, daß darunter auch die Vergünstigung nach § 14a BerlinFG fällt, vermieden.

Der Kläger hat hiernach einen Rechtsanspruch darauf, daß der volle, unter den Beteiligten nicht streitige Betrag von 40 000 DM als Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte 1972 eingetragen wird. Der Revision des Klägers war hiernach stattzugeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70699

BStBl II 1974, 44

BFHE 1974, 423

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