Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung bei GmbH in Gründung

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Frage der grob fahrlässigen Pflichtverletzung, wenn der Geschäftsführer einer GmbH trotz ausreichender Bankguthaben zum Fälligkeitszeitpunkt Lohnsteuer deshalb nicht an das FA abführt, weil der Vergleichsverwalter über das Vermögen einer Obergesellschaft (Konzern) ihm die Verfügung über die Bankkonten untersagt hat.

2. Der Geschäftsführer einer GmbH i. Gr. haftet für die Nichtabführung von Steuern nicht nach § 11 Abs. 2 GmbHG.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 34, 69; GmbHG § 11 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war -- zusammen mit dem ebenfalls als Haftungsschuldner in Anspruch genommenen B -- Geschäftsführer der mit Gesellschaftsvertrag vom Juni 1992 gegründeten E-GmbH in Gründung (E-GmbH i. Gr.), die in der Folgezeit nicht mehr in das Handelsregister eingetragen wurde, weil die Gesellschafter ihre Stammeinlagen nicht erbrachten. Die E- GmbH i. Gr. war ebenso wie sechs andere, rechtlich selbständige Tochtergesellschaften zum Zwecke der Umstrukturierung der E-AG, bei der der Kläger zuvor als Leiter eines Zweigwerkes und Prokurist beschäftigt war, gegründet worden. Sie sollte die Herstellung von ... erzeugnissen in zwei bisher von der E- AG betriebenen Zweigwerken übernehmen.

Die E-AG, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, hatte durch Sicherungsvereinbarung vom Mai 1991 dem Treuhänder ihrer Sicherungsnehmer (Kreditversicherer, Kredit gewährende Banken etc.) ihr gesamtes Vorratsvermögen zur Sicherheit übereignet. Ferner hatte sie ihre gesamten gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an den Treuhänder der Sicherungsnehmer zu Sicherungszwecken abgetreten. Mit Vertrag vom März 1992 wurden die bis dahin neu gegründeten sechs Tochtergesellschaften (GmbHs) in die vorgenannte Sicherungsvereinbarung miteinbezogen. Dabei wurden die sechs GmbHs jeweils durch ihre Geschäftsführer vertreten. Wenn und soweit weitere Unternehmensbereiche der E-AG von dieser rechtlich getrennt werden sollten, so sollte nach dem Vertrag diese sicherstellen, daß die Rechtsnachfolger diesen Vertrag in jeder Hinsicht für sich verbindlich anerkennen würden.

Die E-GmbH i. Gr. zahlte ihren gewerblichen Arbeitnehmern die Löhne für August 1992 am 9. September 1992 aus; die am 10. Oktober 1992 fälligen Steuerabzugsbeträge wurden aber nicht mehr an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt -- FA --) abgeführt. Nachfolgend auf den Vergleichsantrag der E-AG vom 5. Oktober 1992 stellte auch die E-GmbH i. Gr. am 23. Oktober 1992 Vergleichsantrag, nach dessen Ablehnung das Anschlußkonkursverfahren eröffnet wurde.

Das FA nahm den Kläger und den Mitgeschäftsführer B wegen der rückständigen Lohnsteuer und Kirchensteuer für September 1992 nebst Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 98 295,71 DM nach §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage des Klägers führte zur Aufhebung des Haftungsbescheids. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:

Der Kläger und sein Mitgeschäftsführer hätten nach § 34 AO 1977 die steuerlichen Pflichten der E-GmbH i. Gr. erfüllen müssen. Da die E-GmbH i. Gr. eine lediglich noch nicht voll entwickelte GmbH sei, auf die weitgehend bereits die für die GmbH geltenden Vorschriften Anwendung fänden, sei es gerechtfertigt, ihre Geschäftsführer wie die Geschäftsführer einer bereits eingetragenen GmbH zu behandeln. Aber selbst wenn man die GmbH i. Gr. entsprechend der zivilrecht lichen Betrachtungsweise als BGB-Gesellschaft bzw. im Streitfall als OHG (Eröffnung des Geschäftsbetriebs vor Eintragung) qualifiziere, so würde dies an der Anwendung des § 34 AO 1977 nichts ändern. Denn nach dieser Vorschrift hätten auch die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Eine grob fahrlässige Verletzung der dem Kläger obliegenden Pflichten (§ 69 AO 1977) sei aber nicht zu erkennen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) könne sich zwar ein Verantwortlicher nicht mit dem Vorbringen entlasten, zur Abführung der Lohnsteuer hätten keine Mittel zur Verfügung gestanden, wenn er sich zuvor dieser Mittel durch Globalzession begeben habe. Insoweit sei aber zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß im Zeitpunkt der Auszahlung der August-Löhne (9. September 1992) ausreichende Guthaben bei den Banken (Guthaben am 10. Oktober 1992 von über 800 000 DM) vorhanden gewesen seien. Daß diese Mittel nicht zur Verfügung gestanden hätten, könne dem Kläger im Sinne eines grob fahrlässigen Verhaltens nicht angelastet werden. Der Kläger habe zur Überzeugung des Senats glaubhaft vorgebracht, daß er von einer Zession dieser Mittel zur Sicherung der Gläubiger der E-AG keine Kenntnis gehabt habe. Auch habe der Klägervertreter, in dessen Kanzlei der Konkurs abgewickelt werde, darauf hingewiesen, daß keinerlei Unterlagen darüber vorlägen, daß die vorgenannten Guthaben von über 800 000 DM zur Sicherung der Gläubiger der E-AG abgetreten worden seien. Bei dieser Sachlage beruhe die Inanspruchnahme dieser Guthaben der E-GmbH i. Gr. durch die Gläubiger der E-AG offensichtlich auf den Sicherungsvereinbarungen vom 7. Mai 1991 bzw. vom 9. März 1992. In diese Sicherungsvereinbarungen sei die damals noch nicht bestehende E-GmbH i. Gr. nicht einbezogen. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, daß es zu einer verbind lichen Anerkennung dieser Vereinbarungen durch die Geschäftsführer der E-GmbH i. Gr. gekommen sei. Die Verbindlichkeit der Erstreckung der Sicherungsvereinbarung auch auf die neugegründete E-GmbH könne allenfalls aus der Rechtsnatur der GmbH i. Gr. abgeleitet werden. Diese komplizierten Besonderheiten bei einer GmbH i. Gr. seien aber für die Geschäftsführer nicht zu erkennen gewesen, so daß es ihnen nicht anzulasten sei, daß sie eine Erstreckung der Vereinbarungen durch die E-AG nicht in Erwägung gezogen hätten. Berücksichtige man ferner, daß die E-GmbH i. Gr. insgesamt nur etwa drei Monate tätig gewesen sei, daß sich bis zur Auszahlung der August-Löhne (9. September 1992) und der Abführung der Lohnsteuer für August am 10. September 1992 keine Zahlungsschwierigkeiten ergeben hätten (die Gehälter der Angestellten für August seien schon zum Monatsende bezahlt worden) und daß der Vergleichsantrag der E-AG unerwartet gekommen sei, so vermöge der Senat unter Abwägung aller vorgenannten Umstände jedenfalls ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers in Ansehung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer nicht zu erkennen.

Der Kläger hafte auch nicht nach § 11 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG). Nur ein rechtsgeschäftliches Handeln löse die Haftung nach dieser Vorschrift aus; sie begründe keine Haftung für gesetzliche Schuldverhältnisse. Insbesondere folge aus ihr auch keine allgemeine Haftung der schon für die Vor- GmbH tätigen Geschäftsführer für Steuern, Gebühren und Beiträge.

Mit der Revision macht das FA geltend, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Bankkonten mit einem Guthaben von über 800 000 DM von dem Sicherungsvertrag erfaßt worden seien, den die E-AG mit Kreditversicherungen und Banken abgeschlossen habe, weshalb dem Kläger nicht vorzuwerfen sei, daß er die einbehaltene Lohnsteuer nicht abgeführt habe. Dabei habe das FG über sehen, daß ein Bankguthaben weder dem Vorratsvermögen noch den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, auf die sich der Sicherungsvertrag erstreckt habe, zuzurechnen sei. Bei zutreffender rechtlicher Würdigung der festgestellten Tatsachen hätte das FG feststellen müssen, daß die Bankguthaben Anfang Oktober 1992 zur Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer dem Kläger zur Ver fügung standen. Der Kläger und sein Mit geschäftsführer hätten sich aber durch die Weisung des Vergleichsverwalters, Auszahlungen im Konzern nicht mehr vorzunehmen, weil der Sicherungspool diesbezüglich Ansprüche geltend machte, daran gehindert gesehen, ihre steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer zu erfüllen. Objektiv sei der Kläger in der Lage gewesen, seine Pflichten zu erfüllen, er habe sich aber durch eine vermeintliche Sicherungsabtretung und -übereignung gebunden gefühlt.

Im Streitfall sei auch der Haftungstatbestand des § 11 Abs. 2 GmbHG erfüllt. Die arbeitsvertragliche Lohnzahlungspflicht werde erst dann vollständig erfüllt, wenn die Lohnsteuer einbehalten und abgeführt werde; dieses sei der letzte Akt der Lohnzahlung. Deshalb sei die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber nicht nur eine gesetzliche Pflicht dem FA gegenüber, sondern gegenüber dem Arbeitnehmer eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung. Wegen dieser Doppelnatur des Lohnsteuerabzugs greife auch § 11 Abs. 2 GmbHG als Haftungsgrundlage ein.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er meint, das FG sei wegen des besonderen Sachverhalts zu der Tatsachenwürdigung gelangt, daß ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers nicht vorliege. Denn ab dem 5. Oktober 1992 (Vergleichsantrag der E-AG) hätten die für die E-GmbH i. Gr. ausgewiesenen Bankkonten wegen der festgestellten Sicherungsvereinbarungen nicht mehr der Verwaltung des Klägers unterlegen. Diese tatsäch liche Würdigung sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie keine Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzte. Sie entspreche auch den Tatsachen. Die Blokierung der Bankguthaben hänge allein damit zusammen, daß die betroffenen Banken Darlehen an die E-AG und andere Tochtergesellschaften ausgereicht hätten, die sie im Sicherungsfall mit dem Bankguthaben der E- GmbH i. Gr. verrechnen wollten. Deswegen seien sie -- wie er im Klageverfahren vorgetragen habe -- ab dem 5. Oktober 1992 nicht mehr bereit gewesen, Überweisungen zu Lasten der Guthabenkonten auszuführen.

Zutreffend und revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sei auch die Feststellung des FG, daß er (der Kläger) die von der E-AG abgeschlossenen Sicherungsvereinbarungen nicht gekannt habe. Die mangelnde Kenntnis begründe -- entgegen der Auffassung des FA -- nicht den haftungsrechtlichen Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit, weil er keinen Anlaß gehabt habe, sich nach etwaigen Sicherungsvereinbarungen zu erkundigen. Wie das FG zutreffend festgestellt habe, hätte er sich nicht auf die Zahlungsschwierigkeiten einstellen müssen, denn die Geschäfte der E-GmbH i. Gr. seien gut gelaufen, die flüssigen Mittel hätten ausgereicht, und der Vergleichsantrag der E-AG sei überraschend gekommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger als Geschäftsführer der E- GmbH i. Gr. nach § 34 Abs. 1 AO 1977 verpflichtet war, deren steuerliche Pflichten zu erfüllen, insbesondere dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den von ihm verwalteten Mitteln entrichtet wurden (Satz 2). Dies gilt -- wie die Vorentscheidung zutreffend ausgeführt hat -- unabhängig davon, ob die noch nicht im Handelsregister eingetragene Gesellschaft rechtlich bereits wie eine juristische Person (GmbH) und der Kläger und sein Mitgeschäftsführer als deren gesetzlicher Vertreter zu behandeln sind oder ob die GmbH i. Gr. als BGB-Gesellschaft bzw. als OHG anzusehen ist; denn nach der genannten Vorschrift haben auch die Geschäfts führer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen.

Der Kläger hatte demnach im Streitfall die Pflicht, von den von der E-GmbH i. Gr. als Arbeitgeberin am 9. September 1992 ausgezahlten Löhne die darauf entfallende Lohnsteuer und Kirchensteuer einzubehalten und sie bis zum 10. Oktober 1992 gegenüber dem FA anzumelden und an dieses abzuführen (vgl. § 41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --). Reichen die vorhandenen Finanzmittel der Gesellschaft für die Zahlung der Löhne und für die Abführung der Lohnsteuer nicht aus, so muß der Geschäftsführer nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urteil vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521, 523) die Löhne entsprechend gekürzt als Vorschuß oder Teilbetrag auszahlen und die darauf entfallende (geringere) Lohnsteuer an das FA abführen. Im Streitfall ist der Kläger der Verpflichtung zur Abführung der einzubehaltenden Steuer nicht nachgekommen. Er hat nach den Feststellungen des FG die Löhne am 9. September 1992 (ungekürzt) an die Arbeitnehmer der E-GmbH i. Gr. ausgezahlt, die darauf entfallenden Steuerabzugsbeträge aber nicht bis zum Fälligkeitstag (10. Oktober 1992) an das FA abgeführt.

2. Die Haftung nach §§ 34, 69 AO 1977, die dem angefochtenen Haftungsbescheid zugrunde liegt, setzt voraus, daß der Geschäftsführer die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten (§ 34 AO 1977) vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat und dadurch die Steuerverkürzung eingetreten ist. Das FG hat im Streitfall eine grob fahrlässige -- und damit auch eine vorsätzliche -- Pflichtverletzung des Klägers hinsichtlich der Abführung der Lohnsteuer und Kirchensteuer zum Fälligkeitszeitpunkt verneint. Seine tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen zum Verschuldensvorwurf gegenüber dem Kläger reichen aber für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

a) Aufgrund der Feststellungen des FG und des insoweit übereinstimmenden Vorbringens der Beteiligten kann eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers nicht bereits darin gesehen werden, daß er nicht schon im Zeitpunkt der Auszahlung der Löhne für den Monat August 1992 -- am 9. September 1992 -- im Wege der Kürzung der Löhne und der Zurückbehaltung der auf die gekürzten Löhne entfallenden Steuerabzugsbeträge Vorsorge für eine anteilige Befriedigung des FA zum nachfolgenden Fälligkeitszeitpunkt (10. Oktober 1992) getroffen hat. Denn im Zeitpunkt der Lohnzahlung war nicht absehbar, daß die E-GmbH i. Gr. zu dem späteren Fälligkeitszeitpunkt in Zahlungsschwierigkeiten geraten könnte. Nach dem vom FA nicht bestrittenen Vorbringen des Klägers liefen bis zum Zeitpunkt der Stellung des Vergleichsantrags durch die E-AG (am 5. Oktober 1992) die Geschäfte der von ihm vertretenen Gesellschaft gut, und es waren auch ausreichende Zahlungsmittel vorhanden. Dieses Vorbringen stimmt mit den tatsächlichen Feststellungen des FG überein, das sogar noch für den Fälligkeitszeitpunkt der hier streitigen Steuern Bankguthaben der E-GmbH i. Gr. in Höhe von 800 000 DM festgestellt hat. Dem Kläger kann damit nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er nicht schon im Zeitpunkt der Lohnzahlung durch Kürzung der Nettolöhne für eine anteilige Befriedigung des FA wegen der darauf entfallenden Steuern Sorge getragen hat. Da zu diesem Zeitpunkt spätere Zahlungsschwierigkeiten der E- GmbH i. Gr. nicht erkennbar waren, bestand kein Anlaß, die Nettolöhne gekürzt auszuzahlen, damit auch das FA anteilig befriedigt werden könnte.

b) Als schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers, die dessen Haftung nach §§ 34, 69 AO 1977 begründen könnte, kommt demnach nur in Betracht, daß dieser zum Fälligkeitszeitpunkt (10. Oktober 1992) die streitigen Steuerabzugsbeträge nicht an das FA abgeführt hat, obwohl die E-GmbH i. Gr. -- wie das FG festgestellt hat -- in diesem Zeitpunkt über Bankguthaben von 800 000 DM verfügte. Insoweit sind die tatsächlichen Feststellungen, aufgrund deren das FG ein grob fahrlässiges Verhalten i. S. des § 69 AO 1977 ausgeschlossen hat, zum Teil widersprüchlich und jedenfalls für die von der Vorinstanz gezogene rechtliche Schlußfolgerung nicht ausreichend.

Das FG ist einerseits davon ausgegangen, daß dem Kläger die nach den Bankguthaben ausgewiesenen Zahlungsmittel -- wohl wegen des Vergleichsantrags der E-AG vom 5. Oktober 1992 und der von dieser mit ihren Gläubigern abgeschlossenen Sicherungsvereinbarungen -- nicht zur Verfügung standen. Andererseits hat das FG ausgeführt, daß die damals noch nicht bestehende E-GmbH i. Gr. in die Sicherungsvereinbarungen der E-AG vom 7. Mai 1991 bzw. vom 9. März 1992 nicht einbezogen war und daß auch der Kläger von einer Zession der Zahlungsmittel zur Sicherung der Gläubiger der E-AG keine Kenntnis gehabt habe; zu einer verbindlichen Anerkennung der von der E-AG abgeschlossenen Sicherungsvereinbarung durch die Geschäftsführer der E-GmbH i. Gr. sei es nicht gekommen. Auf der Grundlage dieser Sachverhaltsfeststellungen bleibt offen, ob und ggf. warum nicht der Kläger, dessen Gesellschaft in die Sicherungsvereinbarung der E-AG nicht einbezogen war und der angeblich von dieser Sicherungsvereinbarung auch keine Kenntnis gehabt hat, den Versuch unternommen hat, die streitigen Steuerabzugs beträge zum Fälligkeitstag mittels der Bankguthaben der E-GmbH i. Gr., die die Steuerschulden bei weitem überstiegen, an das FA zu überweisen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Ausführung eines derartigen Überweisungsauftrags von den Banken hätte abgelehnt werden können, wenn die E-GmbH i. Gr. -- wie das FG ausgeführt hat -- in die von der E-AG mit ihren Gläubigern abgeschlossene Sicherungsvereinbarung nicht einbezogen war. Im übrigen erstreckte sich der Sicherungsvertrag -- wie das FG zutreffend ausgeführt hat -- nach seinem Wortlaut nur auf die Übereignung des Vorratsvermögens und auf die Abtretung der gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, nicht aber auf die Abtretung von Bankguthaben. Für die vom Kläger behauptete Verrechnung der Bankguthaben der E-GmbH i. Gr. durch die Banken mit ausgereichten Darlehen an die E-AG und deren Tochtergesellschaften liegen tatsächliche Feststellungen des FG und Anhaltspunkte in den vom FG in Bezug genommenen Sicherungsvereinbarungen nicht vor.

Das FG wird demnach die tatsächlichen Umstände, die den Kläger und seinen Mitgeschäftsführer veranlaßt haben, die streitigen Steuerabzugsbeträge zum Fälligkeitszeitpunkt (10. Oktober 1992) nicht an das FA abzuführen, obwohl zu diesem Zeitpunkt zugunsten der E-GmbH i. Gr. erhebliche Bankguthaben bestanden, näher aufzuklären haben. Dabei wird insbesondere zu ermitteln sein, ob der Kläger überhaupt den Versuch unternommen hat, die Steuern aus den Bankguthaben zu begleichen, ob sich die Banken einem Überweisungsauftrag widersetzt haben bzw. widersetzt hätten und welche tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten den Geschäftsführern der E- GmbH i. Gr. zur Verfügung standen, ihre Rechte gegenüber den Banken durchzusetzen. Sollte -- wie das FA vorträgt -- die Nichtabführung der Steuerabzugsbeträge allein darauf zurückzuführen sein, daß der Vergleichsverwalter über das Vermögen der E-AG dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer Weisung erteilt hatte, keine Auszahlungen mehr vorzunehmen -- wofür eine rechtliche Grundlage nicht ersichtlich ist --, so wird das FG für die Frage des Verschuldens des Klägers in tatsächlicher Hinsicht zu würdigen haben, worauf der Vergleichsverwalter diese Anweisung gestützt hat und ob in Anbetracht dieser Begründung dem Kläger die Erfüllung seiner steuerlichen Verpflichtungen als Geschäftsführer gemäß § 34 AO 1977 zumutbar war. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wird das FG erneut zu entscheiden haben, ob dem Kläger wegen der Nichtabführung der Steuern eine grob fahrlässige bzw. vorsätzliche Pflichtverletzung zum Vorwurf gemacht werden kann.

3. Für den Fall, daß der Haftungstatbestand gemäß §§ 34, 69 AO 1977 nicht erfüllt ist, kommt auch eine Haftung des Klägers nach § 11 Abs. 2 GmbHG nicht in Betracht. Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, vermag nur ein rechtsgeschäftliches oder rechtsgeschäftsähnliches Handeln für die Vorgesellschaft gegenüber Dritten die Haftung des Handelnden nach dieser Vorschrift zu begründen (vgl. Baumbach/Hueck, GmbH- Gesetz, 16. Aufl., § 11 Rz. 45). § 11 Abs. 2 GmbHG begründet nicht die Haftung im Rahmen gesetzlicher Schuldverhältnisse und damit keine Haftung des für die Vor- GmbH tätigen Geschäftsführers für Steuern. Da im Streitfall für die Steuerhaftung das Steuerschuldverhältnis der E- GmbH i. Gr. als Abführungsverpflichtete für die Lohnsteuer gegenüber dem FA maßgeblich ist (vgl. § 33 Abs. 1 AO 1977), kommt es nicht darauf an, ob die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer auch eine arbeitsvertragliche Pflicht im Verhältnis gegenüber den Arbeitnehmern darstellen. Für die Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG auf den Streitfall besteht auch unter Berücksichtigung der vom FA angesprochenen Lückenausfüllung weder Raum noch Bedarf. Die Haftung der gesetzlichen Vertreter und Geschäftsführer von juristischen Personen, nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ist in den §§ 34, 69 AO 1977 gleichermaßen geregelt, so daß es hier nicht darauf ankommt, daß die E-GmbH i. Gr. keine Rechtsfähigkeit im zivilrechtlichen Sinne erlangt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421640

BFH/NV 1997, 4

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