Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum besonderen Verpflichtungsgrund i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1974 und zur Berücksichtigung von Unterstützungsleistungen an in der DDR lebende Angehörige als außergewöhnliche Belastungen

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Vertrag unter Familienangehörigen kann nur dann als besonderer Verpflichtungsgrund für eine dauernde Last anerkannt werden, wenn er inhaltlich den zwischen Fremden üblichen Verträgen entspricht.

2. Bei Unterstützungsleistungen an in der DDR lebende Angehörige ist deren Bedürftigkeit in der Regel zu unterstellen (Anschluß an BFH-Urteil vom 25. März 1983 VI R 275/80 BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453).

 

Normenkette

EStG 1974 § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 33a Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Die Kläger sind zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Sie haben einen im Jahre 1958 geborenen Sohn. Ihr Nettoeinkommen betrug im Streitjahr 1974 rd. 22 000 DM.

Die Mutter der Klägerin verstarb am 20. September 1960. Die Klägerin schloß am 11. November 1960 mit ihrem Vater einen schriftlichen Vertrag, in dem dieser ,,auf jegliches Erbe aus dem Erbfall" seiner Ehefrau zugunsten der Klägerin verzichtete. Im Gegenzug räumte die Klägerin ihm ein ,,lebenslänglich freies Wohnrecht" in einem ihr gehörenden Einfamilienhaus ein und gestattete ihm, Räumlichkeiten auf seine Rechnung zu vermieten. Nachdem die Klägerin das Einfamilienhaus im Jahre 1969 verkauft hatte, überließ sie ihrem Vater einen Raum in ihrer Vierzimmermietwohnung, die die Kläger und ihr Sohn bewohnen.

Die Kläger machten die anteilige Miete für das dem Vater überlassene Zimmer als dauernde Last im Rahmen ihrer Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1974 geltend.

Die Kläger unterstützten die fünfköpfige, in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) lebende Familie des Bruders des Klägers mit Sachzuwendungen im Werte von . . . DM. Der Bruder des Klägers besitzt eigenes Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) in Gestalt eines dem Kläger zinslos gewährten Darlehens von . . . DM. Die Kläger erklärten die Unterstützungsleistungen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a Abs. 1 EStG.

Nachdem das Finanzamt (FA) die Mietzinszahlungen der Kläger für das Zimmer des Vaters mangels eines besonderen Verpflichtungsgrundes i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1974 nicht als dauernde Last und die Unterstützungsleistungen zugunsten der Angehörigen nur mit . . . DM anerkannt hatte, berücksichtigte das Finanzgericht (FG) Mietaufwendungen von . . . DM als dauernde Last und einen . . . DM betragenden weiteren Teilbetrag der Unterstützungsleistungen als außergewöhnliche Belastung. Zu diesem Teilbetrag gelangte das FG, indem es die Unterhaltsleistungen um den Gegenwert kürzte, den es in dem Vorteil der zinslosen Darlehensgewährung des Bruders des Klägers erblickte.

Mit seiner vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 12 Nr. 2 und des § 33a Abs. 1 EStG 1974.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist teilweise begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil das FG die Aufwendungen der Kläger in Höhe des anteiligen Mietzinses für das dem Vater der Klägerin überlassene Zimmer unzutreffend als eine auf einem besonderen Verpflichtungsgrund beruhende dauernde Last im Rahmen der Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1974 zum Abzug zugelassen hat.

Dauernde Lasten sind wiederkehrende Leistungen, die ein Steuerpflichtiger für längere Zeit einem anderen gegenüber in Geld- oder Sachwerten von unterschiedlicher Höhe aufgrund einer besonderen Verpflichtung zu leisten hat und die nicht zu bestimmten Einkünften nach § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 7 EStG 1974 (jetzt § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 7 EStG 1985) gehören (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Oktober 1984 IX R 2/84, BFHE 143, 317).

Ein Abzug der Aufwendungen für das dem Vater der Klägerin überlassene Zimmer als dauernde Last scheitert schon daran, daß diese Aufwendungen nicht auf einem besonderen Verpflichtungsgrund i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1974 beruhen. Ein besonderer Verpflichtungsgrund kann sich aus einem Vertrag, einer Verfügung von Todes wegen, einem Hoheitsakt oder aus dem Gesetz ergeben. Ein Vertrag muß, um als ein besonderer Verpflichtungsgrund beurteilt werden zu können, auch steuerrechtlich anzuerkennen sein. Vereinbarungen zwischen Familienangehörigen sind nur dann einkommensteuerrechtlich wie Verträge unter fremden Personen zu berücksichtigen, wenn sie inhaltlich den zwischen fremden Personen üblichen Verträgen entsprechen (BFH-Urteile vom 22. Mai 1984 VIII R 35/84, BFHE 142, 28, BStBl II 1985; 243; vom 14. April 1983 IV R 198/80, BFHE 138, 359 BStBl II 1983, 555). Dazu gehört insbesondere, daß die gegenseitigen Rechte und Pflichten klar und eindeutig vereinbart worden sind.

Diese Anforderungen erfüllt der zwischen der Klägerin und ihrem Vater am 11. November 1960 geschlossene schriftliche Vertrag nach Auffassung des Senats nicht. Denn darin sind weder die Leistungen des Vaters noch die der Klägerin hinreichend bestimmt. Der Verzicht des Vaters ,,auf jegliches Erbe aus dem Erbfall" seiner Ehefrau läßt nicht erkennen, ob er damit einen als gesetzlicher oder testamentarischer Erbe erworbenen Anteil am Nachlaß seiner Ehefrau auf seine Tochter nach § 2033 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) übertragen oder ob er ihr einzelne Nachlaßgegenstände zum Alleineigentum überlassen wollte. Vor allem läßt sich aus der Vereinbarung nicht entnehmen, welche Nachlaßgegenstände sie betraf. Auch der Umfang des von der Klägerin im Gegenzug ihrem Vater versprochenen lebenslänglichen Wohnrechts in ihrem Einfamilienhaus bleibt unklar. Das Wohnrecht kann sich auf einzelne Räume oder aber auf das gesamte Einfamilienhaus beziehen. Fremde Dritte, zwischen denen keine gleichgerichteten Interessen bestehen, hätten sich auf eine inhaltlich derart unbestimmte Vertragsgestaltung nicht eingelassen. Sie erlaubt es nicht, die in der Vereinbarung angestrebte Übertragung von Vermögenswerten gegen Versorgungsleistungen von freiwilligen Zuwendungen der Klägerin an ihren ihr gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Vater i. S. von § 12 Nr. 2 EStG abzugrenzen.

Somit kann es dahinstehen, ob der Vertrag vom 11. November 1960 auch deswegen keinen besonderen Verpflichtungsgrund i. S. von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1974 hergibt, weil möglicherweise die Formvorschrift nach § 2033 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht beachtet worden ist. Schließlich braucht nicht erörtert zu werden, ob sich aus dem Vertrag vom 11. November 1960 auch noch nach der Veräußerung des Einfamilienhauses im Jahre 1969 eine Rechtspflicht der Klägerin ergibt, ihrem Vater als Ersatz ein Zimmer in ihrer Mietwohnung zu überlassen.

2. Die Revisionsangriffe des FA gegen die Berücksichtigung von Unterstützungsleistungen zugunsten in der DDR lebender Angehöriger durch das FG als außergewöhnliche Belastungen nach § 33a Abs. 1 EStG sind unbegründet.

Diese Aufwendungen sind den Klägern zwangsläufig erwachsen. Bei der Unterstützung der Angehörigen i.S. von § 15 der Abgabenordnung (AO 1977) ist jedenfalls eine sittliche Verpflichtung der Kläger gegeben. Die Bedürftigkeit von in der DDR lebenden Empfängern ist in der Regel zu unterstellen (BFH-Urteil vom 25. März 1983 VI R 275/80, BFHE 138, 343, BStBl II 1983, 453). Die Ausnahme, daß der Empfänger die Bedürftigkeit ausschließende Einkünfte oder Vermögen in der Bundesrepublik hat, ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Darlehensanspruch des Bruders des Klägers von . . . DM ist mit einem Wert von weniger als 15 000 DM als geringfügiges und damit unbeachtliches Vermögen anzusehen (vgl. Abschn. 190 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 1972).

Die Höhe der Aufwendungen übersteigt auch nicht eine für die Kläger in Betracht kommende Opfergrenze. Dies würde allerdings dann gelten, wenn im Hinblick auf die Höhe der Unterstützungsleistungen den Klägern und ihrem damals minderjährigen unverheirateten Kind so wenig Mittel zum Lebensunterhalt verblieben wären, daß sie vom verbliebenen Betrag her gesehen Anspruch auf die Regelsätze in der Sozialhilfe gehabt hätten (BFH-Urteil vom 17. Januar 1984 VI R 24/81, BFHE 140, 261, BStBl II 1984, 522). Dies war jedoch bei einem Nettoeinkommen der Kläger nach Abzug von Steuern von . . . DM nicht der Fall.

 

Fundstellen

BFH/NV 1985, 33

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