Leitsatz (amtlich)

1. Die Ermächtigungsvorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. d ZG schließt nicht die Befugnis der Bundesregierung zur Anordnung aus, Ausgleichsabgaben auch rückwirkend zu erheben.

2. Es bestehen keine rechtsstaatlichen Bedenken dagegen, daß die am 11. Oktober 1969 verkündete Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 auf den 9. Oktober 1969 zurückwirkt. Der Inhalt dieser Verordnung entspricht den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normenklarheit und der Verhältnismäßigkeit zwischen Zweck und Mittel.

3. Auch die Rückwirkungsregelung der Verordnung der Bundesregierung vom 3. November 1969 ist unbedenklich.

 

Normenkette

ZG § 21 Abs. 2 Nr. 4 Buchst. d; VO der Bundesregierung vom 29. September 1969 (BGBl II, 1937); VO der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 (BGBl II, 1991); VO der Bundesregierung vom 3. November 1969 (BGBl II, 2077); Entscheidung der Kommission vom 1. Oktober 1969 69/336/EWG (ABlEG 1969 Nr. L 250/29); Entscheidung der Kommission vom 8. Oktober 1969 69/348/EWG (ABlEG 1969 Nr. L 253/23); Entscheidung der Kommission vom 10. Oktober 1969 69/350/EWG (ABlEG 1969 Nr. L 255/13); Saarvertrag vom 27. Oktober 1956 (BGBl II, 1687) Art. 63; Gesetz über die Einführung des deutschen Rechts auf dem Gebiete der Steuern, Zölle und Finanzmonopole im Saarland vom 30. Juni 1959 i.d.F. vom 23. April 1963 (BGBl I 1959, 339, I 1963, 197); Kontingentswarenverordnung vom 8. August 1963 (BGBl I 1963, 634); EWGVtr Art. 115 Abs. 2, Art. 191 Abs. 2, Art. 226

 

Tatbestand

In der Zeit vom 8. Oktober bis zum 8. Dezember 1969 führte die im Saarland ansässige Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) 14 Sendungen von Agrarwaren aus Frankreich in das Saarland ein und ließ sie dort zum freien Verkehr abfertigen. Das Zollamt (ZA) erhob neben der Einfuhrumsatzsteuer eine Ausgleichsabgabe nach Verordnungen, die auf § 21 Abs. 2 Nr. 4 ZG gestützt waren. Die von der Klägerin wegen der Ausgleichsabgabe erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit folgender Begründung ab:

Das ZA habe die Ausgleichsabgabe für die Einfuhren in der Zeit vom 8. bis 24. Oktober 1969 nach der Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 (BGBl II 1969, 1991, BZBl 1969, 1225) erhoben. Die dieser Verordnung zugrunde liegende Ermächtigungsvorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 4 d ZG entspreche Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.

Die Voraussetzungen der Ermächtigungsvorschrift seien beim Erlaß der Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 erfüllt gewesen. Durch Entscheidung vom 8. Oktober 1969 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – Nr. 253/23 vom 9. Oktober 1969) habe die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) die Ansicht der Bundesregierung geteilt, daß Schwierigkeiten für die Landwirtschaft der Bundesrepublik vorlägen, die Schutzmaßnahmen nach Art. 226 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) rechtfertigten. Solche Schutzmaßnahmen habe die Kommission durch ihre Entscheidung erlaubt. Es sei nicht zu beanstanden, daß die Verordnung vom 10. Oktober 1969 im Bezug nur die Höhe der Ausgleichsabgabe auf Akte der Kommission der EWG verweise. Auch gegen die Rückwirkung der Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 bestünden keine Bedenken. Die Steuerpflichtigen seien durch die Verordnung der Bundesregierung vom 29. September 1969 (BGBl II 1969, 1937, BZBl 1969, 1224) seit dem 30. September 1969 davon unterrichtet gewesen, daß nach diesem Zeitpunkt bei der Einfuhr von Agrarwaren wegen der währungspolitischen Maßnahmen mit der Erhebung einer Ausgleichsabgabe habe gerechnet werden müssen. Es spiele keine Rolle, daß diese Verordnung die Ausgleichsabgabe auf Grund einer nicht zutreffenden Ermächtigungsvorschrift habe einführen wollen und sich auf nicht anwendbares EWG-Recht bezogen habe.

Für die Einfuhren nach dem 24. Oktober 1969 habe das ZA die Ausgleichsabgabe nach der Verordnung der Bundesregierung vom 3. November 1969 (BGBl II 1969, 2077, BZBl 1969, 1278) erhoben. Auch gegen die Rechtsgültigkeit dieser Verordnung und gegen die Verlängerung ihrer Gültigkeit bis zum 31. Dezember 1969 sei gemäß den vorstehenden Ausführungen nichts einzuwenden. Die Erhebung der Ausgleichsabgabe verstoße schließlich auch nicht gegen den Saarvertrag.

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision geltend:

Die Verordnung der Bundesregierung vom 29. September 1969 sei von Anfang an unwirksam gewesen, weil die Voraussetzungen der ihr zugrunde gelegten Ermächtigungsvorschriften des § 21 Abs. 2 Nr. 4 c ZG nicht vorgelegen hätten, die Kommission den Genehmigungsantrag der Bundesrepublik durch ihre Entscheidung vom 1. Oktober 1969 (ABlEG L Nr. 250/29 vom 4. Oktober 1969) weitgehend abgelehnt habe und die von der Kommission durch die Entscheidung vom 8. Oktober 1969 erteilte Genehmigung auf die Verordnung keinen rückwirkenden Einfluß gehabt habe.

Die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 sei nicht rückwirkend in Kraft getreten. Die in ihr erwähnten Höchstsätze seien erst am 10. Oktober 1969 von der Kommission beschlossen, am 11. Oktober 1969 im ABlEG veröffentlicht und am 16. Oktober 1969 im Bundesanzeiger (BAnz.) bekanntgegeben worden.

Deshalb hätten sie erst vom darauffolgenden Tage an gefordert werden können. Die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 sei unwirksam, weil ihr Inhalt nicht vollziehbar sei. Sie bezeichne weder die Höhe der Abgabe noch den Abgabenpflichtigen. Der Verordnungsgeber habe nicht auf bereits bestehende, sondern auf künftige europäische Normen verwiesen und damit die Willensentscheidung über die Höhe der Abgabensätze der Kommission der EWG übertragen. Das überrasche um so mehr, als die Kommission keine genau bestimmten Abgabensätze, sondern nur Höchstsätze habe anordnen wollen und deshalb der nationale Gesetzgeber in dem durch die Höchstsätze festgelegten Rahmen für den jeweiligen Einzelfall die maßgebende Abgabenhöhe habe auswählen sollen. Eine solche Entscheidung auf nationaler Ebene sei nicht getroffen worden. Die Bundesregierung habe das sich für sie aus der Ermächtigung ergebende Ermessen mißbraucht, indem sie sich von vornherein für die damals noch nicht bekannten Höchstsätze ausgesprochen habe, ohne zu prüfen, ob denn nicht auch niedrigere Sätze ausgereicht hätten.

Die Sätze der Ausgleichsabgabe hätten nicht dem durch die Verfassungsrechtsprechung (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 3. Mai 1966 1 BvF 1/61, BVerfGE 20, 150, 155) anerkannten und durch den Wortlaut des Art. 226 EWGV bestätigten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen, da sie erheblich über dem Aufwertungssatz von 8,5 % gelegen hätten. Der Saarvertrag (BGBl II 1956, 1587) sei gegenüber dem EWGV die speziellere Norm, da er von vornherein volle Zollfreiheit geboten habe. Er habe durch die Einschränkung der im Rahmen der EWG erreichten Zollfreiheit durch die Einführung einer Ausgleichsabgabe wieder Bedeutung gewonnen. Jedenfalls bestehe der Vorrang des Saarvertrages gegenüber der Ausgleichsabgabe, die auf die Schutzklausel des Art. 226 EWGV gestützt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt, das FG-Urteil und die mit der Klage angefochtenen Verwaltungsakte aufzuheben sowie den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Hauptzollamt – HZA –) zu verurteilen, den von ihr gezahlten Abgabengesamtbetrag von 18 641,37 DM zu erstatten.

Das HZA hat beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat nur zu einem geringen Teil Erfolg.

Die ursprüngliche Fassung des § 21 Abs. 2 Nr. 4 ZG gestattete der Bundesregierung, durch Rechtsverordnung anzuordnen, daß „für Waren zusätzlich Angleichungszollsätze angewendet werden”. In Verbindung mit § 21 Abs. 1 ZG bedeutete dies, daß die Bundesregierung neben den bereits im Zolltarif enthaltenen Zollsätzen weitere, der Angleichung im Rahmen des EWGV dienende Zollsätze bestimmen durfte. Die Ermächtigung betraf also nur die Höhe der Zollbelastung.

Durch Art. 1 Nr. 1 a des Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes vom 4. September 1962 (BGBl I 1962, 605, BZBl 1962, 817) wurde die Ermächtigung dahin geändert, daß „für Waren zusätzlich Ausgleichsabgaben in der Form von Angleichungszöllen erhoben werden”.

Das widerspricht nicht dem rechtsstaatlichen Grundsatz, daß die staatlichen Eingriffsmöglichkeiten in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Rechtssphäre des Bürgers der Gesetzgeber selbst abgrenzen muß und auf dem Gebiete des Abgabenrechts es nicht dem Verordnungsgeber überlassen darf, das für die Steuer Wesentliche zu bestimmen (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 5. März 1958 2 BvL 18/56, BVerfGE 7, 282, 302; vom 24. Januar 1962 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318, 328; vom 5. August 1966 1 BvF 1/61, BVerfGE 20, 150, 158). Denn die nach § 21 Abs. 7 ZG für Rechtsverordnungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 ZG entsprechend geltende Vorschrift des § 77 Abs. 7 ZG verlangt, daß die Rechtsverordnungen unverzüglich nach ihrer Verkündung dem Bundestag und dem Bundesrat mitzuteilen sind, und sieht vor, daß der Bundestag binnen vier Monaten nach ihrer Verkündung ihre Aufhebung herbeiführen kann. Durch diese Regelung hat der Gesetzgeber eine ausreichende parlamentarische Kontrolle über den Inhalt der Verordnungen sichergestellt. Auf den Umstand, daß er ohnehin zur Aufhebung von Verordnungen befugt ist, kommt es insoweit nicht an.

Es kann dahinstehen, ob die Verordnung der Bundesregierung vom 29. September 1969 der ihr zugrunde gelegten Ermächtigungsvorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 4 c ZG entsprochen hat. Denn die Verordnung ist jedenfalls vor dem 8. Oktober 1969, dem Tag, an dem die Klägerin den ersten Abfertigungsantrag stellte, wieder außer Kraft getreten. Sie konnte nach der Ermächtigungsvorschrift nur so lange gelten, als eine Entscheidung der Kommission der EWG über eine Änderung oder Aufhebung nicht vorlag.

Aus dem Beschluß des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) vom 5. Oktober 1969 Rs 50/69 R (EGHE 1969, XV, 449) geht hervor, daß die Bundesregierung durch ihren Antrag vom 30. September 1969 nicht nur die Kommission bat, nach Art. 226 Abs. 2 EWGV Maßnahmen zu genehmigen, wie sie durch die Verordnung vom 29. September 1969 unter Berufung auf den Dringlichkeitsfall des Art. 115 Abs. 2 EWGV eingeführt waren, sondern auch der Kommission diese Maßnahmen zur Genehmigung vorlegte. Die Kommission hat ihre Entscheidung vom 1. Oktober 1969 nicht nur auf Art. 226 EWGV, sondern in erster Linie auf den EWGV schlechthin gestützt und in ihren Gründen dargelegt, daß es sich um die Frage handelte, wie den Folgen der deutschen Währungsmaßnahmen durch Schutzmaßnahmen für die Landwirtschaft begegnet werden könne, und daß sich die entstandenen Schwierigkeiten durch die Einführung eines Systems von Abgaben und Subventionen im Handelsverkehr nicht hinreichend wirksam beheben ließen. Damit hat die Kommission bekundet, daß sie die Einführung einer Ausgleichsabgabe der in der Verordnung der Bundesregierung vom 29. September 1969 vorgesehenen Art mißbillige. Es kommt nicht darauf an, daß formell der Genehmigungsantrag auf Art. 226 EWGV gestützt wurde und demgemäß die Kommission ihre Entscheidung besonders auf diese Vorschrift bezog. Bedeutsam für die materielle Berechtigung der Ausgleichsabgabe kann nur sein, daß die Kommission in ihrer Entscheidung zu dem sachlichen Problem Stellung genommen hat und die von der Bundesregierung durch die Verordnung, vom 29. September 1969 eingeführte Maßnahme, eine Ausgleichsabgabe zu erheben, ausdrücklich mißbilligte. Die Kommissionsentscheidung vom 1. Oktober 1969 hatte somit diese Maßnahme im Sinne des Art. 115 Abs. 2 EWGV der Sache nach aufgehoben.

Das wird dadurch unterstrichen, daß über das auf Art. 115 Abs. 2 EWGV beruhende Begehren der Bundesregierung, die Maßnahmen zu genehmigen, eine gesonderte Entscheidung nicht mehr erging und die Bundesregierung selbst auf die Kommissionsentscheidung vom 1. Oktober 1969 hin ihre Verordnung vom 29. September 1969 als unwirksam betrachtete. Das letztere ergibt sich daraus, daß die Bundesregierung nach der Aufhebung der Kommissionsentscheidung vom 1. Oktober 1969 durch die weitere Kommissionsentscheidung vom 8. Oktober 1969 es für erforderlich hielt, die Erhebung einer Ausgleichsabgabe durch eine neue Verordnung vom 10. Oktober 1969 anzuordnen und zu bestimmen, daß diese rückwirkend zum 30. September 1969 in Kraft trete, also zu dem Zeitpunkt, in dem die Verordnung vom 29. September 1969 in Kraft getreten war. Es kommt hinzu, daß die Bundesregierung in der Rechtssache 50/69 R ihren Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Kommissionsentscheidung vom 1. Oktober 1969 mit der Auffassung begründete, der Vollzug dieser Entscheidung schaffe einen Zustand, der nicht wieder beseitigt werden könne.

Die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 ist nach Auffassung des Senats erst am 9. Oktober 1969 wirksam geworden. Ihre Wirksamkeit hing gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4 d ZG von dem Inkrafttreten der von der Kommission der EWG nach Art. 226 Abs. 2 EWGV getroffenen Entscheidung über die Höchstgrenze der Ausgleichsbeträge ab. Die Kommission hat in ihrer Entscheidung vom 8. Oktober 1969 zunächst nur die Ermächtigung der Bundesrepublik zur Erhebung von Ausgleichsbeträgen ausgesprochen und die Festsetzung der Höchstbeträge angekündigt (Art. 1). Diese Festsetzung hat sie erst durch ihre Entscheidung vom 10. Oktober 1969 vorgenommen, jedoch rückwirkend auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung vom 8. Oktober 1969 (Art. 3). Die Entscheidung der Kommission vom 8. Oktober 1969 ist erst im Laufe des 8. Oktober 1969 durch ihre Bekanntgabe gegenüber der Bundesrepublik gemäß Art. 191 Abs. 2 EWGV wirksam geworden. In entsprechender Anwendung des § 187 BGB konnte die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 erst am 9. Oktober 1969 in Kraft treten. Die Vorschrift ihres § 4 Abs. 1, daß sie mit Wirkung vom 30. September 1969 in Kraft tritt, ist also für die Zeit bis zum 8. Oktober 1969 rechtsunwirksam.

Es bestehen keine rechtsstaatlichen Bedenken dagegen, daß die am 11. Oktober 1969 verkündete Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 auf den 9. Oktober 1969 zurückwirkt. Der Gesetzgeber ist zwar nach der Rechtsprechung des BVerfG grundsätzlich nicht berechtigt, ein belastendes Steuergesetz rückwirkend in Kraft zu setzen. Das ergibt sich daraus, daß im Rechtsstaat der Bürger sich grundsätzlich darauf verlassen kann, daß der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände keine ungünstigeren Folgen knüpft als im Zeitpunkt der Vollendung dieser Tatbestände voraussehbar waren. Eine solche Rückwirkung ist ausnahmsweise zulässig, wenn das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig ist. Ob dieser, eine Rückwirkung rechtfertigende Grund vorliegt, läßt sich nur unter Würdigung aller Umstände der konkreten Regelung beurteilen (BVerfG-Entscheidung vom 20. Oktober 1971 1 BvR 757/66, BVerfGE 32, 111, 123).

Der Grund für die Erhebung einer Ausgleichsabgabe, wie sie die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 vorsieht, lag darin, daß die Deutsche Bundesbank Ende September 1969 am Kassamarkt die Intervention beim Ankauf von US-Dollars einstellte. Daraus entstand die Gefahr ernster Schwierigkeiten für die deutsche Landwirtschaft (vgl. § 1 Abs. 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 29. September 1969 sowie Abs. 1 und 2 der Gründe der Kommissionsentscheidung vom 1. Oktober 1969). Die sich mit der Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse befassenden Wirtschaftskreise mußten von der Verkündung der Verordnung der Bundesregierung vom 29. September 1969 am 30. September 1969 an erkennen, daß die Bundesregierung dieser Gefahr durch die Erhebung einer Ausgleichsabgabe im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 4 ZG begegnen wollte und auch begegnete. Der Umstand, daß die Kommission durch die Entscheidung vom 1. Oktober 1969 die Erhebung einer solchen Abgabe zunächst mißbilligte, gab den erwähnten Wirtschaftskreisen keine Gewißheit, daß die Bundesregierung ihre Absicht aufgegeben habe, zumal die Entscheidung eine Aussetzung der Einfuhr, also einen noch stärkeren Eingriff in den freien Warenverkehr genehmigte. Bei dieser Sachlage war vom 9. Oktober 1969 an ein Vertrauen der Importeure landwirtschaftlicher Erzeugnisse auf einen endgültigen Wegfall der Erhebung der Ausgleichsabgabe nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig.

Die der Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 zugrunde gelegte Ermächtigungsvorschrift des § 21 Abs. 2 Nr. 4 c ZG enthält zwar keine ausdrückliche Bestimmung, daß die Bundesregierung die Anordnung, Ausgleichsabgaben zu erheben, auch rückwirkend treffen darf. Eine solche Befugnis ergibt sich aber aus dem Wesen der durch die Ermächtigungsvorschrift erfaßten Schutzmaßnahmen im Sinne des Art. 226 Abs. 2 EWGV. Denn solche Schutzmaßnahmen erfüllen ihren Zweck nur dann, wenn sie schon mit dem Entstehen der durch sie zu bekämpfenden Schwierigkeiten wirksam werden. Die Möglichkeit, aus dem Wesen des Sachgebietes allein herzuleiten, daß der Verordnungsgeber auch zu rückwirkenden Regelungen ermächtigt ist, ergibt sich aus BVerfGE 32, 111.

Der Inhalt der Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 entspricht ebenfalls rechtsstaatlichen Erfordernissen, insbesondere dem Grundsatz der Normenklarheit, wonach sich aus einer Rechtsnorm ermitteln lassen muß, was sie von den Rechtsunterworfenen verlangt (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 16. Juli 1969 1 BvL 19/63, BVerfGE 27, 1, 8). In § 1 Abs. 1 der Verordnung ist der Kreis der Waren, für die eine Ausgleichsabgabe erhoben werden soll, so umschrieben, daß eine Abgrenzung den als Abgabenpflichtigen in Betracht kommenden Personen erkennbar ist. Die Vorschriften des § 1 Abs. 2 lassen auch einen bestimmten Willen des Verordnungsgebers über die Höhe der Abgabe erkennen. Der Umstand, daß in ihnen auf die Höchstsätze verwiesen ist, die die Kommission nach ihrer Entscheidung vom 8. Oktober 1969 noch festzusetzen hatte, wird durch den aus § 21 Abs. 2 Nr. 4 d ZG ersichtlichen Zusammenhang der Verordnung mit den EWG-Vorschriften gerechtfertigt. Für die Zeit vom 9. Oktober 1969 an war durch das rückwirkende Inkrafttreten der Kommissionsentscheidung vom 10. Oktober 1969 der Wille des Verordnungsgebers bekundet, die in dieser Entscheidung enthaltenen Höchstsätze anzuwenden. Die Vorschrift des § 1 Abs. 2 der Verordnung, daß die Ausgleichsabgabe nach den von der Kommission festzusetzenden Höchstsätzen erhoben werde, verstößt auch nicht gegen die Verpflichtung der Bundesregierung, bei dem Gebrauch der Ermächtigung des § 21 Abs. 2 Nr. 4 d ZG den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Zweck und Mittel zu wahren (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 12. November 1958 2 BvL 4, 26, 40/56 usw., BVerfGE 8, 274, 310). Die Übernahme der Höchstsätze aus der Kommissionsentscheidung in die nationale Regelung kann ihre Erklärung darin haben, daß die Kommission im Interesse der Gemeinschaft die Höchstsätze möglichst niedrig festgesetzt hat. Dafür spricht auch der Umstand, daß sie noch in ihrer Entscheidung vom 1. Oktober 1969 die Einführung eines Ausgleichsabgabensystems überhaupt abgelehnt hatte. Da die Bundesregierung nach § 21 Abs. 2 Nr. 4 d ZG nur an die von der Kommission nach Art. 226 Abs. 2 EWGV festgesetzten Höchstsätze gebunden war, kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht darauf an, ob die Ausgleichsabgabensätze dem Aufwertungssatz der DM entsprachen.

Der Senat hat keinen Anlaß, gemäß Art. 177 EWGV eine Vorabentscheidung des EGH über die Gültigkeit der Kommissionsentscheidung über Höchstsätze vom 10. Oktober 1969 herbeizuführen. Die Kommission war bei dieser Entscheidung nur an die Vorschriften des Art. 226 EWGV gebunden. Aus diesen kann keine Verpflichtung der Kommission entnommen werden, Höchstsätze nur im Rahmen des Aufwertungssatzes der DM festzusetzen.

Die Verordnung der Bundesregierung vom 3. November 1969 ist nach ihrem § 3 mit Wirkung vom 27. Oktober 1969 in Kraft getreten. Auch diese Rückwirkungsregelung ist unbedenklich. Die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 ist zwar schon am 26. Oktober 1969 wieder außer Kraft getreten, weil an diesem Tag die Bundesrepublik die Regeln wieder anwendete, die in den internationalen Abkommen über die Schwankungsbreiten der Wechselkurse festgelegt sind (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 und § 1 Abs. 2 der Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969, Art. 4 der Kommissionsentscheidung vom 10. Oktober 1969 sowie die Bekanntmachung des Bundesministers der Finanzen (BdF) vom 5. November 1969, BGBl II 1969, 2116, BZBl 1969, 1313), Da aber am 27. Oktober 1969 die DM aufgewertet wurde, war für die beteiligten Wirtschaftskreise erkennbar, daß weiterhin Schutzmaßnahmen für die deutsche Landwirtschaft in Betracht kamen, wie sie dann auch durch die Verordnung vom 3. November 1969 angeordnet wurden.

Von den 14 Sendungen unterlag somit nur die erste nicht den Vorschriften über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe. Als die Klägerin am 8. Oktober 1969 für die erste Sendung (Zollbeleg F II 178) den wirksamen Zollantrag stellte, galt die Verordnung der Bundesregierung vom 29. September 1969 nicht mehr und die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 noch nicht. Zur Zeit der Zollanträge für die übrigen Sendungen galt bereits die Verordnung der Bundesregierung vom 10. Oktober 1969 bzw. vom 3. November 1969. Für diese Sendungen widerspricht die Festsetzung einer Ausgleichsabgabe nicht dem Saarvertrag. Es kann dahinstehen, ob die in Art. 63 dieses Vertrages vorgesehene Zollfreiheit zur Zeit der für diese Einfuhren gestellten Zollanträge auf die Ausgleichsabgabe anwendbar war. Die Vertragsvorschriften selbst begründeten Rechte und Pflichten nur im Verhältnis zwischen den vertragschließenden Staaten. Rechtsansprüche des einzelnen auf zollfreie Einfuhr in dem durch Art. 63 des Vertrags bestimmten Rahmen konnten erst durch die zur Ausführung der Vertragsbestimmungen getroffenen nationalen Regelungen entstehen. Diese Ausführungsbestimmungen befinden sich in § 7 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Einführung des deutschen Rechts auf dem Gebiete der Steuern, Zölle und Finanzmonopole im Saarland vom 30. Juni 1959 (BGBl I 1959, 339, BZBl 1959, 366) i. d. F. des Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Finanzverwaltung, der Reichsabgabenordnung und anderer Steuergesetze vom 23. April 1963 (BGBl I 1963, 197, BZBl 1963, 340) und in der Kontingentswarenverordnung vom 8. August 1963 (BGBl I 1963, 634, BZBl 1963, 711). Nach § 1 dieser Verordnung hängt die durch § 7 Abs. 1 und 2 jenes Gesetzes gewährte Zollfreiheit davon ab, daß der Zollbeteiligte nach vorgeschriebenem Muster einen gültigen Kontingentschein und eine Erklärung des Einführers vorlegt, wonach die Waren zum Gebrauch, Verbrauch, zur Verarbeitung, zu einer Bearbeitung, die eine wesentliche Veränderung der Beschaffenheit bewirkt und wirtschaftlich sinnvoll ist, oder zum Absatz im Saarland bestimmt sind. Die Klägerin hat von den fünf letztgenannten Sendungen nur die durch den Bescheid Nr. F II 750 erfaßte mit einem Formblatt angemeldet, das für die zollfreie Einfuhr von Kontingentswaren nach der Kontingentswarenverordnung vom 8. August 1963 vorgesehen war. In den Spalten 21 und 22, die vorgedruckte Erklärungen für die Zollanmeldung und den Zollantrag bzw. die vorgedruckte Kontingentswarenerklärung enthalten, steht an der für die Unterschrift des Zollbeteiligten bzw. des Einführers vorgesehenen Stelle der vorgedruckte Firmenname der Klägerin. Die Spalte 21 ist handschriftlich ergänzt, insbesondere durch das Datum „5. November 1969”, und sie ist auch handschriftlich unterzeichnet. Die Spalte 22 enthält hingegen keine Unterschrift und ist von links unten nach rechts oben ganz durchgestrichen. Es fehlt somit die nach § 1 Abs. 1 der Kontingentswarenverordnung vom 8. August 1963 für die Zollfreiheit notwendige Kontingentswarenerklärung. Selbst wenn also die Zollfreiheit nach § 63 des Saarvertrages und § 7 Abs. 1 des Gesetzes vom 30. Juni 1959 auch für die Ausgleichsabgabe nach den Verordnungen der Bundesregierung vom 10. Oktober und 3. November 1969 in Betracht gekommen wäre, hätte sie der Klägerin nicht gewährt werden können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514811

BFHE 1974, 434

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