Entscheidungsstichwort (Thema)

Entscheidung ohne Gründe

 

Leitsatz (NV)

1. Weist das FG in den Gründen seines Urteils auf einen ,,Anhang" hin, dessen Inhalt dem Revisionskläger bei Beginn der Revisionsfrist weder bekannt noch zugänglich war, und ist der Anhang dem Urteil - versehentlich - nicht beigefügt worden, so ist das Urteil nicht mit Gründen versehen.

2. Für die Beurteilung, ob ein Urteil mit Gründen versehen ist, kommt es auf dessen Form an, in der es zugestellt worden ist.

 

Normenkette

FGO § 119 Nr. 6

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab: Die Klägerin mache zu Unrecht geltend, daß die der Bundesmonopolverwaltung in § 72 b BranntwMonG eingeräumte Ermächtigung gegen das Grundgesetz (GG) verstoße und in verfassungsmäßig geschützte Grundrechte der Klägerin eingreife. Insoweit werde auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom gleichen Tag in der Sache . . . Bezug genommen. Ein Abdruck der Entscheidungsgründe sei als Anhang beigefügt. Das FG hat die Revision zugelassen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin u. a., der in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils erwähnte Anhang sei diesem bei der Zustellung nicht beigefügt gewesen. An dem Rechtsstreit . . . vor dem FG sei sie - die Klägerin - auch nicht beteiligt gewesen. Eine einfache Kopie der S. 6 bis 12 des in diesem Rechtsstreit ergangenen Urteils habe der Senatsvorsitzende des FG einem ihrer Bevollmächtigten auf dessen fernmündlichen Hinweis auf das Fehlen des Anhangs hin formlos übersandt.

Die Klägerin beantragt u. a. die Aufhebung der Vorentscheidung.

Die Bundesmonopolverwaltung beantragt, die Revision zurückzuweisen. Zu dem Einwand der Klägerin, der Anhang sei dem angefochtenen Urteil nicht beigefügt gewesen, macht sie geltend, selbst wenn das richtig sei, könne daraus ein Revisionsgrund nicht hergeleitet werden. Die Pflicht zur Urteilsbegründung habe den Zweck, den Beteiligten eine Überprüfung der Entscheidungsgründe des Gerichts zu ermöglichen. Die Klägerin habe den Anhang letztendlich erhalten und damit von der Begründung des Urteils erfahren.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Vorentscheidung ist schon deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie nicht i. S. des § 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit Gründen versehen ist.

Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, daß dem angefochtenen Urteil bei der Zustellung der in dessen Begründung bezeichnete Anhang nicht beigefügt war. Nach einem Vermerk vom . . . in den Akten des FG hat einer der Bevollmächtigten der Vorinstanz am . . ., dem Tag der Zustellung der angefochtenen Entscheidung, beim FG fernmündlich darauf hingewiesen, daß der Anhang dem angefochtenen Urteil nicht beigefügt gewesen sei. Dem Vermerk ist außerdem zu entnehmen, daß dem Bevollmächtigten eine Übersendung der Gründe des Urteils des FG in dem Rechtsstreit . . . zugesagt und die Übersendung auch angeordnet worden ist. Den Akten des FG kann nicht entnommen werden, daß der Anhang dem angefochtenen Urteil tatsächlich beigefügt war. Auch dem Schreiben des FG, mit dem die Revision nebst Akten nach § 120 Abs. 3 FGO dem Bundesfinanzhof (BFH) vorgelegt worden ist, war ein Abdruck des angefochtenen Urteils ohne den darin bezeichneten Anhang beigefügt.

Das ohne diesen Anhang zugestellte Urteil muß bei der Entscheidung über die Revision als ,,nicht mit Gründen versehen" i. S. des § 119 Nr. 6 FGO angesehen werden. Das FG hat durch den Hinweis auf diesen Anhang auf eine Urkunde verwiesen, deren Inhalt der Klägerin bei Beginn der Revisionsfrist weder bekannt noch zugänglich war. Das ist nicht zulässig und verstößt zumindest dann gegen § 119 Nr. 6 FGO, wenn durch den Hinweis die Gründe des Urteils hinsichtlich eines wesentlichen Streitpunkts ersetzt werden und wenn der Hinweis Ausführungen in einer Entscheidung betrifft, die nicht zwischen den Beteiligten des Revisionsverfahrens ergangen ist (vgl. Urteile des BFH vom 28. März 1984 I R 117/83, BFHE 141, 206, 208, BStBl II 1984, 666; vom 3. März 1970 VII R 43/68, BFHE 98, 525, BStBl II 1970, 494, und vom 10. April 1984 VIII R 229/83, BFHE 141, 113, 115, BStBl II 1984, 591).

Bei der Beurteilung, ob die angefochtene Entscheidung i. S. des § 119 Nr. 6 FGO mit Gründen versehen ist, kann nicht berücksichtigt werden, daß die Ausführungen, auf die in dem angefochtenen Urteil verwiesen worden ist, der Klägerin nachträglich nach Zustellung des angefochtenen Urteils zugänglich gemacht worden sind. Für diese Beurteilung kommt es darauf an, daß das angefochtene Urteil in der Form, in der es zugestellt worden ist, mit Gründen versehen war. Durch § 119 Nr. 6 FGO soll verhindert werden, daß der von der Entscheidung Betroffene im Zeitpunkt der Zustellung, der für den Beginn der Revisionsfrist maßgebend ist, in seiner Entscheidung, ob Revision eingelegt werden soll, beeinträchtigt ist (vgl. BFHE 141, 206, 208, BStBl II 1984, 666). Er soll schon von der Zustellung der Entscheidung und damit vom regelmäßigen Beginn der Revisionsfrist an der Zwangslage entzogen sein, seine Überlegungen zur Einlegung der Revision ohne Kenntnis der Entscheidungsgründe in allen vom Gericht für wesentlich erachteten Punkten anstellen zu müssen (vgl. BFHE 98, 525, 527, BStBl II 1970, 494).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415661

BFH/NV 1989, 31

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