Leitsatz (amtlich)

Eine Aufrechnung, wie sie § 124 AO gegenüber Steueransprüchen zuläßt, ist gegenüber anderen auf den Steuergesetzen beruhenden Ansprüchen nicht gegeben.

 

Normenkette

AO §§ 124, 307 a. F, § 324 a. F; BGB § 395; BeitrO § 33 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gegen eine Kostenforderung des Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) aufrechnen konnte. Mit Kostenfestsetzungsbescheid setzte das FA in der Rechtsmittelsache wegen Anteilsbewertung die von der Klägerin zu entrichtenden Kosten fest. Gegen diese Kostenforderung erklärte die Klägerin die Aufrechnung.

Das FA lehnte die Aufrechnung als unzulässig ab, begehrte die Zahlung der Kosten und drohte die Vollstrekkung an. Es vollstreckte schließlich Ende Mai 1965, nachdem die OFD die Beschwerde gegen die Ablehnung des FA zurückgewiesen hatte, in eine Mietforderung der Klägerin.

Das FG wies die Klage als unbegründet ab.

Mit ihrer Revision beantragt die Klägerin,

1. die Vorentscheidung und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben, ...

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Die Rechtsmittelkosten, gegen die die Klägerin aufrechnen will, sind vor dem Inkrafttreten der Finanzgerichtsordnung am 1. Januar 1966 entsprechend den damals geltenden Vorschriften der §§ 307, 324 AO a. F. durch das FA festgesetzt worden. Das FG hat diesen Kostenanspruch zu den Steueransprüchen i. S. des § 124 AO gerechnet, der eine Aufrechnung gegen Steueransprüche mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen zuläßt. Es hat daher die Zulässigkeit der Aufrechnung gegen den Kostenanspruch nur deshalb verneint, weil die Gegenforderungen weder unbestritten noch rechtskräftig festgestellt waren.

Der Senat vermag dieser Rechtsauffassung nicht zu folgen. Nach dem klaren Wortlaut des § 124 AO können unter Steueransprüchen keine anderen Ansprüche verstanden werden als solche, die sich auf Steuern i. S. des § 1 AO richten. Das geht auch daraus hervor, daß die Reichsabgabenordnung dort, wo sie für andere Ansprüche die gleiche Behandlung vorsieht wie für Steueransprüche, erstere neben den Steueransprüchen erwähnt (vgl. §§ 109 Abs. 1, 123, 127 Abs. 1, 130, 131, 144 AO) oder das Gesetz die Leistungen als Zuschlag zur Steuer (§ 168 Abs. 2 AO) oder als Nebenleistungen der Steuer (§ 6 Abs. 2 StSäumG, § 342 AO) bezeichnet und zum Teil auch noch die für die Steuern geltenden Vorschriften für entsprechend anwendbar erklärt (§ 6 Abs. 2 Satz 2 StSäumG). Aus § 124 AO kann daher nicht entnommen werden, daß auch gegen andere Ansprüche auf Grund der Steuergesetze in dem in dieser Vorschrift bestimmten Umfange aufgerechnet werden kann.

Daß § 124 AO eine Aufrechnung nur gegen Steueransprüche und die ihnen gleichgestellten Ansprüche zuläßt, hat auch seinen guten Sinn. Dem Steuerschuldner kann nicht zugemutet werden, daß er Steuern, die ihn immerhin wesentlich belasten, durch Zahlung tilgen muß, obgleich er einwandfreie Gegenforderungen hat; auf der anderen Seite darf der Steuergläubiger nicht der Gefahr ausgesetzt werden, daß das Aufkommen an öffentlichen Einnahmen durch die Geltendmachung nicht hinreichend feststehender Gegenforderungen beeinträchtigt wird.

Schließlich spricht für eine enge Auslegung des § 124 AO auch dessen Entstehungsgeschichte. Aus ihr ergibt sich, daß der Entwurf der Reichsabgabenordnung keine Bestimmung über die Aufrechnung enthielt und diese damit überhaupt ausschließen wollte, der Gesetzgeber dann aber eine Ausnahme für unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Gegenansprüche zugelassen hat. (vgl. Becker, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 7. Aufl. 1930, Bem. 1 zu § 103 AO a. F.).

Es war jedoch zu prüfen, ob die Zulässigkeit einer Aufrechnung gegen andere sich aus den Steuergesetzen ergebende Ansprüche aus einer anderen Norm entnommen werden kann. Eine Vorschrift, daß mit öffentlichrechtlichen Ansprüchen oder gegen solche oder mit privat-rechtlichen Ansprüchen oder gegen solche unbeschränkt oder nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgerechnet werden könne, ist nicht vorhanden. Daß eine Aufrechnung gegen öffentlich-rechtliche Ansprüche oder mit solchen allgemein zulässig sei, kann auch nicht aus den Vorschriften des BGB über die Aufrechnung (§§ 387 ff.) entnommen werden. Wenn § 395 BGB besagt, daß gegen Forderungen der öffentlichen Hand die Aufrechnung nur zulässig ist, wenn die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu berichtigen ist, so schränkt er damit die Aufrechnung gegen die Forderungen der öffentlichen land ohne Rücksicht auf die privat-rechtliche oder öffentlich-rechtliche Natur der beiderseitigen Forderungen in dem genannten Umfang ein, doch kann ihm deshalb nicht die weitreichende Bedeutung zukommen, daß damit auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts im übrigen eine Aufrechnung, sofern sie nicht besonders ausgeschlossen ist, allgemein zulässig sei.

Eine Aufrechnung ist auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Daher wird die Möglichkeit einer Aufrechnung in verschiedenen Fällen angenommen (Urteil des BVerwG vom 9. Oktober 1959 VII C 53/58, Deutsches Verwaltungsblatt 1960 S. 36; BFH-Urteil vom 26. Oktober 1965 VII 310/64 S, BFHE 83, 607, BStBl III 1965, 719; BGH-Urteil vom 11. Januar 1955 I ZR 106/53, BGHE 16, 124; Forsthoff, Verwaltungsrecht 9. Aufl., § 14, 2 a, S. 272 f.; H.-J. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 44 III e 2).

Bei dieser Lage kann die Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung nicht ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des einzelnen öffentlich-rechtlichen Teilgebiets und der Eigenart der verschiedenen Ansprüche beantwortet werden. So ist kein stichhaltiger Grund ersichtlich, warum dem Steuergläubiger eine Aufrechnung mit Steueransprüchen verwehrt sein sollte, die in einem gesetzlich geregelten Verfahren durch sachkundige und an das Gesetz gebundene Behörden festgesetzt worden sind, so daß die Gefahr der Fehlerhaftigkeit verhältnismäßig gering ist. Dazu kommt das öffentliche Interesse daran, daß eine Aufrechnung schneller die Tilgung der Schuld herbeiführt als eine u. U. zu erzwingende Zahlung, mitunter sogar nur eine Aufrechnung zu der sonst nicht möglichen Einziehung führt. Insofern gilt das gleiche für andere auf Grund der Steuergesetze bestehende Forderungen. Für die Zulässigkeit dieser Aufrechnung spricht auch, daß durch die Einlegung eines Rechtsbehelfs insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten wird (§ 242 Abs. 1 AO, § 69 Abs. 1 FGO, § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, der neben den öffentlichen Abgaben die Kosten nennt). Wenn demnach die Anfechtung einer Steuerfestsetzung der Erhebung nicht im Wege steht, der Gesetzgeber also das öffentliche Interesse an der Hereinholung der Forderung anerkennt, so wäre es damit nicht vereinbar, die Aufrechnung als Möglichkeit, baldige Erfüllung zu erlangen, auszuschließen. Die Gründe, die für eine Aufrechnung durch die öffentliche Hand sprechen, fallen auf der anderen Seite gegen die Aufrechnung durch den Schuldner steuerlicher Ansprüche ins Gewicht; insbesondere ist zu bedenken, daß seine Behauptung eines Gegenanspruches nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit ihrer Richtigkeit hat wie die Festsetzung durch die öffentliche Hand. Bedenken gegen eine Aufrechnung scheiden nur dann aus, wenn er unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Gegenforderungen hat. Daher brauchte der Gesetzgeber es nicht zu scheuen, ihm insoweit in § 124 AO eine Aufrechnung zuzugestehen. Es erscheint aber nicht möglich, aus der in § 124 AO enthaltenen Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit gegenüber Steueransprüchen etwa zu entnehmen, daß gegenüber anderen sich aus den Steuergesetzen ergebenden Ansprüchen eine Aufrechnung ohne Einschränkung gegeben sei. Eine derartige Auslegung könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn § 124 AO etwa lautete: "Gegen Steueransprüche kann der Steuerpflichtige nur ... aufrechnen." Der geltende Wortlaut und die oben erwähnte Entstehungsgeschichte der Vorschrift schließen aber eine solche Auslegung aus. Gegen die Zulassung einer Aufrechnung gegen andere auf Steuergesetzen beruhende Ansprüche spricht im übrigen, daß sonst auch gegen Ansprüche nicht nur auf Säumniszuschläge (§ 1 StSäumG) und Kosten für Rechtsbehelfe (§§ 307 ff. AO a. F., §§ 250 ff. AO), sondern auch auf Erzwingungsgelder (§ 202 AO), Sicherungsgelder (§ 203 AO), ja Bußgelder (§§ 403 ff. AO) aufgerechnet werden könnte, und zwar ohne die besonderen Voraussetzungen, wie sie § 124 AO vorsieht. Eine solche Folgerung hält der Senat ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage nicht für möglich.

Wenn § 33 Abs. 1 BeitrO eine Aufrechnung des Vollstreckungsschuldners gegen Zinsen und Kosten unter den gleichen Voraussetzungen wie bei Steueransprüchen vorsieht, so sind damit die Kosten der Beitreibung, nicht aber die Kosten für ein Rechtsbehelfsverfahren gemeint. Die Reichsabgabenordnung unterscheidet zwischen beiden Arten von Kosten und sieht in § 342 Abs. 1 AO den Anspruch auf die Kosten als Nebenanspruch zum Steueranspruch an. Dagegen ist hinsichtlich der Kosten für ein Rechtsbehelfsverfahren (§§ 250 ff. AO) nichts über eine Beziehung zum streitigen Steueranspruch gesagt. Im übrigen ist § 33 BeitrO keine Rechtsvorschrift, sondern eine Verwaltungsanordnung. Sie räumt daher dem Kostenschuldner kein Recht ein, sondern gibt nur der Verwaltung die Befugnis, eine Verrechnung der gegenseitigen Ansprüche vorzunehmen.

Nach dem Vorstehenden hat das FG im Ergebnis zutreffend die von der Klägerin erklärte Aufrechnung als nicht zulässig und damit nicht wirksam angesehen.

Da auch die anderen Anträge nicht begründet sind, war die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70477

BStBl II 1973, 602

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