Leitsatz (amtlich)

1. In einem vor dem 1. Januar 1966 ergangenen FG-Urteil mußten alle Tatsachen, welche erforderlich sind, die Richtigkeit der festgesetzten Steuer zu erweisen (BFH 92, 416), zumindest dann festgestellt werden, wenn das FG den Steuerbescheid zum Nachteil des Klägers (§ 243 Abs. 3 AO a. F.) änderte.

2. Ist der Witwe eine Rente bestimmter Höhe vermacht, sollte aber nach der letztwilligen Verfügung mindestens ihr standesgemäßer Lebensunterhalt gesichert sein, so ist, wenn sich die Lebensverhältnisse seit Errichtung der letztwilligen Verfügung geändert haben und sich der Erbe deshalb alsbald nach dem Erbfall zur Zahlung einer höheren Rente verpflichtet, die nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten im Zeitpunkt des Erbfalls standesgemäß ist, die vereinbarte Rente als Nachlaßverbindlichkeit des Erben anzuerkennen.

 

Normenkette

AO a.F. § 243 Abs. 3, § 258 Abs. 1 S. 1; FGO §§ 40, 100 Abs. 1, § 110 Abs. 1, § 118 Abs. 2; ErbStG 1951 § 23; ErbStG 1959 § 24

 

Tatbestand

Mitte des Jahres hatten der Adoptivvater des Klägers (Erblasser), dessen Ehefrau und der Kläger zu notariellem Protokoll erklärt, daß die Frau auf das Erbrecht nach ihrem Manne verzichte, dieser den Kläger zu seinem Erben einsetze und der Frau folgendes vermache:

a) Eine lebenslängliche, im voraus am ersten Kalendertag jeden Monats zahlbare Rente von 1 000 DM, mindestens aber in Höhe des Höchstgehalts eines Landgerichtsdirektors; diese Rente solle "in jedem Falle ausreichen, um der Vermächtnisnehmerin einen angemessenen standesgemäßen Lebensunterhalt unter allen Umständen zu gewährleisten"; reiche dazu der Rentenbetrag nicht aus, habe die Vermächtnisnehmerin "das Recht, eine Erhöhung ihrer Bezüge zu verlangen insoweit, daß ihr standesgemäßer Lebensunterhalt nach allen Richtungen hin gesichert ist".

b) Freie Benutzung der Einrichtung der ehelichen Wohnung.

c) Freie Wohnung nebst Licht, Brand und Wasser.

Der Erblasser ist im Jahr 1954 verstorben. Sein Nachlaß bestand im wesentlichen aus seinem Anteil an dem Betriebsvermögen einer Kommanditgesellschaft, der ein Fabrikunternehmen gehörte; näheres ist nicht festgestellt.

Einen Monat nach dem Todesfall vereinbarten Kläger und Witwe, diese solle eine monatliche Rente von 1 000 DM, steigerungsfähig mit dem Höchstgehalt eines Landgerichtsdirektors sowie zweimal im Jahre je weitere 1 000 DM erhalten; die auf diese Beträge entfallenden Steuern solle der Kläger übernehmen. Die beiden jährlichen Sonderzahlungen und die Übernahme der Steuern sollten bei Ertragslosigkeit des Unternehmens entfallen.

Das FG hat den Steuerbescheid zum Nachteil des Klägers geändert. Es anerkennt die Rentenlast entgegen der Einspruchsentscheidung nur in Höhe monatlicher Bezüge von brutto jährlich 12 472 DM, welche ab 1. Juni 1954 einem Landgerichtsdirektor am maßgebenden Ort als Höchstgehalt zustanden. In der Übernahme der Steuern sieht es eine außerhalb der Nachlaßverpflichtungen liegende freiwillige Leistung des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision des Klägers ist begründet. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Änderung des angefochtenen Bescheids zum Nachteil des Klägers war unter dem damaligen Recht zulässig (§ 243 Abs. 3 AO a. F.). Zumindest zufolge dieser Änderung war aber das FG verpflichtet, alle Tatsachen festzustellen (§ 258 Abs. 1 Satz 1 AO a. F.), welche erforderlich sind, die Richtigkeit der festgesetzten Steuer zu erweisen (vgl. Urteile I 406, 421/61 vom 11. November 1964, HFR 1965, 178; III 46/62 vom 22. April 1966, BFH 86, 219 [223 f.]; II R 36/67 vom 5. März 1968, BFH 92, 416, BStBl II 1968, 610; II 159/65 vom 29. Oktober 1968, BFH 94, 148 [154 f.]). Angesichts der Zurückverweisung ist noch zu vermerken, daß nach der in dem Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967 (BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344) geäußerten Ansicht auch nach dem geltenden Recht Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren nicht das einzelne (umstrittene) Besteuerungsmerkmal, sondern - in den Grenzen des Klagebegehrens (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) - die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids ist (§§ 40, 100 Abs. 1 FGO), und daß gemäß § 110 Abs. 1 FGO Urteile insoweit der materiellen Rechtskraft fähig sind (formell rechtskräftige Urteile binden), "als über den Streitgegenstand entschieden worden ist".

Tatsächliche Feststellungen über den Bestand des Nachlasses, insbesondere über die Beteiligung am Betriebsvermögen und über dieses selbst, fehlen. Damit fehlt auch eine tatsächliche Grundlage für die Rechtsausführungen über die Ausfuhrförderungsrücklage. Zu den diesbezüglichen abstrakten Darlegungen kann der BFH nicht Stellung nehmen.

Die Dauerrente im Ausgangsbetrag von 1 000 DM monatlich hat das FG nur im Monatsbetrag von brutto 1 039,33 DM zugebilligt, dem Höchstgehalt, das einem Landgerichtsdirektor ab 1. Juni 1954 zustand. Diese Berechnung berücksichtigt zwar die ersten beiden Absätze des einschlägigen Abschnitts der letztwilligen Verfügung; sie setzt sich aber nicht mit der Gesamtaussage dieses Abschnitts auseinander und verletzt dadurch §§ 133, 157, 2156, 315 BGB.

Die letztwillige Verfügung ist Mitte des Jahres 1949 errichtet worden, also ein Jahr nach der Währungsreform. Es ist nicht auszuschließen, sondern liegt im Gegenteil nahe, daß die Versorgungsklauseln des Testaments stark von den Eindrücken der Währungsreform beeinflußt waren, und daß zu diesen Eindrücken auch der eines Wertbestandes richterlicher Dienstbezüge gehörte. Ob diese Erwartung bis zum Zeitpunkt des Erbfalles zutraf, kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls hat sich der Erblasser nicht damit begnügt, die Witwenrente von mindestens 1 000 DM zu den damals noch niedereren Dienstbezügen eines Landgerichtsdirektors in Beziehung zu setzen (wobei schon hier nicht nur ein reiner Zahlenvergleich angestellt, sondern der Begünstigungswille durch die unklare Formel hervorgehoben ist: "-, wenn das Höchstgehalt den Betrag von eintausend Deutsche Mark nach irgend einer Richtung hin wirtschaftlich übersteigt"). Der Erblasser hat vielmehr nach dieser Alternativklausel zusätzlich verfügt, daß die vorgenannte Rente - also mindestens 1 000 DM und mindestens das Höchstgehalt eines Landgerichtsdirektors - ausreichen müsse, um der Vermächtnisnehmerin "einen angemessenen standesgemäßen Lebensunterhalt unter allen Umständen zu gewährleisten" und daß sie andernfalls eine Erhöhung der Bezüge verlangen könne, damit "ihr standesgemäßer Lebensunterhalt nach allen Richtungen hin gesichert ist".

Folglich wird zunächst der tatrichterlichen Würdigung unterzogen werden müssen, ob der Erblasser nicht eine unter den Gesichtspunkten eines Industriellen gesehen "angemessene standesgemäße" Versorgung seiner - auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichtenden - Witwe gewollt und dabei nur mangels eines anderen variablen Maßstabs an die Bezüge eines Landgerichtsdirektors angeknüpft hat. Sie sollte auf alle Fälle besser stehen als dieser; denn ihr war auch die freie Wohnung nebst Inventarnutzung, Licht, Brand und Wasser vermacht.

Ein entsprechendes Ergebnis der tatsächlichen Prüfung vorausgesetzt kommt es also darauf an, was vom Zeitpunkt des Erbfalles an auf die Zukunft gesehen zum angemessenen standesmäßigen Lebensunterhalt der Witwe gehörte. Dazu ist zu bedenken, daß in der Zeit zwischen 1949 und 1954 sich die Einkommensverhältnisse der Industriellen und die der Richter nicht gleichmäßig entwickelt haben, und daß sich in den Kreisen der Industrie einerseits, der Beamten und Richter andererseits unterschiedliche Auffassungen über eine standesgemäße Lebensführung herausgebildet haben können. Maßgebend sind indessen unter der vorerwähnten Prämisse die Auffassungen, die im Kreise der Beteiligten herrschen, und nicht die der im Staatsdienst Tätigen. Dazu kommt, daß der Kläger der Witwe gegenüber, welche auf ihr Erbe verzichtet hatte, nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu einer großzügigen Auslegung des Begriffs des Standesgemäßen verpflichtet sein konnte; da umgekehrt die Witwe nichts Unbilliges verlangen durfte, erweist die vertraglich vereinbarte Kürzung bei Gewinnlosigkeit des Unternehmens nicht, daß die Vereinbarung der zusätzlichen Bezüge außerhalb der testamentarischen Verpflichtungen gelegen hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69037

BStBl II 1970, 543

BFHE 1970, 130

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