Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufklärungspflicht bei Überprüfung des Vollmachtsnachweises

 

Leitsatz (NV)

Muß unter den gegebenen Umständen damit gerechnet werden, daß die Prozeßvollmacht eines Beteiligten beim FG rechtzeitig eingegangen, jedoch nicht in den für dieses Verfahren angelegten Akten abgeheftet worden ist, so muß der für die Entscheidung zuständige Senat des FG nach dem Verbleib der Prozeßvollmacht forschen; er darf die Klage nicht wegen fehlenden Vollmachtsnachweises als unzulässig abweisen.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 2 S. 2, § 76 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde im finanzgerichtlichen Verfahren wegen Einkommensteuer 1986 durch den Steuerberater X vertreten. Da dem Finanzgericht (FG) keine Prozeßvollmacht vorlag, setzte der Berichterstatter dem Prozeßvertreter für die Einreichung der Vollmacht eine Frist bis zum 4. März 1988. Die Vollmacht gelangte bis zu dem genannten Zeitpunkt nicht in die für diesen Rechtsstreit angelegten Gerichtsakten (Az. VI 7048/87). Das FG wies deshalb die Klage als unzulässig ab.

Nach Erlaß des FG-Urteils stellte sich heraus, daß die Prozeßvollmacht bereits am 3. Februar 1988 beim FG eingegangen und in einer anderen Gerichtsakte (Az. II 912/88 E) abgeheftet worden war.

Mit seiner - vom FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen - Revision rügt der Kläger mangelnde Sachaufklärung.

Er beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) erklärt, keinen Antrag stellen zu wollen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG, da das FG den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt hat und seine Entscheidung auf diesem Mangel beruht.

Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Diese Sachaufklärungspflicht bedeutet, daß das FG gehalten ist, erforderlichenfalls unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel, den Sachverhalt so vollständig wie möglich aufzuklären (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. September 1983 II R 178/79, BFH/NV 1986, 176). Dieser Pflicht ist das FG im Streitfall nicht in genügendem Maße nachgekommen.

Der Prozeßvertreter des Klägers hatte bereits vor der mündlichen Verhandlung vor dem FG durch Vorlage einer mit dem Abgangsvermerk vom 3. Februar 1988 versehenen Fotokopie der Prozeßvollmacht (vom 3. November 1987) sowie durch Fotokopie eines Auszugs aus dem von ihm geführten Postausgangsbuch nachgewiesen, daß die Prozeßvollmacht zu dem genannten Zeitpunkt an das FG abgesandt worden war; gleichzeitig hatte er auf die Möglichkeit hingewiesen, daß beim FG ,,ein Büroversehen entstanden ist". Bei dieser Sachlage mußte damit gerechnet werden, daß die Prozeßvollmacht beim FG rechtzeitig eingegangen, aber nicht in den für dieses Verfahren angelegten Akten abgeheftet worden ist. Um seiner Sachaufklärungspflicht in hinreichendem Maße zu genügen, hätte das FG nach dem Verbleib der Prozeßvollmacht forschen müssen. Nach Auffinden der - irrtümlich in einer anderen Gerichtsakte abgehefteten - Vollmacht hätte es dann - anstatt die Klage wegen fehlendem Vollmachtsnachweises als unzulässig abzuweisen - zur Sache selbst entscheiden können.

Da es für eine Sachentscheidung noch an den erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt, muß die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416149

BFH/NV 1989, 522

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