Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung; Vollständigkeit einer Rechtsmittelbelehrung

 

Leitsatz (NV)

1. Die Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß bleibt auch nach Beendigung der Instanz durch die Entscheidung des Finanzgerichts zur Hauptsache zulässig.

2. Können sich für einen Prozeßbevollmächtigten aus der Fassung der Rechtsmittelbelehrung keine Zweifel hinsichtlich des für die Einlegung des Rechtsmittels zuständigen Finanzgerichts und dessen Sitz ergeben, greift die nur ausnahmsweise vom Gesetz bei unrichtiger oder fehlender Rechtsmittelbelehrung eröffnete Jahresfrist nicht ein.

 

Normenkette

FGO § 46 Abs. 2, § 51 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 1, § 56 Abs. 1, § 105 Abs. 2 Nr. 6, § 113 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 132; ZPO § 574

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Erben nach der 1975 verstorbenen A. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) stellte für die Miterben für das Jahr 1988 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und im Schätzungswege aus Kapitalvermögen einheitlich und gesondert fest. Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die von Steuerberater B namens der Kläger erhobene Klage gegen den Feststellungsbescheid für das Streitjahr 1988 nach Ablauf einer gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gesetzten Ausschlußfrist wegen fehlender Prozeßvollmacht als unzulässig ab.

Das FG wies außerdem einen gegen den Berichterstatter, Richter am Finanzgericht C, gestellten Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit mit Beschluß vom 28. Oktober 1993 als unbegründet zurück.

Den ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28. Oktober 1993 verkündeten Beschluß stellte das FG außerdem mit Postzustellungsurkunde sowohl Steuerberater B als auch fünffach an die Klägerin zu 1, zugleich als Vertreterin der weiteren Miterben, zu.

Der Beschluß enthält unterhalb des Tenors eine maschinenschriftliche Rechtsmittelbelehrung, wonach u. a. gegen diesen Beschluß innerhalb von zwei Wochen nach der Bekanntgabe die Beschwerde beim FG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werden könne. Hinter dem Wort "Finanzgericht" ist eine 1) angebracht. Am Schluß der ersten Seite des Vordrucks ist außerdem die vollständige Anschrift des FG ... aufgeführt.

In dem ausweislich der Postzustellungsurkunde gemeinsam mit dem vorgenannten Beschluß zugestellten Urteil des FG vom gleichen Tage ist in der vorgedruckten Rechtsmittelbelehrung sowohl jeweils hinter dem Wort "Finanzgericht" eine hochgestellte 1) als auch am Schluß der ersten Vordruckseite vor der Anschrift des FG ... eine 1) enthalten.

Mit der namens der Kläger am 30. Dezember 1993 fristgerecht eingelegten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision, welcher das FG nicht abgeholfen hat, machten die Kläger Verfahrensrügen geltend.

Mit Telefax vom 9. Mai 1994 erhob der Prozeßbevollmächtigte namens der Kläger Beschwerde gegen den die Richterablehnung betreffenden Beschluß des FG vom 28. Oktober 1993, welcher das FG ebenfalls nicht abgeholfen hat. Er trägt vor, in der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 1993 habe er ausweislich der Sitzungsniederschrift gerügt, daß die angebliche dienstliche Erklärung des abgelehnten Richters am FG C weder datiert noch von diesem unterschrieben worden sei. Aufgenommen worden sei sie jedenfalls vom Vorsitzenden Richter ohne Beglaubigung oder einen Hinweis auf die Abgabe durch Richter am FG C. Der abgelehnte Richter habe die angebliche Erklärung somit nicht selber verfaßt, möglicherweise sogar nicht abgegeben. Nicht ausgeschlossen sei, daß alles nur Sache des Vorsitzenden Richters gewesen sei. Das Gericht führe im angefochtenen Beschluß aus, die dienstliche Äußerung könne auch mündlich abgegeben werden, wenn sie aktenkundig gemacht werde. Damit suggeriere das Gericht, es hätte eine ordnungsgemäße mündliche Verhandlung vor Ergehen dieses Beschlusses stattgefunden. Nach dem Protokoll sei die mündliche Verhandlung bezüglich des Feststellungsbescheides 1988 indessen immer wieder unterbrochen worden ohne einen Hinweis, daß bezüglich der Richterablehnung verhandelt werde. Eine mündliche Verhandlung über ein Ablehnungsgesuch sei überdies in der Praxis unüblich.

Während nach dem angefochtenen Beschluß der Vorsitzende Richter die Er klärung des abgelehnten Richters am FG C verlesen und in Kopie dem Prozeßbevollmächtigten ausgehändigt habe, führe das Protokoll aus, daß der Vorsitzende Richter die Erklärung selbst geschrieben habe. Erst auf entsprechende Einwendungen in der mündlichen Verhandlung sei der Sachverhalt im Beschluß dargestellt worden. Deshalb werde die Einvernahme des Vorsitzenden Richters und des abgelehnten Richters am FG C zu den verworrenen Verhältnissen bezüglich der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richers beantragt.

Die Rechtsmittelfrist für die Beschwerde sei nicht abgelaufen, weil die im angefochtenen Beschluß beigefügte Rechtsmittelbelehrung nicht darauf hinweise, bei welchem FG eine Beschwerde einzulegen sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig und war deshalb zu verwerfen (§ 132 FGO, § 155 FGO i. V. m. § 574 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --).

Die Beschwerde ist verspätet eingelegt worden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der zweiwöchigen Beschwerdefrist (§ 129 Abs. 1 FGO) sind nicht geltend gemacht worden, noch bestehen sie nach Aktenlage.

1. Die nach § 51 Abs. 1 FGO, § 46 Abs. 2 ZPO statthafte -- einfache -- Beschwerde gegen den Beschluß bleibt trotz Beendigung der Instanz durch die Entscheidung des FG zur Hauptsache zulässig (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217, 220, 221; Beschluß des erkennenden Senats vom 21. Juni 1994 VIII B 5/93, BFHE 174, 310, BStBl II 1994, 681).

2. Im Streitfall ist keine Jahresfrist für die Einlegung der Beschwerde wegen einer unrichtigen oder unvollständigen Rechtsmittelbelehrung nach § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO eröffnet worden.

Gemäß § 113 Abs. 1 i. V. m. § 105 Abs. 2 Nr. 6 FGO ist einem anfechtbaren Beschluß eine Rechtsmittelbelehrung beizufügen. Deren Mindestinhalt richtet sich gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 FGO nach dessen Absatz 1 Satz 1. Danach ist der Berechtigte u. a. über das Gericht, bei dem das Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung einzulegen ist und dessen Sitz zu belehren.

Die unmittelbar im Anschluß an den Tenor des angefochtenen Beschlusses maschinenschriftlich aufgenommene Rechtsmittel belehrung genügt diesen gesetzlichen Anforderungen. Danach konnte gegen diesen Beschluß innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Beschwerde beim FG 1) eingelegt werden. Die Belehrung lautet nicht "bei einem Finanzgericht", so daß Unklarheiten entstehen können, welches FG gemeint sei. Das Wort "beim" FG enthält indessen die Präposition "bei" und den bestimmten Artikel "dem".

In dem ausweislich der Zustellungsur kunde gemeinsam mit dem Beschluß zugestellten Urteil vom gleichen Tag enthält der amtliche Vordruck auf der Rückseite eine vorgedruckte Rechtsmittelbelehrung, in welche jeweils hinter dem Wort "Finanzgericht" eine hochgestellte 1) und anschließend als Fußnote 1) die vollständige Anschrift des FG ... aufgeführt wird. Der für den Beschluß verwendete Vordruck enthält am Schluß der ersten Seite ebenfalls die vollständige Anschrift des FG ... Allerdings ist die im maschinenschriftlichen Text der Rechtsmittelbelehrung hinter dem Wort "Finanzgericht" aufgenommene 1) nicht zugleich als Fußnote vor die vorgedruckte Anschrift eingefügt worden. Der Senat sieht darin jedoch keine zu den Rechtsfolgen des § 55 Abs. 2 FGO führende Unvollständigkeit der Rechtsmittel belehrung. Sowohl aus der Wortwahl der Rechtsmittelbelehrung ("beim") als auch aus der beigefügten 1) und der sich unmittelbar anschließenden vollständigen Anschrift des FG ... sowie schließlich der dem gleichzeitig zugegangenen Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung konnten sich für den fachkundigen Prozeßbevollmächtigten, der im Streitfall vor dem entscheidenden Senat aufgetreten war, keine Zweifel hinsichtlich des für die Einlegung der Beschwerde zuständigen FG und dessen Sitz ergeben (vgl. auch BFH-Urteile vom 28. Februar 1978 VII R 92/74, BFHE 124, 487, BStBl II 1978, 390, 392; vom 20. Februar 1976 VI R 150/73, BFHE 118, 417, BStBl II 1976, 477, 478; BFH-Beschluß vom 27. März 1968 VII R 21--22/67, BFHE 92, 307, BStBl II 1968, 535; ferner Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 1990 8 C 30.88, BVerwGE 85, 298, 300).

Die gegen den lt. Postzustellungsurkunde am 30. November 1993 sowohl dem Prozeßbevollmächtigten als auch der Klägerin zu 1 als Bevollmächtigte der weiteren Miterben zugestellten Beschluß vom 28. Oktober 1993 erst am 9. Mai 1994 beim BFH eingelegte Beschwerde (vgl. § 129 Abs. 2 FGO) ist damit nicht innerhalb der zweiwöchigen, ab Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung laufenden Rechtsmittelfrist eingelegt worden.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer ohne Verschulden eingetretenen Versäumnis der Beschwerdefrist (§ 56 Abs. 1 FGO) haben die Kläger weder geltend gemacht noch sind solche Gründe nach Aktenlage gegeben. Insbesondere ist bei einem von der Beschwerde allerdings nicht ausdrücklich behaupteten verfahrensrechtlichen Irrtum eines als Steuerberater tätigen Prozeßbevollmächtigten in aller Regel keine Wiedereinsetzung zu gewähren (BFH-Beschluß vom 8. Juli 1991 X B 3/91, BFH/NV 1992, 120, 121 m. w. N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 56 Rz. 32 m. umf. N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420280

BFH/NV 1995, 686

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