Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung

 

Leitsatz (NV)

Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden -- selbst wenn sie objektiv vorliegen -- grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund (ständige Rechtsprechung).

Der Umfang der dienstlichen Äußerung eines abgelehnten Richters steht grundsätzlich in seinem Ermessen.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

1. In der Hauptsache geht es um Einkommensteuer der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) 1988 bis 1992. Die Kläger haben Klage erhoben mit dem Antrag, die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre aufzuheben und die Steuer nach Maßgabe der Begründung herabzusetzen. Mit Verfügung vom 28. Dezember 1995 forderte der Berichterstatter des Finanzgerichts (FG) Dr. ... (im folgenden BE) den Prozeßbevollmächtigten der Kläger mit formularmäßiger Verfügung u. a. auf, innerhalb einer Ausschlußfrist bis 28. Januar 1996 den Gegenstand des Klagebegehrens zu benennen und die noch fehlende Prozeßvollmacht nachzureichen. Dabei wurde der Prozeßvertreter als "angeblicher Prozeßbevollmächtigter" bezeichnet. Seine Vollmacht wurde am 2. Januar 1996 vorgelegt.

Mit Schriftsatz vom 22. Januar 1996 vertraten die Kläger u. a. die Auffassung, den Gegenstand ihres Klagebegehrens hinreichend bezeichnet zu haben und machten Ausführungen zur Begründung der Klage. Darauf teilte der BE mit, er gehe davon aus, daß die Kläger die Rechtsverletzung durch die angefochtenen Bescheide in der Nichtberücksichtigung von Zinsen als Betriebsausgaben erblickten. Sofern dies zutreffend sei, betrachte er das Klagebegehren als hinreichend bezeichnet.

Der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) hat mit Schriftsatz vom 21. Februar 1996 unter Hinweis auf seine Einspruchsentscheidung Klageabweisung beantragt. Diese Klageerwiderung gab der BE den Klägern mit Verfügung vom 27. Februar 1996 mit der Bitte um Stellungnahme bis 27. März 1996 bekannt. Mit Verfügung vom 11. April 1996 erinnerte er an die erbetene Stellungnahme und bat unter Fristsetzung bis 21. Mai 1996 ergänzend um Darlegung, daß die zu beurteilenden rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen der Kläger untereinander den Anforderungen an einen Fremdvergleich genügten. Unter dem Datum vom 20. Mai 1996 machten die Kläger geltend, davon ausgegangen zu sein, den Schriftsatz des FA im wesentlichen nur zur Kenntnis erhalten zu haben. Zudem machten sie rechtliche Ausführungen unter Bezugnahme auf ihre Klagebegründung. Mit Verfügung vom 28. Mai 1996 forderte der BE die Kläger, da sie seiner Ver fügung vom 10. April 1996 nur teilweise nachgekommen seien, nochmals auf, bis zum 25. Juni 1996 durch geeignete Unterlagen zu belegen, daß die rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen zwischen ihnen tatsächlich wie vereinbart vollzogen worden seien. Dazu nahmen die Kläger mit Schreiben vom 18. Juni 1996 Stellung und baten um richterliche Hinweise, wenn die Verfügungen des BE nicht richtig verstanden worden sein sollten.

Darauf erwiderte der BE seinerseits mit Verfügung vom 25. Juni 1996, er habe am 11. April 1996 und 28. Mai 1996 unmißverständlich gebeten, im einzelnen darzulegen und durch geeignete Unterlagen zu belegen, daß die rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen zwischen den Klägern tatsächlich wie vereinbart vollzogen worden seien. Er gab den Klägern (gemäß § 79b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) nunmehr auf, sämtliche Urkunden und Belege über die rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen einerseits zwischen ihnen, andererseits zwischen dem Kläger bzw. der Klägerin und den entsprechenden Banken vorzulegen. Dafür setzte er unter Hinweis auf § 79 b Abs. 3 FGO eine Frist bis 24. Juli 1996.

Die Kläger legten nunmehr mit Schriftsatz vom 15. Juli 1996 umfangreiche Unterlagen vor, verbunden mit der Bitte um einen richterlichen Hinweis, falls der Aufforderung vom 25. Juni 1996 nicht genügt sein sollte.

2. Ebenfalls mit Schriftsatz vom 15. Juli 1996 lehnten die Kläger den BE wegen Befangenheit ab.

Sie machten geltend, der BE sei als Erfüllungsgehilfe des FA tätig geworden. Für die Vorlage der in Frage stehenden Dokumente sei das FA vorlagepflichtig, da es seine Rechtsauffassung auch darauf stütze.

Der BE habe unzutreffende Belehrungen abgegeben, vornehmlich hinsichtlich einer (nicht bestehenden) Verpflichtung zur Klagebegründung. Zudem rügten die Kläger den unangemessenen Ton des BE und daß der Prozeßvertreter als "angeblicher Prozeßbevollmächtigter" bezeichnet worden sei. Es sei zudem ungewöhnlich, einen Bevollmächtigten auf die Unzulässigkeit einer Klage hinzuweisen, wenn eine Vollmacht noch nicht vorliege, und Verfügungen mit nicht benötigten Textbausteinen zu versehen. Zudem habe der BE durch die Setzung kurzer Fristen versucht, sie (die Kläger) in Bedrängnis zu bringen.

Der BE hat sich am 16. Juli 1996 zu dem Ablehnungsgesuch dienstlich dahingehend geäußert, daß er sich nicht für befangen halte.

Die Kläger vertraten die Auffassung, eine dienstliche Äußerung läge mangels Begründung nicht vor. Aus diesem Grunde lehnten sie den BE mit Schreiben vom 27. August 1996 erneut wegen Befangenheit ab.

Das FA hat sich zu den Ablehnungsanträgen nicht geäußert.

3. Das FG wies die Ablehnungsgesuche als unbegründet ab. Beide erschöpften sich in Einwänden gegen die formell- und materiell-rechtliche Behandlung der Streitsache durch den BE und seien daher grundsätzlich nicht geeignet, Zweifel an der gebotenen Neutralität, Distanz und Sachlichkeit eines Richters zu begründen. Auch Wortwahl und Stil seiner prozeßleitenden Verfügungen begründeten offensichtlich keine Besorgnis der Befangenheit. Sie hätten der Förderung des Rechtsstreits, der Sachaufklärung, der Termin- und Entscheidungsvorbereitung und in gewissem Umfang auch der Rechtsbelehrung gedient. Die entsprechenden Entscheidungen fielen in den Bereich des richterlichen Ermessens. Auch wenn es insoweit im Einzelfall unterschiedliche Auffassungen zwischen Beteiligten und Richtern geben möge, seien sie Gegenstand des Verfahrensrechts, berechtigten aber nicht zur Richterablehnung.

Im einzelnen sei das Verfahren des BE auch nicht zu beanstanden. Der ausschließenden Fristsetzung mit Verfügung vom 25. Juni 1996 seien mehrfach einfache Fristsetzungen vorausgegangen, die die Kläger im wesentlichen nicht beachtet hätten. Zudem könnten Fristen von einem Monat nicht als kurzfristig bezeichnet werden. Eine Besorgnis der Befangenheit könne sich auch nicht daraus ergeben, daß der BE die Kläger (und nicht das FA) zur Vorlage einschlägiger Unterlagen aufgefordert habe. Denn dabei sei er offensichtlich von deren Darlegungs- und Beweispflicht ausgegangen. Zudem sei er verpflichtet gewesen, alle Anordnungen zu treffen, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen (§ 79 FGO).

Auch das zweite Befangenheitsgesuch sei offensichtlich unbegründet. § 44 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) enthalte keine Regelung, wonach ein abgelehnter Richter die Gründe dafür darzulegen hätte, daß er sich nicht für befangen halte. Es stehe vielmehr in seinem Ermessen, in welcher Art und welchem Umfang er sich zu einem Befangenheitsgesuch äußere.

4. Mit ihrer Beschwerde rügen die Kläger, die Vorentscheidung sei unzulässig und unbegründet.

Sie berufen sich unverändert darauf, der BE habe keine ausreichende und einlassungsfähige dienstliche Äußerung abgegeben. Eine solche Äußerung sei mit Gründen zu versehen. Zu ihrem zweiten Antrag habe der Abgelehnte sich überhaupt nicht geäußert.

Der BE sei nicht fähig, sachlich, unvoreingenommen und unparteiisch zu befinden. Er belege die Kläger mit Verfügungen zur Einholung von Informationen, die in den Akten des FA bereits vorhanden seien. Diese Handlungsweise werde durch die Setzung von Ausschlußfristen verschärft, um die Kläger mit ihrem Begehren fernzuhalten. Die Ausschlußfristen seien weder gesetzlich erforderlich, noch geboten gewesen. Sie (die Kläger) hätten sich dadurch unter Druck gesetzt fühlen müssen, nachdem im finanzgerichtlichen Verfahren nicht der Beibringungs-, sondern der Amtsermittlungsgrundsatz gelte. Es sei als Schikane zu werten, bereits vorhandene Unterlagen nochmals anzufordern. Dies begründe die Vermutung der Voreingenommenheit und Parteilichkeit. Der BE sei bei objektiver Würdigung als Erfüllungsgehilfe des FA tätig geworden. Die prozeßleitende Verfügung vom 28. Dezember 1995 sei überflüssig gewesen, nachdem die Vollmacht des Prozeßbevollmächtigten bereits zwei Tage zuvor abgesandt worden sei. Ebenso sei die Aufforderung, den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen, unberechtigt gewesen. Die Bezeichnung des Prozeßver treters als "angeblicher Prozeßbevollmächtigter" sei herabwürdigend und sachlich ungeeignet.

Die Begründung der Vorentscheidung stelle sich teilweise als polemisch und unsachlich dar und dokumentiere die Problematik, in der Richter stünden, wenn sie ihre Kollegen vor Befangenheitsanträgen schützen wollten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet und daher zurückzuweisen.

Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags der Kläger ist die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.

1. Mit ihrer Rüge der Unzulässigkeit der Vorentscheidung wenden sich die Kläger offenbar gegen das Verfahren des FG im Zusammenhang mit der dienstlichen Äußerung des BE. Sie ist unbegründet.

Zwar hat sich ein abgelehnter Richter über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern (§ 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO). Der Umfang der Äußerung ist aber, wie das FG zu Recht ausführt, grundsätzlich in sein Ermessen gestellt (vgl. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 55. Aufl., § 44 Rdnr. 5f.). Selbst ihr Unterbleiben könnte keinen Verfahrensmangel begründen, wenn -- wie vorliegend -- der zur Entscheidung stehende Sachverhalt unstreitig feststeht. Denn eine Äußerung des abgelehnten Richters ist nur zu Tatsachenfragen erforderlich (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. September 1986 VIII B 31/86, BFH/NV 1987, 308; vom 14. Juni 1994 VII B 34/94, BFH/NV 1995, 131). Daher war auch eine weitere dienstliche Äußerung des BE auf das zweite Ablehnungsgesuch entbehrlich.

2. Auch im übrigen ist die Beschwerde nicht begründet. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 2. Juli 1996 X B 50, 52/96, BFH/NV 1997, 42; vgl. auch Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Anm. 37). Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters bilden -- selbst wenn sie objektiv vorliegen -- grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund (ständige Rechtsprechung; vgl. die BFH-Beschlüsse vom 30. August 1995 XI B 114/95, BFH/NV 1996, 225; vom 27. Juni 1996 X B 84/96, BFH/NV 1997, 122; in BFH/NV 1997, 42; vgl. auch Gräber/Koch, a. a. O., § 51 Anm. 40). Denn das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, die Beteiligten gegen -- materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche -- Rechtsauffassungen zu schützen. Insoweit stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe -- auch zur Überprüfung von Verfahrensfehlern -- zur Verfügung (BFH-Beschluß in BFH/NV 1995, 131). Das Institut der Richterablehnung soll eine unparteiische Rechtspflege sichern (BFH-Beschluß vom 24. November 1994 X B 146--149/94, BFH/NV 1995, 692, m. w. N.). Verfahrensverstöße können eine Besorgnis der Befangenheit daher -- ausnahmsweise -- nur dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht. Dies setzt ohne weiteres erkennbare und gravierende Verfahrensfehler oder eine Häufung von Rechtsverstößen voraus (BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 1993 XI B 91/92, BFH/NV 1994, 489; in BFH/NV 1995, 692; vom 23. Juli 1996 VIII B 22/96, BFH/NV 1997, 126).

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist im Streitfall bereits im Ansatz nicht erkennbar. Vielmehr ist mit der Vorentscheidung davon auszugehen, daß der BE seiner Verpflichtung aus § 79 FGO nachkommen wollte, den Streitfall zügig einer Erledigung zuzuführen. Dabei hat er berücksichtigt, daß die Darlegungs- und Beweislast (bei steuerlich relevanten rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen unter nahen Angehörigen) die Kläger trifft. Von einem Tätigwerden des BE als "Erfüllungsgehilfe des FA" kann daher auch dann keine Rede sein, wenn sich bereits einschlägige Unterlagen in den Akten des FA befunden haben sollten. Aus der Aufforderung des BE, das Klagebegehren zu bezeichnen, der Setzung von (nicht unangemessenen) Fristen einschließlich der Ausschlußfrist aufgrund der Verfügung vom 25. Juni 1996 und der Benutzung von Formularverfügungen kann bei der gebotenen objektiven Betrachtung eine unsachliche Einstellung oder Willkür des BE unter keinem Aspekt hergeleitet werden. Dies gilt gleichermaßen für die Bezeichnung des Prozeßvertreters als "angeblicher Prozeßbevollmächtigter", die vor dem Vorliegen der erforderlichen Vollmacht jedenfalls weder unzutreffend noch herabwürdigend war.

 

Fundstellen

Haufe-Index 423828

BFH/NV 1997, 780

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